Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Die Hoffnung aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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Carolin hatte Julian nicht nur gesagt, wo er das Labor findet, sie war auch vorher schon darin gewesen. Sie war allein in dieses Labor gestiegen … einem uralten unterirdischen Raum, der bestimmt einsturzgefärdet war, und hatte dort die Leiche unseres Vorfahren gefunden. Und sie hatte das alles allein durchgestanden und hatte nicht mal mir etwas davon gesagt.

      Sie war damals schon sehr stark und eigensinnig gewesen. Wie stark und eigensinnig, das sollte ich in diesem Labor von Julian allerdings noch in seiner ganzen Tragweite erfahren.

      Julian hatte daraufhin etwas davon gefaselt, dass wir ihn und das große Ganze sowieso nicht verstehen würden und meinte uns noch darüber aufklären zu müssen, was dieser Kurt Gräbler für ein großartiger Geist gewesen war. Er redete davon, wie der Alchemist dem Tod von der Schippe gesprungen war und die Seele, das Bewusstsein und den Geist auf seine Nachkommen projiziert hatte. Und er meinte völlig abgehoben: „Ihm gelang, dass diese drei Elemente sich in eine Zeit hinüberretteten, in der sie wieder zusammengefügt werden können. In unsere Zeit und durch uns. Wir sind die Generation, in der alle drei Teile seines Seins aufeinandertreffen und so seine Auferstehung möglich wird, mit der er sein altes Schaffen weiterführen kann. Kurt Gräbler schaffte es damals, ein energetisches Lösungsmittel herzustellen, das ihm das ermöglichte. Sein Körper starb zwar trotzdem, wie jeder andere Körper auch, was darauf zurückzuführen ist, dass er mit seiner Forschung noch nicht ganz am Ende war. Aber dennoch schaffte er es, seine Ahnen zu manipulieren und in uns wieder aufzuerstehen. Unglaublich und großartig. Und keiner dieser Tölpel, die ihn verbrannten, hatte auch nur einen Schimmer von dem, was sie der Menschheit damit antaten. Er hätte der Retter von uns allen werden können.“

      Dann ließ er uns noch an seiner Einschätzung des Ganzen teilhaben, indem er uns offenbarte, dass er mit dem großen alchemistischen Wissen von Kurt Gräbler ausgestattet wurde, Carolin wohl sein Bewusstsein abbekommen hatte und ich seine jammernde Seele, die völlig unnütz war. Mich hielt er für völlig überflüssig und stellte mich mit den dummen Bauern auf eine Stufe, die der Menschheit den einen großen Bezwinger über den Tod genommen hatten. „Alle drei Teile zusammengeführt und in mir vereint wird den Alchemisten wieder auferstehen lassen“, glaubte Julian damals. Dabei soll nicht er der neue Herr über Kurt Gräblers Geist sein …

      „Was hast du vor? Willst du uns wirklich umbringen?“, hatte Carolin ihn damals völlig verzweifelt gefragt. „Julian, bitte! Das ist doch Irrsinn!“ Und dann hatte sie auf ihn eingeredet. Wahrscheinlich wollte sie Zeit schinden oder Julian verunsichern. Sie fragte ihn, ob wirklich alle Teile in uns drei zu finden waren oder ob es noch mehr irgendwo gab. Aber das klappte nicht. Julian drehte noch mehr durch und begann mich wieder zu malträtieren und von mir zu verlangen, dass ich ihm helfen müsse. Er faselte etwas davon, dass seine Träume ihm gezeigt hatten, dass ich ihm helfen würde oder nur ich ihm helfen könne oder so was. Dabei hatte ich nicht die leiseste Ahnung, was er von mir wollte. Und er sagte uns, dass wir sterben werden. „In all den alten Aufzeichnungen von Kurt Gräbler fand ich immer wieder die Hinweise, dass Blutopfer nötig sind, wenn Großes vollbracht werden soll. Außerdem kann ich Kurt Gräbler nicht anders von euch befreien“, erklärte der Wahnsinnige uns und riss Carolin von meiner Seite. Er löste ihre Handschelle und sie begann gegen ihn zu kämpfen, während er sie zu einem Stuhl schleppte und sie darauf fixierte. Ich konnte sie kaum in dem wenigen Licht sehen, aber ich hörte Julian sagen, dass, wenn ich ihm nicht helfe, es Carolin schlecht ergehen würde. Er wollte von mir eine Antwort, die ich ihm nicht geben konnte und auch nicht geben wollte.

      Was ich damit auslöste, dreht mir sogar bei der bloßen Erinnerung den Magen um. Julian nahm nämlich daraufhin ein Messer und hielt es Carolin an den Hals.

      „Nicht, lass sie gehen und ich sage dir alles“, hatte ich erschrocken gerufen. „Hör auf! Du tust ihr doch weh. Sie ist deine Schwester!“

      Aber Julian sagte dazu nur: „In diesem Moment nicht mehr. Sie ist nur noch der Träger von Kurt Gräblers Erbgut, genau wie du. Nur zu dem Zweck seid ihr auf der Welt. Ihr selber seid unwichtig und dient nur als Hülle - nicht mehr wert als ein Tetrapack. Es gibt keine Familienbande mehr. Es ist vorbei. Es wird nur noch mich geben … den Alchemisten. Und ich werde mein Wissen vervollkommnen und der Menschheit ewiges Leben schenken.“

      Das muss Carolin wirklich wütend gemacht haben. Durch ihren Körper ging ein Ruck, der sie fast von dem Stuhl warf und Julian keuchte fluchend: „Verdammt Carolin! So nicht!“

      Ich sah nur, wie er sich zusammenkrümmte, sich dann aber schnell wieder aufraffte, um von irgendwoher einen Lappen herunterzureißen. Ich schnallte da noch gar nicht, was passiert war. Erst als er hektisch das Tuch um Carolins Hals wickelte und mich anschrie: „Du muss mir sagen, was ich beachten muss. Es darf nichts schiefgehen!“, wurde es mir klar. Er hatte Carolin in den Hals geschnitten.

      Julian brüllte ab da nur noch abstruses Zeug, während Carolin auf dem Stuhl zusammensank und ihr Pullover sich rot verfärbte.

      Ich war gelähmt vor Entsetzen. Doch mir wurde schnell klar, dass Carolin in kürzester Zeit verbluten konnte. Ich wusste schließlich nicht, wie schlimm es sie getroffen hatte.

      „Erst musst du Carolin helfen, sonst sage ich gar nichts. Dann ist mir egal, ob ich hier auch sterbe. Aber ohne mich wirst du dein Ziel nicht erreichen“, hatte ich Julian völlig außer mir angeschrien, woraufhin Julian zu Carolin zurückgehechtet war und an dem Tuch an ihrem Hals herumriss.

      Ich höre ihr Stöhnen noch heute und es jagt mir immer noch eine Gänsehaut über den Rücken.

      Während ich damals glaubte, es gäbe für uns keine Rettung mehr, wurde über uns aber im selben Moment die Tür aufgehebelt und Männer stürzten sich in die Tiefe. Julian wurde zu Boden gerissen und ich konnte fassungslos nicht begreifen, was geschah. Ich weiß noch, dass der Tisch umgestoßen wurde und das Glas mit der gelben Flüssigkeit zu Boden fiel und zerbrach. Der Inhalt versiechte im Lehmboden und der Bunsenbrenner begann das Holz des Regals in Brand zu setzen.

      An Julians hysterischen Schrei und die vielen Staubpartikel in dem Sonnenlichtstrahl, der durch die Lucke gefallen war, kann ich mich noch erinnern. Und an den Rauch, der langsam alles zu vernebeln begann. Daran erinnere ich mich noch, weil ich versuchte zu erkennen, was geschah, während weitere Leute in den kleinen Raum gestürzt waren. Einer war direkt auf Carolin zugehechtet.

      Ich hatte noch mit all der Kraft, die ich aufbringen konnte, gebrüllt: „Schnell, Carolin verblutete! Sie braucht einen Arzt!“, während der beißende Geruch sich immer mehr in dem Raum ausgebreitet hatte und uns die Luft nahm. Und dann sah ich einen Typ, der Carolin auf seine Arme hob und sie die Treppe hochtrug. Zwei Polizisten folgten mit Julian und zwei begannen sich um mich zu kümmern. Ich wurde auf die Füße gestellt, als die Handschelle endlich von dem Bett befreit war. Sie zogen mich aus dem Raum, gerade rechtzeitig, bevor die ersten Flammen hochschlugen. Keuchend brachen wir alle drei oben zusammen, als aus der Ferne schon die Krankenwagensirenen zu hören waren.

      Und dann hörte ich den erschütterten Schrei von dem Typ, der Carolin aus dem Labor getragen hatte. Es war Marcel, der sie in seinen Armen hielt und rief: „Bitte Carolin, du musst durchhalten! Bitte! Ich liebe dich doch!“ Und dann folgte ein hysterisches: „Nein, bleib bei mir …!“

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