Steinbruchpolka. Birgid Windisch
ihr Handy heraus, um den vorläufigen Text darauf zu sprechen. Sie räusperte sich und begann: "Im Wald von Mömlingen, Nähe Königswald und Steinbrüchen, wurde am heutigen 25. September 2020, um 10 Uhr, die 72jährige Frau Anna Mollebusch aufgefunden.“ Sie hatte vom Ausweis der Frau abgelesen, den sie in deren Jackentasche in der Geldbörse gefunden hatte. Dann sprach sie weiter: „Sie starb durch äußere Gewalteinwirkung im Brustbereich. Eine tiefe Stichwunde direkt ins Herz war die Todesursache.“ Sie hob die Hände der toten Frau hoch und drehte die Handinnenflächen nach außen. "Massive Abwehrverletzungen an beiden Händen.“ Behutsam legte sie sie wieder ab. „Der Todeszeitpunkt liegt höchstens eine Stunde zurück. Sie kam ungefähr um 9 Uhr zu Tode.“ Sie sah auf.
„Den Rest kann ich erst nach eingehender Untersuchung in der Rechtsmedizin sagen.“ Langsam sagte sie: „Wahrscheinlich hast du ihn gestört.“ Magda zuckte zusammen, dann straffte sie sich energisch. „Weißt du schon, was die Tatwaffe gewesen sein könnte?“ Susi schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider nicht. Ich habe noch nie eine derartige Verletzung gesehen. Es kommt mir fast so vor, als habe der Mörder mit einem spitzen Ast zugestochen, weil die Wunde einen so großen Umfang hat.“ Magda nickte zustimmend.
„Alles klar. Näheres nach der Obduktion?“ Sie lächelte die kleine Rechtsmedizinerin freundlich an, die sich errötend abwandte, weil ihre Augen die Freddys gestreift hatten. In seiner Nähe befiel sie immer eine unverständliche Schüchternheit. Magda lächelte zartfühlend. Es war offensichtlich, dass die sensible Susi und der elegante Freddy füreinander bestimmt waren. Die einzigen, denen das nicht bewusst war, waren die beiden selbst. Magda seufzte und betrachtete den schönen Freddy, der mit seinem Freund Adalbert zusammenlebte, in der Illusion, schwul zu sein.
Sie zuckte die Achseln und sah ihre Mitarbeiter der Reihe nach an. „Also wie es aussieht, haben wir wieder einen Mordfall, den es aufzuklären gilt.“ „Aber das hier ist doch Bayern,“ wandte Eddie vorsichtig ein. „Wir sind aber ein hessisches Polizeirevier!“ Magda wischte seinen Einwand mit einer Handbewegung beiseite. „Wir waren zuerst da, erster geht schon gar nicht mehr.“ Die anderen gackerten im Hintergrund. Sie hörte von Anne: „Seht ihr, das hab ich euch gleich gesagt!“ Dann brach sie in Lachen aus. Magda verzog unwillkürlich die Mundwinkel und sagte dabei: „Schön, dass ihr euch so freut, obwohl ein Mensch ums Leben gekommen ist. Ich rufe gleich, vom Revier aus, die Kollegen aus Obernburg an. Vielleicht ist der nette Kommissar, der nette Jugendfreund meiner Mutter, wieder da, dann können wir uns die Ermittlungen teilen.“ „Der dicke Glatzkopp?“ Eddie konnte es nicht lassen. „Da kann er schließlich nichts dafür!“ „Aber sein Kollege, der hat einen richtigen Knackarsch, kann ich euch sagen,“ warf Anne frech ein. „Na, na, na,“ tadelte Magda, während Ben verstohlen sein Hinterteil befingerte. Er schwärmte heimlich für Anne, die ein paar Jahre älter war, als er. Für seine körperlichen Attribute hatte Anne zu seinem Leidwesen noch keine Komplimente übriggehabt. Magda knuffte ihn liebevoll in die Seite und raunte ihm: „Deiner ist auch nicht von schlechten Eltern,“ zu. Ben sah sie überrascht an und wurde prompt rot. „Na klar, meine Eltern sind einsame Spitze!“ „Sag ich doch,“ murmelte Magda und blinzelte ihm lächelnd zu.
F Ü N F
Stirnrunzelnd ging Magda, im Revier ihre Kontaktliste durch – ah, da war sie ja, die Nummer des bayrischen Kollegen. Sie räusperte sich, als sie es tuten hörte.
„Polizeirevier Obernburg, Rachor,“ bellte eine tiefe Stimme. Freundlich meldete sich Magda: „Hier Magda Wild aus Mömlingen, Polizeirevier Höchst.“ „Ach, guten Tag Frau Wild,“ drang die, nun aufgeräumt klingende Stimme des Kriminalkommissars aus dem Smartphone. „Wie geht es ihrer verehrten Frau Mutter?“ „Sehr gut, danke der Nachfrage!“ Magda lächelte und hob den Arm zur Siegerpose. „Herr Rachor, wir hätten hier ein kleines Problem, das wir gerne unkonventionell lösen würden.“
„Was heißt hier unkonventionell?“ polterte der Kommissar misstrauisch los. „Soll das etwa wieder so ein Gemauschel wie beim letzten Fall werden?“ „Wieso Gemauschel? Wir mauscheln nicht,“ versuchte Magda, ihn mit unschuldig klingender Stimme, zu beruhigen. „Wir liefern erstklassige Arbeit ab!“ „Aha, deshalb waren auch einige ihrer Kollegen verletzt, oder in Lebensgefahr, beim letzten Mal,“ brummte er trocken.
„Dafür konnten wir nichts, das wissen Sie doch,“ beschwichtigte Magda ihn eilig. „Nein, es ist etwas anderes. Ich bin hier, beim Spaziergang, über eine Leiche gestolpert, und habe im ersten Schreck, automatisch meine Kollegen zu Hilfe gerufen.“ „Was?“ Der Kommissar brüllte lautstark in sein Telefon und Magda hielt sich schnell die Ohren zu. „Naja, es war sozusagen meine Leiche und ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich handelte praktisch automatisch und meine Kollegen ebenso. Wir haben bereits die Ermittlungen aufgenommen.“ „Was?!!!“ Sie hielt sich das Telefon ein Stück vom Ohr weg und schüttelte missbilligend den Kopf. Konnte er nur noch dieses eine Wort sagen?
„Sie wissen genau, dass sie hier auf bayrischem Boden sind!“ Immer noch viel zu laut, registrierte Magda stirnrunzelnd. Dann sagte sie in schmeichelndem Ton: „Aber wir haben doch immer gut zusammengearbeitet und schließlich kann der nächste Mord schon auf hessischem Boden passieren.“ „Der nächste Mord?!“ Er brüllte schon wieder. „Einer reicht ihnen wohl nicht?“ Magda grinste. Dieser Kommissar war wirklich der Knaller. „Also dann, tschüss, Herr Oberkommissar Rachor, wir melden uns, wenn das Obduktionsergebnis vorliegt.“ Halbwegs versöhnt klingend, weil Magda seinen Titel so höflich hergebet hatte, sagte er resigniert: „Ich bitte darum und noch eins – ich werde ihnen eine Kollegin vorbeischicken, die ihre Ermittlungen genauestens überwachen und mir täglich Bericht erstatten wird. Ist – das – klar???“ „Ja, Herr Oberkommissar,“ gab Magda demütig zurück, während sie die Finger hinter ihrem Rücken überkreuzte.
„Er hat es gefressen!“ Triumphierend drehte sie sich zu ihren Kollegen um und hob die Faust. „Ja! Tschakka!“ „Tschakka!“ kam es postwendend von den Kollegen zurück. Alle lachten. „Wie du das immer machst, Magda. Ich bin stolz auf dich!“ Bewundernd sah Ben sie an und die anderen pflichteten ihm nickend bei. Anne streckte den Daumen hoch und Magda lachte übermütig. Hinter ihr erhob sich gähnend Fränzchen und sah sie missbilligend an. „Ja, ich weiß, mein Lieber, das war nicht die feine Art. Du würdest so etwas natürlich nie machen!“ Liebevoll streichelte sie ihn über sein zartes Köpfchen, alles andere an ihm war rau, wie es Rauhaardackeln zu eigen ist. Wedelnd sah er sie mit seinen treuen Augen an. „Wenn nur alle Männer so leicht zu handhaben wären wie du, mein Fränzchen." Zustimmend ließ er ein „Wuff erklingen,“ und alle brachen in lautes Gelächter aus. Beleidigt legte er sich wieder hin und drehte ihnen den Rücken zu, als wollte er damit zeigen, was er von ihnen hielt.
Magda sah sich lächelnd unter ihren Kollegen, die längst auch ihre Freunde geworden waren, um. Anne grinste frech zurück und warf dabei ihr dunkles Haar, das ganz schön gewachsen war in letzter Zeit, über die Schulter. Ihr schmaler Körper bog sich auf dem Stuhl zurück und Magda konnte sehen, dass sie wie immer, mit ihrer Lieblingskluft, Jeans und Pulli, bekleidet war. „Wieder fast die gleiche Montur wie ich,“ freute sich Magda und sah an ihren dunkelblauen Jeans und ihrem roten T-Shirt hinab. „Ja, Chefin, ich muss doch bei dir einen guten Eindruck machen,“ gab Anne übermütig zurück und Magda nickte ihr zufrieden zu. „So gehört sich das!“
Ben schubste sie leicht. „Sag mal, wollt ihr nicht mal arbeiten, anstatt ständig über Klamotten zu reden?“ Magda seufzte. „Hast ja recht. Wir Modepüppchen wieder. Also, was haben wir?“ Anne und Magda klatschten sich ab und lächelten sich zu. Sie waren alles andere als modebewusst und scherten sich einen Dreck um Shopping.
Eddie zeigte auf das Bild der toten Anna, das er bereits an die Tafel gehängt hatte. „Wir haben eine weibliche Leiche, mit Namen Anna Mollebusch, 72 Jahre. Zu Tode gekommen, ungefähr um 9 Uhr heute Morgen, durch einen Stich ins Herz, mit einer unbekannten Waffe – einem Stock, oder Ast, oder etwas Ähnlichem."
Magda sah düster auf das Bild der alten Dame an, wobei sie sich, wie schon etliche Male zuvor, Vorwürfe machte, dass sie nicht schon eine halbe Stunde früher