JOHN ETTER - Stummer Schrei. John Etter

JOHN ETTER - Stummer Schrei - John Etter


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      „Na komm, ich lade dich auf einen Kaffee ein.“ John verstaute die Tüten mit der Kleidung im Kofferraum seines Wagens. Nina schüttelte den Kopf und nahm ihm seinen Schlüssel ab, so wie sie es zuvor schon besprochen hatten.

      „Fahren wir zu dir. Wenn du morgen Besuch vom Jugendamt bekommst, musst du noch einiges tun. Ich zitiere Bruno zu dir. Wände streichen und Möbel schleppen werden ihm nach dieser Hausdurchsuchung ganz guttun.“ Sie zwinkerte ihm zu. John schloss sie in seine starken Arme.

      „Du bist eine wunderbare Frau, und wenn du je genug von Bruno hast, würde ich mich um deine Gunst bemühen.“ Obwohl sein Ton scherzhaft klang, meinte er es bis zu einem gewissen Punkt ernst. Wenn sie nicht die Frau seines Freundes, und auch selber eine gute Freundin, wäre, hätte er bereits sein Glück bei einem Flirt versucht. Aber jetzt war Alina seine Zukunft – hoffte er auf alle Fälle.

      „Du bist ein toller Kerl, John. Aber ich bin nicht die Frau, die du brauchst. Du brauchst eine Frau wie Alina.“ Nina war nicht auf seinen Ton eingegangen, sondern bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick.

      Als John bei sich zu Hause ankam, stand ein ihm wohlbekannter Wagen bereits vor der Tür. Bruno lehnte daran und hatte auch schon die Ärmel seines Hemdes hochgerollt. Wortlos nickte John seinem Freund zu und gemeinsam räumten sie zuerst die beiden Gästezimmer aus. Die wenigen Möbel schleppten sie hinunter in den Keller. Rasch waren sie damit fertig, sodass sie sich ans Malen machen konnte. Das Zimmer, das John für Lea vorgesehen hatte, wurde mit einer bunten Tapete mit Tiermotiven versehen. Nina stellte sich in der Zeit in die Küche, um den beiden einige Leckereien zu kochen. Sie lächelte in sich hinein. Es gefiel ihr, wie John reagierte. Nun hoffte sie nur noch, dass Selina diesen Aufwand wert war. Es tat ihr weh, dass gerade er, der freundlich, sensibel und dennoch humorvoll war, zu einem Leben in Einsamkeit verdammt war, seit seine ehemalige Partnerin Nicole ihn verlassen hatte.

      Sie selber hatte diese Frau nie gemocht. Und dass sie John vor Jahren, als es ihm nicht gut gegangen war, verlassen hatte, hatte sie ihr bis heute nicht verzeihen können. Nina Bär erinnerte sich noch gut an die Zeit, als John zurück in sein Elternhaus gezogen war und seinen Beruf aufgegeben hatte, um seiner Mutter bei der Pflege des Vaters zu helfen. Eine fremde Person hätte der nach einem Schlaganfall schwierige Mann nicht akzeptiert, obwohl Geld für Pflegepersonal vorhanden war. Nach dem Tod des Mannes hatte auch Marianne Etter nicht mehr lange gelebt. Innerhalb weniger Wochen hatte John vor zwei Jahren beide Elternteile, mit denen er sich immer gut verstanden hatte, verloren. Seit damals kam auch niemand mehr an ihn heran. Oft genug hatte sie ihm vorgeschlagen, sich auszusprechen. Er hatte es immer wieder abgelehnt, nur erwähnt, dass er sich manchmal alleine fühlte in dem Haus, das er geerbt hatte. Doch die passende Frau, um seine verletzte Seele zu heilen, hatte er noch nicht finden können. Dabei wünschte er sich eine Familie. Das wusste Nina nur zu gut. Sie sah die Sehnsucht in seinen Augen, wenn er mit ihrem und Brunos Sohn spielte.

      Vielleicht war eine verletzte junge Frau mit Kind, genau die richtige Ablenkung für ihn. Nina wünschte es ihm von Herzen. Sie schüttelte die Gedanken ab und rief die beiden zum Essen.

      „Und, wie weit seid ihr schon?“

      „Wir sind schon dabei, die Möbel in Leas Zimmer aufzubauen. Wenn wir damit fertig sind, müsste die Farbe in Selinas Zimmer trocken sein, sodass wir den Teppich legen können.“ Ihr Mann antwortete, während John vor sich hinstarrte. Nina ignorierte es, sie kannte dieses Verhalten von ihm schon gut genug.

      „Das klingt doch toll.“

      „Ja, aber es gibt bis morgen noch genug zu tun“, brummelte John jetzt.

      „Na komm, es muss nicht perfekt sein, das wird die Sachbearbeiterin wohl nicht verlangen. Und wir werden die perfekten Unterstützer für das Vorhaben sein. Du wirst es nicht alleine durchführen müssen.“

      „Je besser es ist, umso größer sind meine Chancen, Bruno. Nina, würdest du dann gleich Leas Zimmer ein bisschen hübsch dekorieren, die Bücher einräumen und so?“

      „Klar! Ich komme morgen früh auch gerne noch mal vorbei und helfe dir bei den letzten Handgriffen.“ Sie streckte die Hand aus und legte sie auf den Arm ihres guten Freundes.

      „Das klingt genau nach dem, was ich brauchen werde. Wenn ihr aber nach Hause müsst, wegen dem Kleinen, kann ich das verstehen.“

      „Mark ist bei seiner Großmutter. Die freut sich, wenn er bei ihr schlafen darf, weil wir das nicht so oft machen“, erklärte Nina mit einem Lächeln.

      „Hab ich euch eigentlich schon mal gesagt, was ihr für tolle Freunde seid?“

      „Hör jetzt mal mit diesem Sentimentalgedusel auf, John. Dafür sind Freunde doch da. Und jetzt los, ich will vor Mitternacht fertig werden.“

      Kurz vor Mitternacht verabschiedete sich das Ehepaar Bär. Während Nina ihn umarmte, klopfte Bruno ihm auf den Rücken. John ging jetzt noch einmal durch alle Räume. Der Geruch nach frischer Farbe zog nun durchs gesamte Haus. Er versuchte es mit den Blicken einer Fremden zu sehen. Hier und da könnte man mit Sicherheit Verbesserungen durchführen. Doch vielleicht würde Selina das machen. Sie sollte sich hier ja auch wohl fühlen. John gähnte. Er stellte sich noch schnell den Wecker auf halb sechs, denn ein paar Kleinigkeiten wollte er noch verbessern, bevor er der Sachbearbeiterin des Jugendamtes die Räume zeigte, dann legte er sich hin. Und obwohl er nervös war, konnte er heute schnell einschlafen. Die Arbeiten in den Räumen hatten ihm eine angenehme Bettschwere verschafft.

      John war noch vor dem Weckerklingeln wach. Heute fiel ihm auch das Aufstehen nicht schwer. Er kochte sich Kaffee. Noch immer hing der Farbgeruch in den Räumen, daher riss er alle Fenster auf und sog die frische Morgenluft tief in die Lunge ein. Seine Laune war noch immer überraschend gut. Nun ging er in das Zimmer, das nur noch auf Leas Einzug wartete. Nina hatte an alles gedacht. Sogar ein Kuschelteddy saß auf dem Bett. John streichelte über das Stofftier. Er entschied sich dafür, es nachher mit ins Krankenhaus zu nehmen. Genau wie einige Bücher. Er erinnerte sich daran, dass auch in dem Verlies der beiden ein großes Bücherregal stand. Nun klingelte es an der Tür. Es war noch nicht einmal acht Uhr und trotzdem stand Nina vor ihm. Gut gelaunt wie immer, mit einer Tüte noch warmen Brötchen.

      „Ich dachte mir, dass du mal wieder nur Kaffee gefrühstückt hast.“

      „Du kennst mich, ich esse morgens nichts.“

      „Daran wirst du dich aber gewöhnen müssen, wenn du jetzt ein Kind im Haus hast. Oder fast zwei. Selina wurde ihre Kindheit ja gestohlen und ich weiß noch nicht, wie sie wirklich ist.“ Aus Ninas Stimme konnte John heraushören, dass sie gar nicht daran dachte, dass Selina und Lea nicht bei ihm einziehen durfte.

      „Ich wünschte, dass die Entscheidung bereits gefallen wäre.“

      „Na komm, wir werden jetzt erst einmal was essen.“ Nina zog ihn mit sich in die Küche.

      Nach dem Essen räumte sie noch das Geschirr in die Spülmaschine, die John nur selten benutzte. Meistens spülte er das wenige Geschirr, das er brauchte von Hand.

      „Und, was sollen wir noch machen?“

      „Wenn ich so darüber nachdenke, sind wir fertig. Es wäre aber toll, wenn du mir noch ein wenig Gesellschaft leisten würdest.“

      „So nervös?“

      „Ja! Am liebsten würde ich ja noch einmal anrufen und nachfragen, wann denn die Begutachtung stattfinden soll.“

      „Ich kann dich gut verstehen, doch leider bringt es nicht viel, wenn du die Sachbearbeiterin deine Ungeduld spüren lässt. Und das mit dem nicht genau abgemachten Besuchstermin ist bereits der erste Test, ob du im Umgang mit Kindern flexibel genug bist.“

      „Das ist mir klar, Nina. Aber ich will so bald wie möglich auch wieder zu Selina und ihrer Tochter.“

      „Sie übt ja eine beinahe magische Anziehung auf dich aus.“ Wunderte sie sich. Noch nie zuvor hatte sie John so erlebt.

      „Irgendwie ja. Ich vernachlässige sogar meine Arbeit. Aber ich kann mich auch auf nichts Weiteres konzentrieren, als auf


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