Polikei. Лев Толстой
und wird seines Lebens nicht froh.
So hatte es sich denn auch mit Polikei zugetragen. Er heiratete, und Gott hatte ihm Glück gegeben: zur Gattin – sie war die Tochter eines Viehhüters – war ihm ein gesundes, gescheites, arbeitsfrohes Weib zugefallen; Kinder gebar sie ihm, eines besser als das andere. Plötzlich überkam ihn aber Unglück, und er fiel herein. Und um Nichtigkeiten: bei einem Bauern hatte er Lederzügel beiseite gebracht. Man fand sie, prügelte ihn durch, führte ihn vor die Gnädige und begann auf ihn acht zu geben. Ein zweites und ein drittes Mal ward er ertappt. Das Volk fing an, von ihm schlecht zu sprechen, der Verwalter drohte, ihn unter die Soldaten zu stecken, die Gnädige gab ihm einen Verweis, seine Frau begann zu weinen und sich zu grämen, alles ging drüber und drunter. Er war dabei ein guter, keineswegs ein schlechter Mensch, nur schwach war er; er liebte zu trinken, und er hatte eine so heftige Gewohnheit dazu gefaßt, daß er auf keine Weise davon lassen konnte. Es kam vor, es beginnt ihn seine Frau zu schimpfen, sogar zu schlagen, wenn er betrunken nach Hause kommt, er aber weint: »Ich unglücklicher Mensch« – spricht er – »was soll ich denn machen? Mögen meine Augen zerplatzen, ich werde es werfen, ich werde nicht mehr!« Warte ab! Einen Monat darauf wird er wiederum aus dem Hause gehen, sich betrinken, zwei Tage verschwunden sein. »Von irgendwoher nimmt er doch wohl das Geld, um zu bummeln,« meinten die Leute. Seine letzte Affäre war mit der Kontoruhr. Es war da im Kontor eine alte Wanduhr, längst schon ging sie nicht mehr. Einst kam es so, daß er allein ins unverschlossene Kontor eintrat; die Uhr verführte ihn, er trug sie fort und verkaufte sie in der Stadt. Wie absichtlich ereignete es sich, daß jener Budeninhaber, dem er die Uhr verkauft hatte, zufällig Schwiegersohn einer Hofleibeigenen ward und zum Feiertag ins Dorf kam und von der Uhr erzählte. Man begann nachzuforschen, ganz so, als ob das irgendwem nötig gewesen wäre. Besonders der Verwalter liebte nicht den Polikei. Und man fand den Täter. Man hinterbrachte es der Gnädigen. Sie ließ den Polikei rufen. Der fiel sogleich auf die Knie und gestand mit Gefühl, so, daß es rührend war, alles, wie es ihm seine Frau beigebracht hatte. Er führte alles sehr gut aus. Es begann ihm die Gnädige zur Vernunft zu reden; sie sprach und sprach, predigte und predigte von Gott, von der Tugend, vom zukünftigen Leben, von seiner Frau und von seinen Kindern, und sie brachte ihn zu Tränen.
»Ich verzeihe dir, versprich mir nur, dies niemals mehr zu tun!«
»Niemals werde ich! Möge ich in den Boden versinken, möge mein Leib zerreißen!« sprach Polikei und weinte, daß es einen Stein erbarmen konnte!
Polikei kam nach Hause und heulte wie ein Kalb den ganzen Tag über und lag dabei auf dem Ofen. Von da an ward niemals mehr irgend etwas an Polikei bemerkt. Nur war sein Leben unfroh geworden: das Volk schaute auf ihn wie auf einen Dieb, und als die Zeit der Rekrutenaushebung nahte, begannen alle auf ihn hinzuweisen.
Polikei war Kurschmied, wie bereits gesagt ward. Wie er plötzlich dazu geworden war, wußte niemand, und er selber am allerwenigsten. Auf dem Gestüt bei dem Pferdeknecht, der dann zur Ansiedlung verschickt ward, leistete er keine anderen Dienste, als die Pferdekasten auszumisten, bisweilen die Pferde selber zu reinigen und Wasser zu fahren. Dort hätte er also nicht auslernen können. Darauf war er Weber, dann arbeitete er im Garten, reinigte er die Fußwege; dann zerschlug er zur Strafe Ziegelsteine; dann, gegen Jahresabgabe auf eigenen Verdienst ausgehend, verdingte er sich bei einem Kaufmann als Hausknecht. Demnach hatte er auch dort keine Praxis. Während seines letzten Aufenthaltes zu Hause begann sich allmählich der Ruf seiner ungewöhnlichen, sogar ein wenig übernatürlichen Pferdeheilkunst zu verbreiten. Er ließ einmal und wieder einmal zur Ader, dann warf er ein Pferd um und bohrte ihm im Schenkel herum, dann verlangte er, man solle ein Pferd in den Notstall führen, und begann ihm den Strahl bis aufs Blut zu schneiden, ungeachtet dessen, daß das Pferd um sich schlug und sogar wimmerte, und er sagte, daß dies bedeute, »das unter dem Huf befindliche Blut auszulassen«. Darauf erklärte er den Bauern, es sei unerläßlich, das Blut aus beiden Adern zu lassen, »zur größeren Leichtigkeit«, und begann mit einem Klopfholz auf die stumpfe Lanzette zu schlagen; alsdann zog er unter den Bauch des Verwalterpferdes einen Verband aus dem Kopftuch seiner Frau; endlich begann er mit Vitriol jede Art Schorf zu bestreuen, aus einem Gläschen zu benetzen und bisweilen innerlich zu geben, was ihm gerade einfiel. Und je mehr er Pferde marterte und mordete, um so mehr glaubte man ihm, und um so mehr Pferde führte man zu ihm.
Ich fühle, daß es für uns, die Herrschaften, nicht ganz anständig ist, über den Polikei zu lachen. Die Methoden, die er anwandte, um Vertrauen zu erwecken, sind ganz dieselben, die auf unsere Väter wirkten, auf uns selber, und die auch auf unsere Kinder wirken werden. Der Bauer, der sich mit dem Bauch auf den Kopf seiner einzigen Stute legt, die nicht nur seinen Reichtum ausmacht, vielmehr fast einen Teil seiner Familie, und der mit Glauben und Schrecken auf das beträchtlich verzogene Gesicht des Polikei schaut und seine dünnen, vertrockneten Hände, mit denen er absichtlich die Stelle preßt, die schmerzt, und kühn den lebendigen Körper schneidet mit dem geheimen Gedanken: »Es wird schon etwas dabei herauskommen«, und sich den Anschein gibt, als ob er wisse, wo Blut, wo Materie, wo trockene, wo nasse Adern sind, und dabei in seinen Zähnen den heilbringenden Lappen oder das Fläschchen mit Vitriol hielt – dieser Bauer kann sich gar nicht vorstellen, daß sich bei Polikei die Hand erheben würde, wenn er nicht zu schneiden verstünde. Er selber hätte das nicht tun können. Sobald aber rasch geschnitten ist, wird er sich auch keinen Vorwurf daraus machen, daß er vergeblich zu schneiden gab. Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen steht; ich aber empfand vor dem Doktor, der auf meine Bitte Menschen, die meinem Herzen nahestanden, gequält hatte, ganz genau dasselbe. Die Lanzette und das geheimnisvolle weißliche Fläschchen mit Sublimat und die Worte: »Beulenkrankheit, Hämorrhoiden, zur Ader lassen, Eiter usw.«, sind das denn nicht dieselben wie Nerven, Rheumatismus, Organismen usw.? »Wage du zu irren und zu träumen« – dies bezieht sich nicht nur auf die Dichter, auch auf die Doktoren und Kurschmiede.
3
An diesem selben Abend, als die Bauernversammlung, einen Rekruten wählend, vor dem Kontore lärmte im kalten Nebel der Oktobernacht, saß Polikei auf dem Bettrand an seinem Tische und zerrieb auf ihm vermittels einer Flasche eine Arznei, die er nicht kannte, gegen eine Pferdekrankheit, die ihm gleichfalls unbekannt war. Da war Sublimat, Schwefel, Glaubersalz und ein Kraut, das Polikei gesammelt hatte, als es ihm einmal eingefallen war, dies Kraut sei sehr nützlich gegen Kurzatmigkeit, und er fand es dann auch nicht für überflüssig, es auch gegen andere Krankheiten zu geben. Die Kinder hatten sich bereits niedergelegt: zwei lagen auf dem Ofen, zwei im Bette, eines in der Wiege, bei der Akulina an der Spindel saß. Ein Lichtstummel, der von herrschaftlichen Kerzen geblieben war, »die schlecht gelegen hatten«, stand in hölzernem Leuchter am Fenster, und damit ihr Mann sich nicht von seiner wichtigen Arbeit loszureißen brauche, stand Akulina immer wieder selber auf, den Kerzenstummel mit den Fingern zu richten. Es gab Freidenker, die den Polikei für einen dummen Tierarzt und einen einfältigen Menschen hielten. Andere dagegen, und die Mehrzahl, hielten ihn zwar für einen schlechten Kerl, aber für einen großen Meister seines Faches. Akulina ihrerseits, ungeachtet dessen, daß sie ihren Mann häufig schalt und sogar schlug, hielt ihn zweifellos für den ersten Pferdearzt und den ersten Menschen auf der ganzen Welt. Polikei streute gerade in die hohle Hand irgendeine »Spezies«. (Eine Wage benützte er nicht und äußerte sich ironisch über die Deutschen, die Wagen benützen: »Das« – pflegte er zu sagen – »ist doch keine Apotheke«.) Polikei prüfte seine Spezies in der Hand und schüttelte sie auf; es schien ihm aber wenig, und er streute zehnmal mehr hinein. »Alles werde ich hineintun; es wird besser helfen,« sprach er zu sich. Akulina schaute sich rasch um, auf die Stimme ihres Gebieters, einen Befehl erwartend; da sie aber sah, daß die Sache sie nichts angehe, zuckte sie die Achseln: »Sieh' mal an, der Teufelskerl! Von woher nimmt er das denn!« dachte sie und machte sich wiederum ans Spinnen. Das Papierchen, aus dem die Spezies geschüttet war, fiel unter den Tisch. Akulina ließ das nicht durchgehen.
»Anjutka!« rief sie – »sieh, der Vater hat etwas unter den Tisch fallen lassen, heb' auf!«
Anjutka zog ihre dünnen, nackten Füßchen aus dem Kapott heraus, das sie bedeckt hatte, kroch wie ein kleines Kätzchen unter den Tisch und brachte das Papierchen.
»Da, Väterchen« – sprach sie und verschwand wieder im Bett mit kaltgewordenen Beinchen.