Initiation - Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Peter Maier

Initiation - Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft - Peter Maier


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menschliche Erfahrungsebene angesprochen wird; Kapitel 6 will einen Überblick über das „Medizinrad“ geben, damit die psychischen Vorgänge während einer Visionssuche eher eingeordnet werden können.

      Die Überlegungen aller drei Buchteile werden dann noch mit einigen Aspekten zur Jungen-Initiation ergänzt und abgerundet (Kapitel 8).

      Mein Buch will einen Beitrag dazu leisten, dass das Bewusstsein von der Notwendigkeit der Initiation wieder mehr im öffentlichen Denken Platz findet und dass der Mangel an geeigneten Initionsritualen zunehmend als eine der Hauptursachen vieler Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft erkannt wird. Denn darin sehe ich einen, wenn nicht sogar „den“ Schlüssel zur Lösung vieler Probleme bezüglich unserer Heranwachsender. Deshalb will ich in diesem Buch konkrete Wege aufzeigen, wie, das heißt, mit welchen Ritualen der Übergang ins Erwachsensein heute gelingen kann.

      Ich möchte mich besonders an all die Berufsgruppen wenden, die mit Jugendlichen und deren Persönlichkeitsentwicklung zu tun haben - an Pädagogen, Sozialpädagogen, Lehrer, Politiker -, hauptsächlich aber an alle Eltern, die gerade ihre eigenen Kinder durch die Pubertät und ins eigene Erwachsensein begleiten. Nicht zuletzt sind die Gedanken dieses Buches an interessierte Jugendliche selbst gerichtet.

      Noch eine Vorbemerkung: Dieses Buch will keine wissenschaftliche Arbeit darstellen. Es ist vielmehr geprägt durch persönliche Erfahrungen eines Lehrers mit Jugendlichen über 30 Jahre hinweg und motiviert durch eine Erkenntnis, die mitunter leidenschaftlich vorgetragen wird: Unsere Jugendlichen brauchen geeignete Initiationsrituale, die nur wir Erwachsenen ihnen anbieten können und die wir ihnen daher auch anbieten sollten. Die Heranwachsenden bedürfen einer Begleitung von Mentoren, die ihnen bei ihrem Übergang ins Erwachsenwerden helfen. Wir Lehrer sollten schon aufgrund unseres Berufes solche Initiations-Mentoren sein.

      In meinen Ausführungen sind viele eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Thema „Initiation“ eingeflossen. Ich bitte den Leser um Nachsicht, wenn Wiederholungen auftreten (Der „Prediger“ kommt durch!) oder wenn gelegentlich der Eindruck entstehen sollte, dass zu vereinfacht argumentiert wird. Wichtig war und ist mir mit diesem Buch, unsere Jugendlichen bei ihrem Prozess des Erwachsenwerdens zu begleiten und ihnen beizustehen.

      Hinweise im Text auf mein erstes Buch „Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale“ (ISBN 978-3-86991-404-6) erfolgen mit der Abkürzung „Band I (ÜR)“.

      Olching im Sommer 2011 (1. Auflage) und im Sommer 2020 (3. überarbeitete Auflage)

      Peter Maier

      Kapitel 1: Geschichte eines jungen Helden

       (1) Reisebericht: Eine Fahrt nach Kanada

      Hier ist die authentische Geschichte eines Jugendlichen aus der Großstadt München. Nennen wir ihn Julian. Er ist Einzelkind - der Vater ein hohes Tier in einer großen Münchner Firma, die Mutter Hausfrau. Der Junge wächst behütet auf, besucht die Realschule, hat aber – so wie auch viele seiner Mitschüler – „keinen Bock“ aufs Lernen. Obwohl durchaus intelligent, fällt er aus reiner Faulheit in der 9. Klasse durch. Mit 17 hat er seine Mittlere Reife aber doch geschafft und wechselt danach auf die Fachoberschule. Da er immer noch nicht verstanden hat, dass ohne Lernen kein guter Schulabschluss zu erzielen ist, fällt er in der 11. Klasse erneut durch. Mit gut 20 Jahren steht er schließlich vor dem Fachabitur. Jetzt rächt es sich, dass er nie gelernt hat, wie man richtig lernt. Er bekommt plötzlich Angst, in den Prüfungen zu versagen.

       (a) Die Idee

      Die Standpauke

      Ostern 2005. Julian ist zu Besuch bei seinem Onkel. Wieder einmal lästert er über „die“ Lehrer, die alle so „doof“ seien und nicht wirklich gut erklären könnten. Nur deshalb sei er so schlecht in der Schule. Diese „Platte“ hatte Julian schon seit Jahren immer wieder aufgelegt, um sein Nichts-Tun kaschieren oder beschönigen zu können. Die Schuld lag immer bei den Lehrern, nie aber bei ihm selbst. Da platzt dem Onkel der Kragen. Denn er selbst ist ebenfalls Lehrer und kennt solche „Stories“ von seinen Schülern zur Genüge. Er stellt seinen Neffen Julian zur Rede und sagt ihm ungeschminkt die Wahrheit, die dieser bis zu diesem Zeitpunkt so noch von niemanden gehört hatte und die er wohl auch nicht hören wollte:

       dass er mit seinem Gerede über „die“ Lehrer nur seine eigene Faulheit kaschieren wolle;

       dass es den Onkel „ankotze“, wenn Schüler über Lehrer herziehen, aber ihren Job in der Schule nicht machen, also nicht lernen wollen;

       dass es in unserer Leistungsgesellschaft letztlich niemanden interessiere, ob ein Schüler Probleme mit seinen Lehrern hatte, sondern dass es allein auf einen erfolgreichen Schulabschluss ankomme;

       dass er umgehend heimfahren und noch heute mit dem Lernen für die Abschlussprüfungen der Fachoberschule beginnen solle;

       dass er mit über 20 Jahren doch endlich die Verantwortung für sich selbst übernehmen und diese nicht länger auf „die“ Lehrer abschieben solle;

       dass er jetzt einmal seine Klappe halten und endlich das tun solle, wozu er doch eigentlich in die Schule gehe: Nämlich um zu lernen, sich um sein schulisches Fortkommen zu bemühen, sich seinen Prüfungsängsten zu stellen und das Fachabitur zu bestehen;

       dass er doch endlich den Videofilm über das Erwachsenswerden{3} anschauen solle, den ihm sein Onkel bereits zwei Jahre vorher zu seinem 18. Geburtstag geschenkt hatte.

      Die Standpauke wirkt. Julian fühlt sich anscheinend in seiner Ehre angegriffen, aber gleichzeitig ernst genommen. Er setzt sich endlich hin und lernt für die bevorstehenden Prüfungen. Etwa vier bis sechs Wochen dauert diese Zeit - für seine Verhältnisse eine lange und intensive Arbeitsphase. Er schafft schließlich das Fachabitur, wenn auch nur mit mäßigen Ergebnissen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er nun gezeigt, was in ihm steckt. Dazu musste er aber teilweise aus dem Dunstkreis seiner damaligen Clique herausgehen und den Kontakt zu den Gruppenmitgliedern deutlich einschränken, denn diese waren fast alle ziemlich destruktiv bezüglich Lehrern und Schule eingestellt.

      Die Clique ist Julian als Einzelkind immer sehr wichtig gewesen. Die Anerkennung im Freundeskreis hat längst die von Vater, Mutter und seinen Lehrern abgelöst. Was aber ist der Inhalt und Sinn von all den Treffen mit den Gruppenmitgliedern? Die Jugendlichen wollen einfach mit ihresgleichen zusammen sein, miteinander Spaß haben und „chillen“ - und das alles außerhalb des Einflussbereichs der Erwachsenen. Dies geht aber nie ohne richtiges Saufen ab. Ohne Alkohol ist eine Zusammenkunft gar nicht denkbar, ohne Rausch oder zumindest einen gehörigen Schwips erscheint solch ein Gruppentreffen langweilig. Das vermeintlich Aufregende passiert also durch den Alkohol. Die Vorbereitungen für das jeweils nächste Cliquentreffen werden ausschließlich über das Handy abgewickelt.

      Das Leben besteht somit für Julian während der vergangenen fünf Schuljahre aus Zusammenkünften mit der Clique, aus Party, Saufen und Ausschlafen des Rausches. So ganz nebenbei wird die Schule abgesessen. Bei Julian kommt noch hinzu, dass er sich furchtbar gerne reden hört und selbst viel älteren Familienangehörigen bei jeder Gelegenheit ungefragt seine „Lebensweisheiten“ mitzuteilen versucht. Er will nicht wahrhaben, dass er damit in Wirklichkeit nur sein Nichts-Tun, seine Faulheit und eine gewisse Sinnlosigkeit überspielt.

      Nach dem Fachabitur macht Julian seinen Zivildienst in einem Münchner Krankenhaus. Außerdem hat er sich mittlerweile den Videofilm „Erwachsenwerden in der Wildnis - Visionssuche mit Jugendlichen“{4} angeschaut. Wie er später einmal zugibt, hatte er lange Zeit Angst davor, sich dem Thema dieses Films zu stellen.

      Eine Abenteueridee nimmt Fahrt auf

      In der Zeit seines Krankenhausdienstes nimmt in Julian eine zunächst fixe Abenteueridee immer konkretere Formen an: Er will für zehn Monate nach Kanada gehen und sich dort alleine durchschlagen. Seine Eltern unterstützen diesen Plan von


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