Stop Workaholism. Antonio Rudolphios
glücklich werden. Man wird der Arbeitssucht aber nicht gerecht, wenn man sie harmlos als einen Fetisch abtut. Dafür hat sie einfach zu viele negative Auswirkungen auf den Körper und das Wohlbefinden eines Menschen, eben weil sie eine richtig starke Sucht ist. Als solche findet sie eben auch Eingang in die internationale medizinische Klassifikation (ICD-Schlüssel). Damit ist sie eine Krankheit, nach der jeder Arzt und Psychologe sie auch mit den Krankenkassen abrechnet wie Grippe, Rückenschmerzen oder Magengeschwüre.
Die vier Stadien der Arbeitssucht
Die Arbeitssucht entwickelt sich in vier Stadien bis hin zur echten Krankheit, die unbedingt behandelt werden muss.
In der ersten Phase nimmt die Arbeit den Workaholic immer mehr ein. Der merkt das selbst, realisiert das auch und versucht es sogar vor den Kollegen und Kolleginnen zu verheimlichen, indem er im Stillen unbeobachtet weiterarbeitet. Er fängt an, sogar in seiner Freizeit an den Job zu denken. Dabei vernachlässigt er seine privaten Interessen wie Beziehung oder sonst angenehme Dinge (Kino, Essen, Genuss). Auch seine privaten Pflichten wie etwa der Familie und den Kindern gegenüber oder Freundschaften zu pflegen kommen zu kurz.
Es folgt die kritische zweite Phase, indem der oder die Arbeitssüchtige nach Ausflüchten für seinen übertriebenen Arbeitseinsatz sucht („Ich muss die Präsentation bis morgen fertig haben“ – „Ein Kollege ist mit Grippe ausgefallen“). Man stellt alle privaten Bereiche hinten an und ordnet sie nur der Arbeit unter. Arbeit wird regelrecht gehortet, bis sich sogar schon erste Erschöpfungszustände einstellen.
Dann kommt die chronische dritte Phase, in der ein Arbeitssüchtiger immer mehr Aufgaben übernimmt. Dabei belastet er sich mit allem, was es nur zu tun gibt. Der Arbeitssüchtige ist Perfektionist und hält sich für die beste Lösung in der Firma, ja sogar für unersetzlich. Er sieht sich als die ideale Person, die alle gestellten Aufgaben bearbeiten kann. Privatleben? – Keine Bedeutung mehr! In dieser Phase stellen sich häufig auch schwere Depressionen, Angstzustände und Herz-Kreislauf-Störungen ein.
Die vierte Phase bezeichnet man als Endphase des Workaholismus oder auch als den Zusammenbruch – vergleichbar mit dem Junkie in der Gosse. Hier treten bereits krankhafte Folgeerscheinungen auf. Und dann passiert das eigentlich Schreckliche für den Arbeitssüchtigen: Seine Leistungsfähigkeit knickt massiv ein, er kann plötzlich nicht mehr – arbeiten und seine Sucht ausleben. Das ist das Schrecklichste, das einem Süchtigen passieren kann. Deshalb gehen auch viele Workaholics schon mit etwa 50 Jahren in Rente. Man bezeichnet das oft auch als Burnout, Arbeitssüchtige sind einfach ausgebrannt. Es geht nicht mehr. Nicht selten sterben sie auch früher, bekommen plötzlich einen Herzinfarkt oder Schlaganfall – und zwar gerade dann, wenn sie aus dem intensiven Arbeitsprozess plötzlich von heute auf morgen rausgenommen werden. Ja, man kann auch an Überarbeitung sterben. Viele Manager erleiden auch in einem langen Urlaub einen Infarkt.
Muster bei der Arbeitssucht
So erstaunlich es jetzt klingen mag, aber der Workaholismus ist zunächst einmal von zwei gegensätzlichen Mustern geprägt, die sich scheinbar widersprechen. Dem zwanghaften Arbeiten steht eine Aufschieberitis gegenüber, ein Aufschieben und Vermeiden von Arbeit. Fragt man Betroffene in der Therapie, so rechnen sie sich häufig einem der beiden Typen zu, die aber dennoch in enger Verbindung zueinander stehen. Zwangsläufig müssen Prioritäten verloren gehen, wenn man pausenlos arbeitet. Ursache dabei ist häufig, dass der Arbeitssüchtige perfektionistisch an seine Arbeit rangeht. Er will seine ihm gestellten Aufgaben möglichst perfekt erledigen und dafür geht eben viel mehr Zeit verloren als üblich. Mit ihrem Perfektionismus verlieren Workaholics den Blick für die wesentlichen Dinge des Lebens und auch für die wirklich wichtigen Aufgaben, denen sie sich eigentlich stellen sollten. Sie verlieren den Überblick und kümmern sich selbst intensiv um Aufgaben, die gar nicht so wichtig sind. So wird der Berg an unerledigten Aufgaben immer größer, die zwangsläufig aufgeschoben werden müssen. Klar: Dadurch steigt der Druck, weil Arbeitssüchtige vieles auch vor sich her schieben. Das wiederum verhindert Entspannung und Ruhe, Workaholics fühlen sich ständig gehetzt. Man stellt bei ihnen auch typischerweise immer starke Hochs und Tiefs in den Gefühlen fest – immer dann, wenn ein Projekt beendet ist bis zum Start eines neuen.
Die Konsequenzen von Workaholism?
Es ist ja eine Flucht – aus Partnerschaft, privaten Problemen, finanziellen Sorgen, Krankheit und Unsicherheit. Der Arbeitssüchtige sucht sich halt seine Bestätigung, sein Ego in Arbeit. Aber die Folgen sind Vernachlässigung sozialer Kontakte bis zum vollständigen Zusammenbruch von Netzwerken, Freundschaften und Beziehungen, Partnerprobleme bis hin zur Trennung, körperliche Beschwerden bis hin zu Depressionen, Ängsten und auch Suizidgefahr oder bis hin zum versuchten Suizid als letztem Aufschrei nach Aufmerksamkeit und Beachtung.
Am Ende stehen gar Frühverrentung oder der frühzeitige Tod. All diese Konsequenzen sind bei Arbeitssüchtigen statistisch im Durchschnitt häufiger festzustellen als bei normalen Menschen ohne dieses Krankheitsbild. Auch nicht von der Hand zu wiesen ist, dass Nikotin- und Tablettensucht sowie Alkoholmissbrauch bei Workaholics öfter anzutreffen ist als bei den Normalos. Betriebe, die anfangs noch die Arbeitssucht gerne sehen und fördern, werden im späteren Verlauf erkennen, dass ihnen dadurch ein enormer Schaden zugefügt wird, etwa durch nicht eingehaltene Termine, Fehlentscheidungen, Leistungsabfall, Ausfall durch Krankheit oder andere Störungen am Arbeitsplatz durch Tablettenmissbrauch und Alkoholkonsum etwa. Wie bei allen Süchten decken Kolleginnen und Kollegen anfangs noch die Sucht, wenden sich dann aber flugs ab, wenn der Teamfrieden gestört wird. Ist das Teamergebnis erst mal in Gefahr, trennt man sich schnell vom schwächsten Glied in der Kette. Dazu kommt eine gewisse Akzeptanz von Arbeitssucht durch die Gesellschaft, nach der Leistung und immer mehr Erfolg eine Voraussetzung für soziale Anerkennung ist. Außerdem begünstigt die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust Mehrarbeit, auch freiwillige.
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