Die Möglichkeit des Unmöglichen. Prentice Mulford Mulford
schafft, um jenes Ziel endlich erreichen zu können. Ist dein Körper in dem Zustand, den wir Schlaf nennen, so sind diese Kräfte dennoch tätig. Sie wirken dann auf andere Geister ein. Ist dein letzter Gedanke vor dem Einschlafen ein Gedanke der Qual oder Angst gewesen, ein Gedanke des Hasses gegen irgendwen, so wird er schlimme Folgen für dich haben. Dachtest du hoffnungsvoll, heiter, vertrauend, bejahtest du friedvoll alle Menschen, so empfingst du stärkste Kraft und wirst daraus gute Frucht ernten. Ging die Sonne über deinem Grimm unter, so wird dein wütiges Denken auf andere einwirken, während du schläfst — aber nur dir die Schädigung bringen. Die Kunst des Vergessens zu üben ist darum sehr nötig. Wir müssen den Strom, der uns im Schlaf Böses zuführt, verwandeln in einen Strom, der uns nur Gutes zuträgt. Heute denken tausende und abertausende Menschen niemals daran, den Charakter ihrer Gedanken zu kontrollieren. Sie lassen ihre Gedanken treiben. Sie sagen niemals zu einem Gedanken, der sie beunruhigt: „Ich will dich nicht denken!“ — Unbewusst verlangen sie vielmehr nach dem, was ihnen schlecht bekommt und ihre Körper werden von der Art des Denkens, an das sie sich fest saugen, krank gemacht.
Wenn du die Schädigung, die dir ein beunruhigtes Denken zufügt, klar erkennst, wird dir die Kraft zuzuströmen beginnen, mit ihr fertig zu werden. „Widerstehet dem Teufel und er wird von euch fliehen!“ sagt die Schrift. Es gibt aber keine Teufel außer den schlecht gebrauchten Kräften des Geistes. Aber diese sind überaus mächtig darin, uns zu betrüben und zu quälen. Ein mürrischer oder melancholischer Gemütszustand ist ein Teufel. Er kann uns krank machen, kann uns Freunde und Geld verlieren machen. (Geld bedeutet den Genuss von Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten. Ohne Geld können wir nicht unser Bestes tun oder unser Bestes sein. Die Sünde, die in der „Liebe zum Geld“ eingeschlossen ist, besteht darin, das Geld als solches mehr zu lieben als die notwendigen Dinge, die allein durch Geld erlangt werden können.) Um in einem Unternehmen den größten Erfolg zu erzielen, in einer Kunst am weitesten zu kommen oder irgendeine Angelegenheit zu fördern, dazu ist nötig, dass wir zu bestimmten Tageszeiten alles vergessen, was jenes Unternehmen, jene Kunst oder Angelegenheit betrifft. Indem wir dies tun, beruhigen wir unseren Geist und sammeln frische Kraft zu erneuter Leistung.
Wessen Denken sich immer um die gleiche Sache dreht, wer immer nachsinnt oder grübelt, was er tun oder lassen solle, vergeudet diese Kraft gleichsam in der Tretmühle des Gehirns. Wir sagen uns im Gedanken immer wieder das Gleiche. Wir bauen also stetig das gleiche Gedankengebäude auf, eines die nutzlose Wiederholung des andern.
Wenn wir immer geneigt sind, über eine bestimmte Angelegenheit nachzusinnen oder uns über sie auszusprechen, wenn wir sie nicht vergessen und uns ihrer zu allen Zeiten und an allen Orten erinnern wollen, wenn wir in Wort und Gedanken nicht in den Ton verfallen wollen, der die Gesellschaft um uns herum beherrscht; wenn wir erst gar nicht versuchen, ein Interesse daran zu gewinnen, was von anderen gesprochen wird; wenn wir entschlossen sind, nur über das zu sprechen, was uns angeht oder überhaupt zu verstummen: dann sind wir in Gefahr, Monomanen zu werden, Menschen mit fixen Ideen.
Solch ein Kranker schafft sich seinen Ruf selber. Er ist von einer Idee besessen und, vielleicht ganz unbewusst, entschlossen, diese Idee jedermann aufzuzwingen. Er ist außerstande, seine Lieblingsidee oder sein Steckenpferd auch nur zeitweilig zu vergessen und auf die Gedanken anderer einzugehen. Aus diesem Grund verliert er die Kraft des Vergessens, die Kraft, jenen ihn ganz erfüllenden Gegenstand ganz aus seinem Gehirn hinauszuwerfen. Er treibt dann immer tiefer in jene Idee hinein und umgibt sich mit ihrer besonderen Atmosphäre.
Menschen, die um solch einen Kranken sind, spüren den Einfluss dieser besonderen Idee und empfinden sie unangenehm, denn das Denken eines Menschen wird von jenen, die um ihn sind, durch einen noch nicht benannten Sinn empfunden. In der Schärfung dieses Sinnes liegt das Geheimnis deines günstigen oder ungünstigen „ersten“ Eindruckes auf Menschen. Du lebst in dem Geist, der dir endfließt, du sendest ein Element aus, das andere für oder gegen dich einnimmt, gemäß ihrer Fähigkeit oder Feinsinnigkeit, dieses Element aufzunehmen. Du wirst von der Geistigkeit anderer, seien diese fern oder nahe, ebenso beeinflusst. Wir sprechen auch dann zu anderen, wenn unsere Zungen still sind. Wir erwecken auch Neigung und Abneigung, Liebe oder Hass, wenn wir in der Zurückgezogenheit unseres Zimmers leben.
Ein Mensch, von einer Idee besessen, wird oft zum Märtyrer oder hält sich dafür. Es bestand und besteht aber niemals die Notwendigkeit für ein Märtyrertum. Märtyrer ist nur der Unwissende. Märtyrertum schließt immer einen Mangel an Urteil und Takt in der Vorführung eines der Welt neuen Prinzips ein. Mache dir klar, was Märtyrertum heißt und du wirst finden, dass der Märtyrer versuchte, dem Volk eine Idee in einer angriffsweisen und feindseligen Form aufzuzwingen. Menschen von großer Fähigkeit sind, indem sie sich ganz und gar einer Idee hingegeben haben, zuletzt von ihr besessen worden. Die Gegnerschaft, die sie von anderen erfuhren, war eben zuerst in ihnen. „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen“, sagte Christus, „sondern das Schwert“.
Aber nun ist für die Welt die Zeit gekommen, das Schwert in die Scheide zu stecken. Viele Menschen gebrauchen unbewusst Schwerter, wenn sie anderen raten, was ihnen als Besseres erscheint. Da ist das Schwert des scheltenden Reformers, das Schwert des Widerwillens gegen andere, weil sie das nicht beachten wollen, was du sagst. Da ist das Schwert des Vorurteils, weil andere deine besonderen Gewohnheiten nicht annehmen wollen. Jeder Gedanke, der sich gegen andere richtet, ist ein Schwert und fordert das Schwert von der anderen Seite. Der Gedanke, der von dir kommt, ist der, den du dafür zurück erhältst und er wird die gleiche Eigenschaft haben. Das kommende Reich des Friedens wird aufgebaut sein durch die Versöhnung der Gegensätze, durch die Verwandlung der Feinde in Freunde, denn den Menschen wird gesagt werden, dass in ihnen viel mehr Gutes als Böses ist. Verleumdung und üble Nachrede werden in jener Zukunft nicht mehr sein. Die Menschen werden einander angenehmer und nützlicher sein, denn sie werden die Gesetze kennen, die Gesundheit, Freude und Seligkeit schaffen. Die Gesetze, die wir noch nicht kennen. Der Anwalt jener Zeit (ach, sie könnte ja morgen anbrechen!) wird dem Kranken mit dem Lächeln der Freundschaft begegnen, auch wenn er weiß, dass die kränksten Leute immer die ärgsten Sünder sind. Denn gerade der abstoßendste Mensch, das Geschöpf voll Trug, Verrat und Tücke, bedarf unseres Mitleids am allermeisten! Wie schädigt sich der Arme, wie viel Schmerz und Krankheit schafft er sich durch seine Gedanken!
Du denkst von einem Menschen nicht gut, der dich gering schätzte, beleidigte, verletzte oder ungerecht gegen dich war. Du musst Stunde für Stunde, Tag für Tag an ihn denken. Und du wirst dessen endlich überdrüssig und kannst es dennoch nicht loswerden. Es beunruhigt und quält dich, es reibt dich auf, macht dich krank. Und du kannst nichts dagegen tun und musst immer wieder in diesem lästigen und ermüdenden Gedankennetz herumlaufen. Es verbraucht deinen Geist. Und was den Geist verbraucht, verbraucht den Körper.
Du musst leiden, weil du das gegnerische und feindselige Denken des andern zu dem deinen gemacht hast. Er denkt von dir, wie du von ihm. Er sendet dir eine Welle feindseligen Denkens zu. Ihr gebt und erhaltet so beide die Schläge der unsichtbaren Kräfte. Du kannst diesen schweigenden Kampf wochenlang fortsetzen und wenn du es tust, sind eben beide geschädigt. Dieser Widerstreit entgegengesetzter Willensmächte und Gewalten tobt um uns alle. Die Luft ist voll von ihm.
Die Kunst, Feinde zu vergessen oder ihnen nur ein freundliches Denken zuzuleiten, ist deshalb ein Akt des Selbstschutzes. So streckt der Mensch die Arme vor, um einen körperlichen Schlag abzuwehren. Ausdauernd freundliches Denken verdrängt endlich das übelwollen und nimmt den Schmerz. Das Gebot Christi, Feinden Gutes zu tun, ist auf ein natürliches Gesetz begründet. Es besagt, dass dem Gutdenken oder dem Wohlwollen jene höhere Kraft innewohnt, die den Schaden, den Missgunst oder Hass uns zuzufügen trachten, abwehren und verhindern können.
Verlange nach Vergessenheit, wenn du an einen Menschen oder an ein Geschehnis nur mit dem Schmerz denken kannst, den Kummer, Zorn oder ein anderer schmerzlicher Grund hervorrufen. Das Verlangen ist ein Zustand des Geistes, der Kräfte in Bewegung setzt, die das herbeischaffen, dessen du bedarfst. Das Verlangen ist eine wissenschaftliche Grundlage des Gebetes. Bettle nicht. Verlange ausdauernd deinen Anteil an Kraft aus den Elementen, die um dich herum sind, damit dein Gemüt sich beruhige.
Was dir so werden kann, kennt kein Letztes, Höchstes.
Dass es bisher keinem Menschen gelungen ist, die volle Höhe dieser Kraft zu erreichen,