Druide der Spiegelkrieger. Werner Karl

Druide der Spiegelkrieger - Werner Karl


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treibt. Auch wenn alles nur Lüge und Aberglaube sind, so will ich doch wissen, wer sie in die Welt gesetzt hat und vor allem: warum?«

      Er zerquetschte die Dattel und der Saft quoll ihm aus seiner geballten Faust. »Genau das werde ich mit demjenigen tun, der solche Lügen in meinem Teil des Imperiums verbreitet, nicht wahr, Trebius?« Ein böses Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Römers und mit lässigem Schwung hielt er die besudelte Hand zur Seite. Ein gallischer Sklave eilte sofort herbei und tauchte die schmutzige Hand behutsam in ein Becken mit duftendem Wasser.

      Der Centurio donnerte seine Rechte an den Brustharnisch, sodass es laut knallte. »Wie du befiehlst, Magnus Lucius, mein Präfekt.«

      Lucia schmunzelte dieses Mal nicht über die martialische Art des Centurio. Unbeweglich verharrte sie hinter dem Vorhang und dachte angestrengt nach.

       Wie soll ein einzelner Mann all die Toten verschwinden lassen?

      Kapitel VI

      Ein neuer Adept

      A. D. 167, Juni

      Trotz der Jahreszeit blies der Wind kühl aus dem Norden herab und Túan glaubte, den Geruch der auch während des Sommers schneebedeckten Gipfel darin zu schmecken. Es war mehr als dreißig Tage her, seit er sein zerstörtes Dorf verlassen hatte.

      Und die Hälfte der Zeit, seitdem der Wolfswelpe bei ihm geschlafen hatte und von da an nicht mehr von seiner Seite gewichen war. Die beiden verstanden sich stumm, auch wenn Túan ab und an mit dem Kleinen sprach und manchmal ein Pfeifen, manchmal einen kläglichen Laut als Antwort bekam, von dem der Welpe wohl glaubte, dass es Túan für ihn einnahm. Doch der hatte längst sein Herz an den Racker verloren, der immer längere Zeit neben ihm her hüpfte, bis der Punkt kam, an dem er einfach stehen blieb und zu müde zum Weiterwandern war. Dann nahm Túan den jungen Wolf lächelnd auf und trug ihn in seinem Umhang weiter.

      Die innere Stimme, die er schon früher in den Wäldern zu hören geglaubt hatte, hatte Túan unweigerlich in das Hochland gezogen. Stunde für Stunde, Tag für Tag, immer weiter nach Norden.

      Das ungleiche Paar, das Mensch und Tier bildeten, hatte schon nach kurzer Zeit die Gegend verlassen, die Túan zumindest nach den Erzählungen der Händler noch als heimatlich betrachten konnte. Mit grimmiger Zähigkeit hatte er Hügel erklommen, eiskalte Flüsse durchquert und einige beachtliche Berge überwunden. Nun stand er am Rand eines Waldes, der ihm völlig unbekannt war. Trotzdem zog dieser ihn an, als hinge Túan an einer unsichtbaren Schnur, der er nur zu folgen brauchte. Túan hatte keine Angst. In diesen Gefilden bestand nicht die geringste Gefahr, von römischen Einheiten aufgegriffen zu werden. Und gegen wilde Tiere würde er sich zu wehren wissen. Allerdings hatte Túan die Ältesten seines Stammes nur flüsternd von den Clans erzählen hören, die hier oben hausen sollten. Vacomagi, Taexalae und noch weiter im Norden Boresti. Geheimnisvolle Namen aus Erzählungen an abendlichen Lagerfeuern tauchten in seinem Gedächtnis auf. Wild, unzivilisiert und grausam sollten sie sein, die Menschen der Berge und Seen. Doch das konnten auch nur die Geschichten von alten Weibern und Greisen sein, mit denen sie die Kinder beeindrucken wollten.

      Für seine Verhältnisse war Túan gut ernährt, was nicht hieß, dass er auch nur ein einziges Gramm Fett am Leibe trug. Seine Verbundenheit zum Land hatte ihn immer Wild erlegen lassen, ein Gelege aus Vogeleiern beschert, eine Gruppe Früchte oder Beeren tragender Büsche finden oder einen unvorsichtigen Vogel mit einer Schlinge fangen lassen. Sogar, dass er nun seine Nahrung mit dem schnell wachsenden Wolf teilen musste, schmälerte seine Mahlzeiten nicht wesentlich.

      Während seiner Rasten am abendlichen Feuer hatte er seinem Köcher neue Pfeile verschafft, einen zerbrochenen Speer durch zwei neue, bessere ersetzt, seine zerfetzten Lumpen gegen ein ansehnliches Stück Hirschfell ausgetauscht und seine zerschlissenen Sandalen zunächst ausgebessert und schließlich durch ein komplett neues Paar ersetzt.

      Bei allen Arbeiten sah ihm der Welpe, dem er bisher noch keinen Namen gegeben hatte, weil ihm kein passender einfallen wollte, neugierig zu. Erfahrungsgemäß erlahmte die Neugierde rasch und sein kleiner Gefährte rollte sich zusammen und schlief den ruhigen Schlaf desjenigen, der sich in sicherer Gesellschaft wähnt, was er ja auch war.

      Alles in allem stand Túan nun am Saum des Waldes nicht wie ein zerlumpter Bettler da, sondern wie ein junger, sehr junger Krieger, bereit, den Schritt in ein unbekanntes Gebiet zu wagen.

      Es war ja nicht so, dass er in der ganzen Zeit nicht auch auf Menschen gestoßen wäre. Doch sein Instinkt riet ihm, den mehrmals möglichen Kontakt zu meiden. Er ging sogar zwei oder drei Mal größere Umwege, um kleine Siedlungen und Dörfer zu meiden. Einen Grund dafür hätte er nicht nennen können. Die innere Stimme, die Túan trieb und leitete, schien ihm zu raten, sich versteckt zu halten.

      Sein kleiner Freund entwickelte eine fast symbiotische Verbundenheit zu ihm und oft genug roch oder hörte der Racker andere Menschen, bevor Túan sie bemerkte. Dabei war es sehr lustig für Túan zu sehen, wie sich das kleine Fellbündel plötzlich versteifte, völlig regungslos stehen blieb und sich von einem jungen Tier in ein nicht weniger junges Raubtier verwandelte. In allen Situationen wies die Schnauze des Kleinen mit untrüglicher Sicherheit exakt in die Richtung, aus der die mögliche Bedrohung kam.

      Nach den vielen Tagen des einsamen Marsches und am Rand dieses Waldes überkam ihn die Erkenntnis, dass sich daran die nächsten Jahre auch nichts ändern würde, vielleicht sogar sollte. Ein geheimnisvolles Flüstern, dessen Worte er nicht verstand, gab ihm das sichere Gefühl, dass jetzt nicht die Zeit war, sich anderen Menschengruppen anzuschließen. Auch wenn ihn diese willkommen geheißen hätten, was mehr als fraglich war. Denn die Clans im Hochland kämpften untereinander um das Wenige, was ihnen das Land bot. Und das war nicht immer ausreichend, um alle Mitglieder eines Clans am Leben zu erhalten. Dazu kamen uralte Feindschaften, deren Gründe längst niemand mehr wusste. Stiller Groll erfüllte ihn und verdrängte für mehrere Augenblicke die flüsternde Stimme in seinem Kopf. Túan hatte immer bei solchen alten Geschichten gefragt, warum die Stämme sich gegeneinander wandten, anstatt einig zu sein und die Eindringlinge aus dem fernen Rom gemeinsam zu bekämpfen. Stets hatte er ein nachsichtiges und mitleidiges Lächeln der Erwachsenen geerntet, was ihn nur noch mehr in Wut gebracht hatte. Es endete dann jedes Mal auf die gleiche Weise. Er stand auf und lief in seinen geliebten Wald. Bei solchen Anlässen vermieden es die anderen Kinder, ihm zu folgen. War seiner zorngefurchten Stirn doch überdeutlich anzusehen, dass er nicht wegen Pilzen, Beeren und anderen Waldfrüchten ging.

      Als ein erneuter, kalter Windstoß ihm ins Gesicht blies, hatte Túan den Eindruck, dass der Wind ihn warnte, allein den Wald zu betreten. Doch die innere Stimme widersprach dem Wind und Túan machte einen Schritt nach vorn. Doch kaum hatte er ihn getan, als ein heiserer Schrei aus der Luft ihn innehalten ließ.

      Der Schrei stammte von dem Adler, der ihn schon seit einigen Stunden im Auge behielt, stets seine Kreise über die Hügel ziehend, den Jungen keine Sekunde verlierend. Túan hatte zunächst vermutet, dass diese Gegend das bevorzugte Jagdgebiet des Raubvogels sei, doch nach einer Weile und einigen tieferen Kreisen des Vogels war er sich dessen nicht mehr so sicher. Er hatte keine Angst davor, dass der Adler ihn oder den jungen Wolf womöglich angreifen könnte, stellte er doch weder eine Gefahr für den Vogel dar, noch konnte der Adler hoffen, ihn, den fünf Mal größeren Menschen, als Beute zu schlagen.

      »Ich tue dir nichts, mein gefiederter Freund. Und du tust mir nichts, nicht wahr? Warum verbringst du deine Zeit also damit, mich zu beobachten, anstelle eines saftigen Hasen?«

      Als hätte ihn der Adler gehört, beendete der plötzlich seine Kreise und zog mit einem lang gezogenen Schrei aus dem Tal genau über den Wald hinweg, der Túan nun noch mehr einzuladen schien.

      »Na schön, Adler. Wenn du meinst …«

      Das Licht im Wald war dämmerig, so wie es in jedem Wald war. Doch dieses Licht hatte eine eigenartige Färbung, die Túan noch nie in seinem Leben je in einem Wald gesehen hatte. Er war kein Maler, geschweige denn ein Künstler, so wie sie die Römer und andere große Völker – er bezog die Bezeichnung groß tatsächlich nur auf ihren Machtbereich und nicht


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