Druide der Spiegelkrieger. Werner Karl

Druide der Spiegelkrieger - Werner Karl


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      »Die Römer nennen alle Völker, denen sie sich überlegen fühlen, Barbaren. Sie halten andere – auch uns – für dumm, weil wir keine großen Städte aus Stein besitzen wie sie. Keine Maschinen aus Holz und Eisen benutzen, keine steinernen Wasserleitungen bauen, um aus großen Entfernungen Wasser in die Städte zu bringen und dergleichen Dinge mehr.«

      »Warum sollten wir Wasserleitungen aus Stein bauen, wo es doch in Breith überall Flüsse, Bäche und Seen gibt?« Er setzte sich an den Eingang der Höhle und betrachtete mit Kennaigh die untergehende Sonne. »Vom Regen einmal ganz abgesehen«, ergänzte er und lächelte den Alten an.

      Der alte Druide grinste zurück und ächzte, als er sich auf einen Haufen Stroh neben ihn setzte und ebenfalls ins schwindende Tageslicht blickte.

      »Weißt du, Túan, allein, dass du dir genau diese Frage stellst, beweist, dass du erkannt hast, was die Römer nach all der Zeit in unserem Land noch immer nicht verstanden haben. Sie wollen auf der ganzen Welt ihre Pax Romana verbreiten. Sie sehen ihre Art zu leben, als die einzig richtige an. Sie verkennen, dass jedes Land anders ist und sich die Menschen darin anders entwickelt haben. Sich dem Land, so wie es ist, angepasst haben, das nutzen, was da ist, und sich eben, so gut es geht, darin einrichten. Sicher, auch wir nehmen fremde Dinge an, aber wir würden die Römer nie zwingen, an unsere Götter zu glauben, so wie sie es versuchen. Dieses Land war seit Urzeiten das unsere, und die Römer haben ihr eigenes Land. Welches Recht haben sie, unseres zu besetzen und es uns wegzunehmen? Nur, weil ihnen dies bei anderen Völkern gelungen ist?« Er deutete mit dem Daumen nach hinten zum Regal mit den Schriftrollen. »Diese Gallier waren ein starkes Volk, aber nicht stark genug gegen die Römer«, fuhr er fort.

      »Sie waren uneins, Meister. So wie wir«, antwortete Túan und beobachtete, wie die Sonne den Horizont berührte.

      Kennaigh hob die linke Hand und wies auf die Sonne. »Wir … die Cruithin … oder wie sie uns nennen, die Picten, werden genauso untergehen wie die Sonne jetzt …«

      »… oder die Gallier«, warf Túan ein.

      »… oder die Gallier!«, bestätigte der alte Druide. »Wenn wir ein Volk aus zersplitterten, verfeindeten, von Neid und Missgunst erfüllten Clans bleiben. Dann werden die Römer uns genauso vernichten, wie sie es mit den Galliern getan haben.« Ein Lächeln huschte über sein von Falten zerfurchtes Gesicht. »Aber für diese Erkenntnis allein habe ich dich Caesars Buch nicht lesen lassen. Du solltest mehr daraus gelernt haben, junger Druide.« Erwartungsvoll wandte er sich dem Jungen zu.

      Túan musste nicht lange nachdenken, worauf der Alte anspielte. »Es ist nicht allein damit getan, uns irgendwann zu vereinen, Meister. Wir müssen auch auf eine andere Art und Weise kämpfen als bisher …«

      »Dann möchte ich dir noch eine andere Geschichte erzählen, die noch weiter in der Vergangenheit zurückliegt, Túan, mein Schüler.« Mit einem dankbaren Nicken quittierte er das große Hirschfell, das ihm Túan unaufgefordert um die Schultern gelegt hatte. Kennaigh wartete, bis der 14-Jährige sich ebenfalls eine Decke um den Körper geschlungen hatte, blickte einen Augenblick wie in weite Ferne und sprach dann weiter.

      »Es gab einst einen römischen Feldherrn namens Varus. Dieser Varus führte lange vor Caesar eine große Streitmacht durch das Gebiet der Germanen, auch ein Volk des Festlandes. Man könnte die Germanen als Nachbarn der Gallier bezeichnen und sie sind ebenfalls Feinde der Römer …«

      »Die Römer haben viele Feinde«, wagte Túan grimmig zu unterbrechen.

      »Dieser Varus nun stieß in das Land der Germanen vor, in einen Wald, den er nicht kannte. Kein Römer kannte dieses Land. Doch die Germanen kannten es sehr wohl …«

      Der alte Druide erzählte so lange, bis die Sonne längst untergegangen war und Mond und Sterne die einzigen Lichtquellen am Himmel waren. Túan hatte ihn kein weiteres Mal unterbrochen, sondern jedes Wort in sich aufgesaugt wie ein trockenes Tuch jeden Tropfen, der darauf fällt. Wie zur Bestätigung, dass die Erzählung zu Ende war, wandte er seinen Blick auf den Druiden.

      »Das Buch Caesars und diese Schlacht im germanischen Wald …«, er zögerte. »Es sind wahre Geschichten, Meister, nicht wahr?«

      »Natürlich. Glaubst du, ich würde dir Lügen erzählen?«

      »Nein, natürlich nicht, Meister. Aber woher weißt du davon?«

      Der dürre Druide schaffte es, gleichzeitig zu grinsen und die Zähne zu fletschen.

      »In jungen Jahren trieb mich meine Neugier fort über das Meer. Ich streifte jahrelang über den Kontinent, besuchte fremde Völker, lernte von ihren Magiern und traf auf … Brüder.«

      »Druiden wie du selbst?« Die Frage war fast unnötig.

      »Ja und nein. Es gab und gibt bei allen Völkern Weise, Heiler. Manches, was ich gesehen, gehört und erlebt habe, ging über meinen Verstand. Doch einige Geheimnisse wurden mir offenbart … ich sammelte Wissen und … Gegenstände …«

      Túan spürte überdeutlich, dass dieses harmlose Wort weit mehr beinhaltete, als ihm der Alte zu diesem Zeitpunkt verraten würde. Doch gleichzeitig hatte er das sichere Gefühl, dies zu erfahren, wenn Kennaigh die Zeit oder ihn dafür für reif hielt.

      »Weißt du, Túan, wenn zwei Fremde, die sich treffen, die ersten Augenblicke überwunden haben, ohne sich gegenseitig zu töten, dann werden beide recht schnell feststellen, dass sie voneinander viel Nutzen ziehen können. Ob dies nun seltene Waren sind, unbekannte Dinge oder Wissen in jeglicher Form. Vor allem dann, wenn beide die gleichen Feinde haben.«

      »Die Kunde von der Schlacht im Wald …«

      »Zum Beispiel. Die Germanen, welche mir davon berichtet haben und die einen ganzen Wagen voller römischer Ausrüstung zum Kauf boten, machten dies nicht nur des Profites willen.« Aufmunternd blickte der Alte seinen Schüler an und Túan ließ ihn auf die Antwort nicht warten.

      »Sie gaben die Taktik preis, weil sie hofften, dass die Cruithin damit Römer töten könnten. Jeder gefallene Römer auf unserer Insel muss durch einen anderen aus dem Imperium ersetzt werden.«

      »Gut! Gut, Túan. Und auch das römische Imperium hat nicht unendlich viele Krieger. Es werden Lücken entstehen, die Linien werden sich schwächen und irgendwann …«

      Nun war es an Túan, in ferne Zeiten zu schweifen. Sein Blick war aber völlig klar, als er murmelte.

      »… unendlich viele Krieger …«

      Entweder hatte oder wollte der alte Druide die leisen Worte nicht hören oder gar kommentieren.

      Kennaigh streckte seine Rechte nach oben und Túan stand auf und half ihm, sich ebenfalls zu erheben. Erschrocken fühlte er dabei die körperliche Schwäche des alten Mannes. Doch als sie wieder standen und sein Lehrmeister beide Hände auf die Schultern des Jungen legte, spürte dieser die innere Kraft, die den Druiden immer noch erfüllte, und hoffte, sie würde ihn noch viele Jahre am Leben erhalten.

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