Die Sprache des Traumes. Wilhelm Stekel

Die Sprache des Traumes - Wilhelm  Stekel


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Zuerst zeigt sich häufig, dass die Worte, welche ganz entgegengesetzte Begriffe bezeichnen, aus ein und derselben Wurzel hervorgehen, als wenn die sprechende Seele anfangs mit den Worten nicht die äußerlichen, einander entgegengesetzten Erscheinungen, sondern das (doppelsinnige) Organ bezeichnet hätte, das zum Auffassen dieser Klasse von Erscheinungen geeignet ist. So sind die Worte, welche wann und kalt bezeichnen, nicht nur noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B. caldo, das im Italienischen warm bedeutet, ist gleichlautend mit unserem kalt; sondern selbst in einer und derselben Sprache gehen die Worte für kalt und warm aus einer und derselben Wurzel hervor (gelu, glidus, Kälte, kalt, mit caelo, calidus, warm) und der Gott des heißen Südens ist aus dem kalten Norden geboren. Sowie sehr häufig in Mythus und Sprache die gute Gottheit mit dem Bösen verwechselt und wiederum das Böse als Gutes genommen wird, so entspringt auch im Persischen, wo doch sonst der Mythus beide entgegengesetzte Prinzipien scharf voneinander zu halten scheint, der Name des bösen Ahriman und des Lichtgottes Orim = Asdes aus einer Wurzel, ebenso wie έϱως (Liebe) und έϱις (Zwist) und in verschiedenen Sprachen die Worte für Einigkeit und vereinigen und für den Feind und entzweien (fast auf dieselbe Weise wie nach Schwedenberg aus sinnlicher Liebe jenseits der grimmigste Hass geboren wird). Auch Licht (das Symbol der Wahrheit) und Lug und Lüge entspringen in verschiedenen Sprachen aus einer Wurzel, weil das Licht (der schöne Morgenstern, wie es anderwärts heißt), indem es sich zur sengenden Flamme entzündete, der verzehrende Wolf und der böse Loghe geworden, der als Hund und Hündin auch anderwärts in unreiner Bedeutung erscheinet. Jene zweifache (brennende und leuchtende) Natur des Lichtes, begegnet sich in der Sprache und im Mythos allenthalben. Das Blut erscheint ebenfalls in beiden unter der Bedeutung des Giftes, des Zornes, des rasenden Grimmes und unter jener der Versöhnung, Besänftigung, Belebung. Raserei und ruhige Besinnung, Finsternis und Licht, das schwere Metall und der leichte Vogel, Luft und Eisen, die Bezeugung der Freude und der Trauer, niedrig und hoch, sinnliche Lust und Entmannung und alle in ihrer Bedeutung noch so entgegengesetzt scheinenden Worte gehen auf dieselbe Weise aus gemeinschaftlicher Quelle hervor, und das Lamm sowie der Widder, welche öfters Symbole des schaffenden Wortes sind, erscheinen als Bock anfangs als Ausdruck des zeugenden Prinzips, dann der gröbsten Wollust (auch hier Lamm und Flamme aus einer Bedeutung.

      Auf eine merkwürdige Weise lässt sich nicht selten noch in der Sprache und im Mythus der Weg deutlich nachweisen, auf welchem die Worte von der einen Bedeutung in die andre ganz entgegengesetzte übergegangen sind. Wir wollen auch hier nur einige wenige Beispiele hervorheben. Die Verwandtschaft des Erkennens und Zeugens ist schon von Franz Baader auf eine merkwürdige Weise dargetan worden. Auch in der Sprache und im Mythus ist die Taube, welche als heiliger Lebensgeist das Lebenswasser der Schöpfung sowie den erkennenden Menschengeist bewegt, mit dem Vogel Phönix und der Palme gleichbedeutend. Die Palme, sowie die Blume der Nacht am Lebensquell, oder anderwärts die Eiche, Weinstock, Feigenbaum, wird hierauf zum Baum der Erkenntnis, welcher zugleich Baum des Haders ist. Endlich so wird der Baum der Erkenntnis zum Lingam, zum Werkzeuge und Symbole sinnlicher Geschlechtslust. Auf dieselbe Weise wird auch das erkennende Auge (der Brunnen des Lichts, das Wort) auf der einen Seite zur bauenden, schaffenden Hand, auf der anderen, zugleich mit der Hand, gleichbedeutend mit dem Organe der körperlichen Erzeugung. Das belebende Auge wird nun zugleich tötend, die Wahrheit bezeugende, schwörende Hand wird die täuschende, Lügen verkündende, zaudernde. So ist denn jene keusche Jungfrau des Mythus, die nie von dem Hauche einer sinnlichen Lust berührt worden, zu der unkeuschen Göttin der ausgelassensten, wildesten Wollust geworden, das schaffende, geistig erkennende Wort ist nun durch eine furchtbare Verwechslung unter dem Bilde des gräulichen Bockes Mendes angeschaut worden, dessen Kultus alle Schandtaten der ausgeartetsten tierischen Wollust in sich vereinte, aus dem Fische und der Fischschlange der sinnlichen Lust ist aber auch jenes furchtbare Gift gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das Gesetz sind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache geworden. Ebenso wie sich durch jene große Sprachenkatastrophe das Gute ins Böse, das Licht in die Finsternis verkehrt hat, so verstellt sich umgekehrt das Böse ins Gute und in häufigen Beispielen, wozu sich schon die oben angeführten gebrauchen lassen, erscheint, in Mythos und Sprache, das Böse und Giftige täuschend in lieblicher Gestalt, als Gutes und Heilbringendes.“

      Freud macht im zweiten Band des „Jahrbuches für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen auf eine Broschüre von Karl Abel aufmerksam, die sich „Über den Gegensinn der Urworte“ betitelt (1889 erschienen).

      Abel führt daselbst aus:

      „In der ägyptischen Sprache nun, dieser einzigen Reliquie einer primitiven Welt, findet sich eine ziemliche Anzahl von Worten mit zwei Bedeutungen, deren eine das gerade Gegenteil der anderen besagt. Man denke sich, wenn man solch augenscheinlichen Unsinn zu denken vermag dass dos Wort „stark“ in der deutschen Sprache sowohl „stark“ als „schwach“ bedeute; dass das Nomen „Lieht“ in Berlin gebraucht werde, um sowohl „Licht“ als „Dunkelheit“ zu bezeichnen; dass ein Münchener Bürger das Bier „Bier“ nannte, während ein anderer dasselbe Wort anwendete, wenn er vom Wasser spräche, und man hat die erstaunliche Praxis, welcher sich die alten Ägypter in ihrer Sprache gewohnheitsmäßig hinzugeben pflegten. Wem kann man es verargen, wenn er dazu ungläubig den Kopf schüttelt?...

      „Angesichts dieser und vieler ähnlicher Fälle antithetischer Bedeutungen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es in einer Sprache wenigstens eine Fülle von Worten gegeben hat, welche ein Ding und das Gegenteil dieses Dinges gleichzeitig bezeichneten. Wie erstaunlich es sei, wir stehen vor der Tatsache und haben damit zu rechnen.“

      „Von allen Exzentrizitäten des ägyptischen Lexikons ist es vielleicht die außerordentlichste, dass es, außer den Worten, die entgegengesetzte Bedeutungen in sich vereinen, andere zusammengesetzte Worte besitzt, in denen zwei Vokabeln von entgegengesetzter Bedeutung zu einem Kompositum vereint werden, welches die Bedeutung nur eines von seinen beiden konstituierenden Gliedern besitzt. Es gibt also in dieser außerordentlichen Sprache nicht allein Worte, die sowohl „stark“ als „schwach“ oder sowohl „befehlen“ als „gehorchen“ besagen; es gibt auch Komposita wie „altjung“, „fernnah“, „bindentrennen“, „außeninnen“(…), die trotz ihrer, das Verschiedenste einschließenden Zusammensetzung das erste nur „jung“, das zweite nur „nah“, das dritte nur, „verbinden“, das vierte nur „innen“ bedeuten… Man hat also bei diesen zusammengesetzten Worten begriffliche Widersprüche geradezu absichtlich vereint, nicht um einen dritten Begriff zu schaffen, wie im Chinesischen mitunter geschieht, sondern nur um durch das Kompositum die Bedeutung eines seiner kontradiktorischen Glieder, das allein dasselbe bedeutet haben würde, auszudrücken…“

      Indes ist das Rätsel leichter gelöst, als es scheinen will. Unsere Begriffe entstehen durch Vergleichung. „Wäre es immer hell, so würden wir zwischen hell und dunkel nicht unterscheiden und demgemäß weder den Begriff noch das Wort der Helligkeit haben können…! „Es ist offenbar, alles auf diesem Planeten ist relativ, und hat unabhängige Existenz, nur insofern es in seinen Beziehungen zu und von anderen Dingen unterschieden wird…“ „Da jeder Begriff somit der Zwilling seines Gegensatzes ist, wie konnte er zuerst gedacht, wie konnte er anderen, die ihn zu denken versuchten, mitgeteilt werden, wenn nicht durch die Messung an seinem Gegensatz?“ (Aus dem Referate von Freud.)

      In den Träumen spielt dieser Gegensinn eine große Rolle. Die wunderbarste Eigenschaft des Menschen, seine „Bipolarität“, äußert sich in diesem hochinteressanten psychischen Phänomen. Es gibt, wie Freud treffend bemerkt kein ,,Nein“ im Traume. Aber in diesem Sinne auch kein „Ja“. Der Traumgott ist der Typus eines Zweiflers!

      In manchen Träumen wird dieser Gegensinn geradezu ausgedrückt und zwar durch einen Zweifel, so im folgenden Traum eines an Berufsneurose leidenden Künstlers:

      (28.) „Ich bin vor jemandem davongelaufen oder jemandem nachgelaufen, durch Wasser, Stiegen und Zimmer. Dann fällt ihm ein, dass er im Traum noch einen Herrn gesehen hat; wir erkundigen uns, wer dieser Herr X. wäre, und er erwidert, es wäre ein Kollege, der ebenso wie er Klavierspieler sei und sich um die Aufnahme in die Meisterschule beworben habe; er sei jedoch nicht aufgenommen worden, was ihn sehr gekränkt habe.“

      An die Person, der er nachgelaufen ist, erinnert er sich nicht, aber wir wissen aus früheren


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