Endzeit-Kollaps. Walter Rupp
schön es dort ist, hätten sie in ihren Träumen oft gesehen. Enttäuscht zeigten sich nur die Theologen. Sie könnten nicht einsehen – begründeten sie ihr Unbehagen - warum die Vorsehung, die ja keinem Zwang unterworfen ist, für das Weltende ausgerechnet einen Zeitpunkt wähle, wo man in der Kirche daran gegangen sei, die lange vernachlässigten Reformen in Angriff zu nehmen.
Pressestimmen
In allen Presseorganen, nicht nur in den Kirchenzeitungen, befassten sich die Interviews ausschließlich mit der Frage an Nichtgläubige und Gläubige: ob sie sich ein Glück außerhalb der Welt vorstellen können, und warum sich seit Bekanntwerden des Weltendes die Klöster leeren. Die befragten Nonnen und Mönche begründeten ihren Austritt damit, dass sie nun nach jahrelanger Askese und Klausur, womit sie sich gewiss den Himmel verdient hätten, die letzte Gelegenheit nützen möchten, herausfinden, ob sie wirklich etwas versäumt hätten, und was die Weltleute an der Welt so fasziniert. Einem Bild-Reporter, der sich darüber wunderte, dass sich in die sechs Porno-Kinos einer konservativ geprägten Kleinstadt nicht mehr die über fünfunddreißigjährigen Männer, sondern auffallend viele über fünfzigjährige Frauen drängten und sich für diese schmuddeligen Darbietungen interessierten, gaben die Besucherinnen zur Antwort: Sie hätten viel zu lange viel zu anständig gelebt. Nachdem das Weltende nun nicht mehr aufzuhalten sei, könnten sie nicht mehr einsehen, weshalb sie für die Jugend noch weiter ein Vorbild sein sollten.
Das weit verbreitete Magazin ‚Der Prügel‘ gab eine Sondernummer über die Bedeutung der Religion heraus und kritisierte scharf den Hörfunk, die Fernsehprogramme, die Tageszeitungen, Wochenmagazine, Talkrunden und die Kirchenblätter: Sie hätten ausnahmslos seit Jahren das religiöse Thema sträflich vernachlässigt. Dieses offensichtliche Verdrängen theologischer und ethischer Fragen sei Ausdruck einer schweren kollektiven Krise. Nun müsse man befürchten, dass die Menschheit unzureichend vorbereitet in das Jenseits aufbrechen muss. Die Prawda pflichtete dem bei. Sie stellte jedoch klar, dass diese Kritik nicht auf sie zutreffe. Sie habe sich gegenüber der Religion stets offen gezeigt und über die Papstbesuche kommunistischer Parteiführer ausführlich berichtet und auch nie verschwiegen, dass Stalin einmal in einem Priesterseminar Georgiens war. Der Kommunismus habe eben deshalb, weil er erkannte, dass der Mensch den Glauben braucht, den Marxismus zur Religion erklärt.
Schüler des Heinrich Heine-Gymnasiums Düsseldorf beklagten in ihren Abitur-Aufsatz, den das Abendblatt abdruckte: Es sei unentschuldbar, dass Gott oder die dafür verantwortliche Instanz das Weltende ausgerechnet jetzt herbeiführen möchte, obwohl das auch in anderen Zeiten möglich wäre. Es sei nicht einzusehen, weshalb sie, die das Leben noch vor sich haben, es bald hinter sich haben sollen und ein Studium oder eine Ausbildung beginnen, die sich am Ende als nutzlos erweist. Wir sehen uns gezwungen, gegen einen so einseitigen Beschluss zu protestieren und fordern, dass er aufgehoben wird.
Die Fernsehjournalisten aller Sender bemühten sich Abend für Abend ihre Zuschauer mit Comedys, die niemanden überfordern, seelisch aufzubauen und Depressionen durch die Zusage vorzubeugen: Man werde das Menschenmögliche tun, das Kulturgut Fernsehen, das die Menschheit Jahrtausende entbehren musste, und in der neuen Welt vermutlich noch nicht ausreichend entwickelt ist, auch über den Weltuntergang hinaus zu erhalten und die gewohnten Programme in der bisherigen Form weiter auszustrahlen.
Die Zeitschrift ‘Historia‘, die eine ausführliche Abhandlung über die Weltuntergänge im Laufe der Geschichte veröffentlichte, nannte den bevorstehenden Weltuntergang das bisher umwälzendste Ereignis der Weltgeschichte. Sie legte überzeugend dar, dass die Geschichte sich in allen Jahrhunderten als unberechenbar erwies und für eine aussichtslos erscheinende Situation häufig doch einen Ausweg fand. Es sei auch in Zukunft nicht auszuschließen, dass das erwartete Weltende, in späteren Jahrhunderten nur als Umbrucherscheinung betrachtet wird.
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