Thalia. Dietrich Novak

Thalia - Dietrich Novak


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      »Von einem guten kann mal wohl kaum sprechen. So langsam stehen mir diese Nachteinsätze bis hier.« Valerie hielt ihre ausgestreckte Hand dicht über dem Kopf.

      »Was meinst du, wie es mir geht?«, fragte Knud. »Aber das ist nun mal der Normalfall. Nur der frühe Vogel fängt den Wurm.«

      »Todeszeitpunkt?«, fragte Hinnerk.

      »Vor ein bis zwei Stunden. Die Leichen-starre beginnt gerade erst an den Augenlidern.«

      »Glaubt ihr, man hat ihn erdrosselt?«

      »Eher nicht. Es gibt keine Würgemale am Hals. Und selbst ein Kopfkissen dürfte nicht die Ursache gewesen sein, da keine punktförmigen Einblutungen in den Augen vorhanden sind. Allerdings kommt es vor, dass keine Petechien entstehen, wenn der Kopf in etwas Weiches gedrückt wird.«

      »Woran kann er dann erstickt sein?«, fragte Hinnerk.

      »Ich meine, mehrere Einstiche in seiner Zunge entdeckt zu haben. Höchstwahrscheinlich von einer Wespe.«

      »Aber die müsste dann hier doch noch rumschwirren …«

      »Ich wette, wir finden sie, oder das, was davon noch übrig ist, in seinem Magen. Er wird sie verschluckt haben«, sagte Stella.

      »Demnach ein bedauerlicher Unglücksfall. Und wir sind hier fehl am Platze «, sagte Valerie.

      »Entschuldige, wenn ich widerspreche. Wer würde sich wohl seelenruhig schlafen legen, wenn er eine Wespe im Zimmer hat?«

      »Er könnte doch ein Schlafmittel genommen haben und das Insekt zunächst nicht bemerkt haben.«

      »Oder jemand hat seinen Dämmerzustand ausgenutzt und ihm das Insekt beigebracht. Zum Beispiel mithilfe eines umgestülpten Glases über dem Mund. Dafür sprechen auch die feinen Zuckerkristalle um die Nase. Wahrscheinlich hat man das Insekt mithilfe einer Zuckerlösung gefangen.«

      »Pfui Deibel, wie hinterhältig. Dann war er also Allergiker und hat einen anaphylaktischen Schock erlitten?«

      »Das ist gut möglich. Aber mehrere Stiche in die Zunge können sie so anschwellen lassen, dass man daran erstickt, auch ohne Allergiker zu sein. Es befand sich auch kein Notfallset in seiner Nähe.«

      »Das könnte jemand entsorgt haben«, sagte Valerie. »Damit kommt eine Menge Arbeit auf uns zu, denn jeder Pensionsbewohner könnte potenziell der Täter sein.«

      »Ja, man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen«, meinte Hinnerk.

      »Deine Kalendersprüche haben mir jetzt gerade noch gefehlt.« Valeries Ton war unverhältnismäßig scharf, aber sie war gelinde gesagt etwas mit der Situation überfordert. Sie hatte zwar befürchtet, die Exgeliebte am Tatort anzutreffen, aber bis zuletzt gehofft, der Kelch würde an ihr vorübergehen.

      »Ich löse mich ja schon in Luft auf«, sagte Hinnerk. »Vielleicht haben die Kollegen von der Spusi etwas im Gemeinschaftsbad gefunden.«

      Hinnerk ging erneut auf Manfred Hoger zu, und er sollte Recht behalten mit seiner Vermutung.

      »Ja, im Bad fanden wir ein Notfallset. Allerdings gänzlich ohne Fingerabdrücke. Eigentlich ein Unding, da das Opfer kaum Handschuhe getragen haben dürfte. Und das man so etwas im Bad vergisst, halte ich auch für unwahrscheinlich.«

      »Demnach erhärtet sich die Mordtheorie. Damit man das Indiz nicht in seinem Zimmer findet, hat es der Täter hier im Bad deponiert und die Fingerabdrücke sorgfältig entfernt.«

      »Dann macht mal. Falls wir noch etwas Auffälliges finden, sage ich Bescheid«, sagte Manfred.

      Im Zimmer des Toten schwiegen sich die beiden Frauen an, bis Valerie das peinliche Schweigen brach.

      »Und, bist du glücklich? Habt ihr schon geheiratet?«

      »Nein, vorerst noch nicht. Ich hätte dir sonst eine Einladung geschickt«, meinte Stella mit trockenem Mund. »Und ja, ich bin glücklich. Auch wenn es mir leidtut, dir wehgetan zu haben.«

      »Komm, das hatten wir doch schon. Du hast es ja nicht mit Absicht getan. Denke ich jedenfalls. Außerdem bin ich Kummer gewohnt.«

      »Entschuldigt, wenn ich störe«, sagte Hinnerk. »Wie wollen wir denn jetzt vorgehen bei der Befragung der Pensionsgäste? Einzeln oder gemeinsam?«

      »Das kommt drauf an, ob sich alle im Gemeinschaftsraum versammelt haben, oder ob sich welche auf ihr Zimmer zurückgezogen haben.«

      »Sowohl als auch, denke ich. Soll ich die Zimmer aufsuchen, und du befragst die gemeinsam versammelten?«

      »Das wäre eine Möglichkeit. Wir können es aber auch zusammen machen. Die Pension wird ja nicht Dutzende von Zimmern haben. Vielleicht sollten wir ohnehin bei der Wirtin anfangen.«

      »Einverstanden. Dann los!«

      Im Frühstücks- oder Gemeinschaftsraum klapperten Tassen, und mehrere Stimmen sprachen aufgeregt durcheinander. Es gab aber auch Gäste, die stumm verharrten und wie erstarrt wirkten.

      »Meine Damen und Herren, darf ich einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten!«, sagte Hinnerk. »Wir sind Hauptkommissare vom LKA und würden Ihnen gleich ein paar Fragen stellen. Anfangen würden wir aber zunächst mit Frau Kubaschewski. Können wir uns irgendwohin zurückziehen?«

      »Ja, bitte kommen Sie mit in meinen Salon. Bis gleich, Kinder!«

      In Wandas Salon schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Das äußerte sich im Interieur, aber auch an unzähligen Fotos und Plakaten. Alle zeigten eine dralle, ein wenig aufreizend wirkende Person.

      »Sind Sie eine Bühnenberühmtheit? Muss man Sie kennen?«, fragte Hinnerk.

      »Ach, das ist lange her. Zu DDR-Zeiten war ich als Wanda Kubana auf allen Bühnen zu Hause, doch nach der Wende … Na ja, inzwischen bin ich in einem Alter … Jetzt kümmere ich mich um die jüngere Generation. Das sind alles meine Kinder. So kommt es mir jedenfalls vor.«

      »Demnach führen Sie eine reine Künstlerpension?«, fragte Valerie.

      »In der Hauptsache schon. Hin und wieder verirrt sich auch einmal ein Gast hierher, der noch nie Bühnenluft geschnuppert hat.«

      »Daher der Name „Thalia“. Wie lange gibt es Sie schon?«

      »Seit den frühen Achtzigern. Damals war die Miete noch ein Bruchteil von heute. Vielleicht auch, weil die Straßenbahn direkt am Haus vorbeifuhr. Aber mein alter Mietvertrag bewahrt mich vor dem Schlimmsten. Wie lange noch, sei dahingestellt. Ich habe immer gehofft, man würde mich eines Tages mit den Füßen zuerst raustragen.«

      »Das ist ein gutes Stichwort«, sagte Valerie. »Wem von Ihren „Kindern“ würden Sie einen Mord zutrauen?«

      »Keinem, ehrlich gesagt. Wollen Sie damit andeuten, Janto sei ermordet worden?«

      »Der Verdacht drängt sich auf. Letzte Gewissheit wird der Autopsiebericht bringen.«

      »Nein, wie schrecklich! In meinem Haus. Könnte es sich nicht doch um einen Unglücksfall handeln? Ich meine, er war schließlich starker Allergiker …«

      »Umso merkwürdiger, dass sich sein Notfallset nicht in seiner Nähe, sondern im Bad befunden hat«, sagte Hinnerk. »Es sei denn, der Täter hat es dort deponiert. Was können Sie uns über diesen Janto sagen?«

      »Ach Gott, er war ein besonders hübscher junger Mann, der wie die meisten hier von einer großen Karriere träumte. Sein Handicap stand ihm dabei etwas im Weg, weil er ständig irgendwelche Medikamente nehmen musste, die ihn mitunter auch etwas benommen machten. Bei der Truppe um Merlin Arus ist er erst seit etwa einem Jahr. Aber wenn sie in Berlin gastieren, wohnen sie immer bei mir.«

      »Befand sich dieser Merlin auch auf dem Flur, als man Janto gefunden hat?«

      »Nein, jetzt, wo Sie es sagen … Merkwürdig, ich habe ihn nicht gesehen.«

      »Wer gehört sonst noch zu der Gruppe?«


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