Big Bug. Valuta Tomas
bestimmen. Wieso geht sie dann also mit einem Mann aus, nur um ihre Eltern zu besänftigen? Hat sie nicht genug Arsch in der Hose, um ihren Eltern mal die Meinung zu sagen? Schließlich ist sie ein eigenständiger Mensch.
Bei dem Gedanken, dass sie dieses derzeitige Theater ihren Eltern zuliebe durchzieht, schnauft Helen erneut. Der Grund hierfür ist lediglich jener, dass ihre Eltern dann wenigstens für mindestens ein halbes Jahr Ruhe geben und ihr keinen Mann mehr an die Seite stellen. Sie sind einfach der Meinung, dass ihre geliebte Tochter endlich mal in einem Hafen ankommen muss. Schließlich läuft auch ihre Zeit weiter.
Der Ton einer Trillerpfeife reißt Helens Aufmerksamkeit an sich. Das Gatter der Arena wird geöffnet und der Bulle rast mit den ersten Schritten aus seinem kleinen Gefängnis. Wie eine ausgehungerte Hyäne hängt Rob mit seinen Augen an Joy, die sich wacker auf dem Bullen schlägt. Helen schafft es allerdings nicht, auch nur einen Funken Begeisterung aus ihrem schlecht gelaunten Gemüt herauszuschaufeln, nur um etwas Interesse an diesem Sport zu zeigen.
Laute Zurufe und Pfiffe feuern diese Joy auf dem Bullen an. Dieser versucht mit gewaltigen Tritten den lästigen Käfer auf seinem Rücken abzuwerfen. Da hat er allerdings die Rechnung ohne Joy gemacht. Denn die hat sich wie eine Zecke an ihn gesaugt. Trotzdessen, dass der Bulle sie wild hin und her schleudert, hält sie sich tapfer am Seil fest. Unbewusst versucht Helen etwas von Joys Gesicht zu erkennen. Es interessiert sie, ob die Frau vielleicht etwas Angst vor diesem gewaltigen Tier hat. Aber sie kann nichts sehen. Joy hat ihren Kopf so tief gesenkt, damit sie sich voll und ganz auf den Ritt konzentrieren kann, dass man absolut nichts von ihrem Gesicht sehen kann. Nur ihre Haare schleudern in alle Richtungen, in denen der Bulle sie haben will. Auch ihr nach oben gestreckter Arm wedelt wie ein lästiges Anhängsel hin und her. Dennoch hält sich Joy unglaubliche drei Sekunden auf dem Bullen, bis sie die Kontrolle über dieses Vieh verliert. Mit einem gewaltigen Stoß wirft das Tier seine Reiterin ab.
Helen blickt kurz zur Seite, als Joys Körper wie eine leblose Puppe auf den sandigen Boden knallt. Anstatt liegen zu bleiben und sich vor Schmerzen zu winden, steht Joy auch schon wieder auf den Beinen. Ihre Konzentration gilt dem Bullen, der mit Hummeln in seinem gewaltigen Arsch durch die kleine Arena walzt. Joy braucht nur wenige Schritte, bis sie beim rettenden Gatter ist und mit einem gekonnten Sprung dort drüber springt, um in Sicherheit zu sein. Wie ein begeisterter Teenager schlägt Rob seine Hände wild ineinander. Damit gibt er seiner Bewunderung den richtigen Ausdruck.
Helen wird allerdings von Minute zu Minute genervter. Ihr gefällt weder die Lokalität in der sie sich befinden, noch kann sie mit der derzeitigen Ausgangssituation etwas anfangen. Auch wenn Billy Bob´s Texas die berühmteste Bar in Dallas sein mag, tummeln sich hier dennoch nur saufende und raufende Männer, die glauben, irgendein Abklatsch eines stolzen Cowboys zu sein. Wenn sie das wirklich glauben, sind sie einige Jährchen zu spät auf die Welt gekommen. Und in diesem Regiment tummeln sich nun neuerdings auch noch ein paar Frauen? Wie weit ist es mit den Frauen nur gekommen? Vielleicht mag es etwas altmodisch klingen, aber Helen findet nichts schlimmes daran, dass eine Frau zu Hause bleibt, für Mann und Kind sorgt und der Mann arbeiten geht, um die anfallenden Rechnungen zu bezahlen. Wenn es nach ihr gehen würde, sähe ihr Leben sicherlich genauso aus. Allerdings machte ihr Verstand ihr irgendwann einen Strich durch ihre aalglatte Rechnung. Denn dieser begann irgendwann damit, dass sich Helen tatsächlich nach Frauen umdrehte. Sie glaubte bis dato immer, dass es bei lesbischen Frauen irgendeinen Auslöser geben müsste, dass diese auf ihresgleichen stehen und Männer verschmähten. Da sie aber selbst keinen Auslöser nennen konnte, verwarf sie dieses Klischee irgendwann. Es dauerte eine geraume Zeit, bis sie sich selbst und ihre Gefühle akzeptierte. Irgendwann kam aber der Knackpunkt, an dem sie sich sagte, dass es auch nicht anders sei, als sich in einen Mann zu verlieben, nur sei der Körper eben anders.
Während der Bulle wieder in die Box zurückgeführt und ein neuer Reiter aufgerufen wird, dreht Helen sich zu Rob um und zupft an seinem Karo-Hemd, wie ein Kleinkind am Hosenbein der Mutter.
»Könnten wir bitte gehen? Ich muss morgen früh raus und… .«
»Ja ja, gleich.« Als wenn er Helen gar nicht mehr wahrnehmen würde, wedelt er blindlings in ihre Richtung, während seine Augen auf diese Joy gerichtet sind, die auf direktem Weg auf sie zugeht. Im Schlepptau zwei Männer, die sich angeregt mit ihr unterhalten.
»Joy«, jauchzt Rob aufgeregt und winkt zu ihr hinüber.
Komm schon, was für ein Weichei bist du nur? Helen muss bei ihren eigenen Gedanken schmunzeln, als sie zusieht, wie Rob dabei ist, sich in Grund und Boden lächerlich zu machen. Wie kann man einer Frau nur so offensichtlich hinterher hecheln, dass es tatsächlich schon armselig wirkt?
»Hey Rob«, begrüßt diese Joy ihn etwas zurückhaltend. Offensichtlich ist sie genauso wenig darüber erfreut ihn hier zu sehen, wie Helen in dieser Lokalität sein möchte. Wenn sie könnte, hätte sie schon längst das Weite gesucht. Aber Rob hat sie abgeholt und somit hat sie keinen fahrbaren Untersatz. Natürlich könnte sie sich ein Taxi nehmen, aber sie verspürt nicht wirklich das Bedürfnis fast ein achtel ihres Gehalts für eine Taxifahrt auszugeben. Also wird sie sich der aussichtslosen Situation ergeben und die nächsten Minuten überstehen. Oder vielleicht auch die nächsten Stunden. Je nachdem wie Rob von dieser Joy loskommt.
Wie einem Gaul klopft Joy Rob zur Begrüßung auf die Schulter, was er mit einem verliebten Lächeln gierig inhaliert. Meine Güte ist der Kerl verliebt. Das ist ja schon peinlich.
Genervt stöhnt Helen eine Runde stumm vor sich hin, bis ihre Augen auf Joy fallen, die ihren Blick ebenfalls auf sie richtet. Helen spürt, dass für eine Nanosekunde ihr Verstand aussetzt, als sie Joys markantes Gesicht sieht. Weiblich zart, aber mit recht harten Zügen versteckt sich Joys Gesicht hinter dem tiefgezogenen Stetson. Ihre dunkelgrünen Augen richtet sie für den Bruchteil einer Sekunde gänzlich auf Helen, bis sie zur Seite blickt. Mit einem Ellenbogen boxt sie Rob in die Rippen.
»Hat sich deine Buchhalterin verlaufen?« Bitte was? Entrüstet holt Helen zum verbalen Angriff Luft, vergisst aber was sie sagen wollte, als Joys Augen prüfend an ihr rauf und runter wandern. Das wird ja richtig toll. Nur weil Helen nicht in irgendwelchen Cowboystiefeln herumläuft, wird sie gleich als staubige Buchhalterin abgestempelt?
»Kann ich dich auf ein Bier einladen?«, hechelt Rob, ohne auf Joys Frage einzugehen. Die blickt wieder zu Helen zurück. Ihre Lippen deuten ein sarkastisches Grinsen an.
»Wenn deine Steuerberaterin nichts dagegen hat«, lacht sie frech. Arrogante Schnepfe! Helens Gedanken machen sich von ganz alleine selbstständig, als sie Joys freches Lachen sieht. Kaum rauscht sie achtlos an ihr vorbei und behandelt sie somit, als wenn sie zu einer Randgruppe gehören würde, läuft ihr Verstand zur Hochform auf. Nur weil du so einen bekloppten Bullen reiten kannst, heißt es noch lange nicht, dass alle Menschen um dich herum Rindviecher sind, du eingebildete Kuh!
Bevor Helen auf diese weitere beleidigende Aussage von Joy reagieren kann, folgt ihr Rob wie ein treudoofer Hund. Hat der sein Selbstbewusstsein im Lotto gewonnen?
Auf halbem Weg aus der Arena heraus in die Bar hinein, dreht er sich zu Helen um.
»Magst du uns Bier holen?« Bevor Helen überhaupt darüber nachdenken kann zu antworten, verschwindet das Weichei mit dieser hochnäsigen Ziege in der Menge.
Wütend darüber, dass dieser Abend sogar noch schlimmer wird, als sie sich jemals hätte ausmalen können, stampft Helen zur Theke und bestellt drei Bier. Vielleicht hilft es ihr ja, wenn sie sich betrinkt. Dann braucht sie wenigstens nicht Robs Geschmachte bei klarem Verstand miterleben. Und ihren Eltern wird sie ausdrücklich untersagen, Rob jemals wieder zu ihr zu schicken. Sie hat die Nase voll von irgendwelchen Männern. Entweder verhalten sie sich, als wenn sie der größte Casanova wären, oder sie wurden als Babys zu heiß gebadet.
Während Helen genervt auf das Bier wartet, erhascht sie den Blick eines Mannes, der gegenüber auf der anderen Seite der Theke steht. Mehr als deutlich lächelt er sie an, zwinkert ihr zu und zupft nickend an seinem Hut. Es kann tatsächlich noch schlimmer werden.
Dankbar dafür, dass das Bier schneller gezapft ist, als dass sie dreimal hintereinander Ave Maria sagen könnte, blickt Helen