Bonjour, Paris. Ilka-Maria Hohe-Dorst

Bonjour, Paris - Ilka-Maria Hohe-Dorst


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dein Vermögen, das unser Vater dir hinterlassen hat, jetzt über deinen Kopf hinweg verhökert? Hast du deinen Mann wirklich gekannt?“

      „Du weißt nicht, was du sagst, Bernd. Das ist doch gar nicht wahr. Wir sprechen später darüber.“

      „Ich werde den Mund nicht halten. Es geht um das Geld unseres Vaters, das sich Eduard unter den Nagel gerissen hat. Und um meine Existenz. Wie soll ich …“

      Wenger fiel ihm ins Wort. Er hatte nicht vorgehabt, sich in diese Familienangelegenheit einzumischen, aber Bernds Attacke auf seine Schwester, die sich immer für seine Interessen eingesetzt hatte, ging ihm zu weit.

      „Hören Sie endlich auf, Herr Busse, das gehört nicht hierher.“

      Bernd war völlig anderer Meinung und spuckte Gift und Galle. „Halten Sie sich heraus, Herr Wenger. Sie sind der letzte Mensch auf diesem Planeten, der mir etwas zu befehlen hätte.“

      Der Notar sah es an der Zeit, einzugreifen.

      „Ich muss doch bitten, Herr Busse. Können wir die Sache jetzt zu Ende bringen?“

      Bernd schwieg, sackte in sich zusammen und ließ das Kinn wie in stiller Empörung auf seine Brust sinken, während der Notar den Rest des Testaments verlas, in dem Eduard die übrigen Vermögensverhältnisse detailliert geregelt hatte. Bettina kam zwar immer noch gut weg, trotzdem sah sie sich mit lauter offenen Fragen konfrontiert.

      Der Notar schloss mit seinem obligatorischen Hinweis in Erbschaftsangelegenheiten.

      „Bevor ich Ihnen die beglaubigten Abschriften überreiche, belehre ich Sie noch für den Fall, dass Sie das Testament nicht anerkennen wollen, über Ihre Rechte …“

      Als er fertig war, nahm er einen Briefumschlag und sprach Wenger an.

      „Herr Wenger, sie werden sich gefragt haben, weshalb ich Sie zu dem Termin miteingeladen habe. Diesen Briefumschlag bat mich Eduard Claaßen, Ihnen persönlich am Tag der Testamentseröffnung zu übergeben.“

      Wenger nahm den Umschlag entgegen. Als Adressat stand darauf nur ‚Lutz‘, sonst nichts. Wenger öffnete ihn, entfaltete einen Brief und las: „Lieber Lutz, als mein langjähriger und treuer Freund richte ich eine letzte Bitte an dich. Es ist mein Wunsch, Pierre Desmoulins, einen jungen Anwalt in Paris, zu unterstützen und zu fördern. Seine Kanzlei besteht erst wenige Jahre. Ich stelle mir eine Kooperation bei deutsch-französischen Projekten vor und wäre dir dankbar, wenn du mir diesen Wunsch erfüllen könntest. Möglich wäre auch, beide Kanzleien zu verschmelzen. Das würde ihre Wettbewerbsfähigkeit auf westeuropäischem Terrain enorm stärken. Das alles habe ich nicht mehr mitzuentscheiden. Aber du warst mein bester Freund, Lutz, und ich verlasse mich auf dich. Die Kontaktdaten erfährst du durch meinen Notar Rainer Richolt.“

      Wenger ließ den Brief sinken und blickte schweigend ins Leere, um das Gelesene zu verarbeiten. Der Notar riss ihn aus seinen Gedanken.

      „Steht etwas da drin, Herr Wenger, das meine Tätigkeit als Notar erfordern könnte?“

      Wenger schüttelte den Kopf und reichte den Brief an Bettina weiter. Als sie ihn zu Ende gelesen hatte, war sie blass geworden. Sie verstand die Welt nicht mehr und war froh, als der Notar den Termin zu Ende brachte.

      Fünfzehn Minuten später standen Bettina und Wenger auf der Straße vor dem Notariatsbüro. Er schaute auf seine Armbanduhr.

      „Was macht Bernd noch so lange da drin? Warum ist er nochmal zurückgegangen?“

      Doch Bettinas Gedanken waren bei ihrem verstorbenen Ehemann.

      „Lutz, antworte mir ehrlich: Hast du von Eduards Plänen gewusst?“

      Wenger hob die Schultern.

      „Kein bisschen, Bettina. Ich bin genauso überrascht wie du.“

      „Wie kann das sein, Lutz? Du warst sein bester Freund und engster Vertrauter, vor dir hatte er nie Geheimnisse.“

      „Offensichtlich doch. Jeder Mensch scheint seine kleinen Heimlichkeiten zu haben, die er mit niemandem teilen will.“

      In Bettinas Stimme lag Verbitterung.

      „Kleine Heimlichkeiten? Was Eduard hier und heute geteilt hat, ist keine Heimlichkeit, sondern unser gemeinsames Vermögen. Wir hatten keine Gütertrennung, sondern eine Zugewinngemeinschaft. Ich habe nicht nur die Erbschaft meines Vaters in die Ehe eingebracht, sondern in der Kanzlei mitgeholfen und Eduard den Rücken freigehalten, wenn ihm die Arbeit über den Kopf wuchs. Deshalb hätte ich ein Recht darauf gehabt, die Gründe für seinen Letzten Willen zu erfahren. Warum hat er mir nichts über seine Pläne gesagt? Und was hat er mit diesem Rechtsanwalt in Paris zu schaffen, der mit seiner Mutter aus dem Nichts heraus hier aufgetaucht ist? Wozu überhaupt braucht die Kanzlei einen Kooperationspartner in Paris?“

      „Eduard konnte doch nicht ahnen, dass er so plötzlich an einem Herzinfarkt sterben würde. Bestimmt hatte er vor, dich nach und nach in seine Pläne einzuweihen.“

      In Bettina stieg Zorn hoch.

      „Nach und nach? Ich höre wohl nicht recht! Warum nimmst du ihn in Schutz? Weißt du mehr, als du zugeben willst? Wie lange bist du sein Vertrauter gewesen? Welches Versprechen hat er dir abgenommen? War er mit dir verheiratet oder mit mir? Sag schon!“

      Wenger zuckte bei diesem Stakkato immer wieder zusammen, als habe ihn bei jeder einzelnen Frage eine Pistolenkugel getroffen. Wieso hätte Eduard ihm einen Brief mit seinem letzten Wunsch hinterlassen sollen, wenn er bereits in dessen Pläne eingeweiht gewesen wäre? Das war unlogisch, doch Wenger verzichtete darauf, sich zu verteidigen, weil er spürte, dass Bettina zu aufgewühlt war, um irgendwelchen Argumenten zugänglich zu sein. Er schaute betrübt zu Boden.

      „Es tut mir leid, Bettina.“

      Bernd stürmte aus dem Eingang des Gebäudes, immer noch sichtlich ungehalten.

      „Ich habe versucht, den Notar über diese Desmoulins auszuquetschen, aber der sture Bock beruft sich auf seine Schweigepflicht. Hart wie Granit, der Kerl …“

      „Was ist daran falsch? Er scheint damit doch in bester Gesellschaft zu sein“, entgegnete Bettina schnippisch. Ihr vielsagender Blick traf Wengers Augen, der die spitze Bemerkung mit einem Zucken seiner Mundwinkel quittierte. Sie drehte sich auf dem Absatz um, ging zu ihrem Wagen, stieg ein und fuhr mit jaulendem Motor davon.

      * * * * *

      Bettina liebte ihre Wohnung. Sie war kein ‚Haus-Typ‘. Eduard hätte gerne ein Haus mit allem Drum und Dran gehabt, Terrasse, Blumenbeeten, Swimmingpool, und für Claire eine Schaukel und einen Sandkasten. Ein Hund oder zwei Katzen. Doch Bettina war dagegen. Sie wollte ein übersichtliches Heim haben, sich nicht mit Terrassen- und Gartenpflege plagen müssen und nicht die Verantwortung für einen Familienhund tragen, der, was das Gassigehen oder den unvermeidlichen Besuch beim Tierarzt anging, allein ihr Hund gewesen wäre.

      Schließlich einigten sie sich auf eine Hundertzwanzig-Quadratmeter-Wohnung in einem villenartigen Zwei-Familien-Haus im Westend, die Bettina mit sicherem Geschmack im Flair der fünfziger und sechziger Jahre einrichtete, weil ihr der Stil der Siebziger entweder zu nüchtern oder zu poppig war. Dazwischen gab es nichts. Eduard ließ ihr freie Hand, aber nicht ohne die gelegentliche süffisante Bemerkung: „So hätte ich mir die Wohnung der Nitribitt vorstellen können.“

      Doch er fühlte sich wohl, das spürte Bettina, wenn er eine Flasche Wein aufmachte, in die Couchkissen versank und mit einer guten Portion Selbstironie von den Schwierigkeiten erzählte, mit denen ihn so mancher unverständige Mandant in den Wahnsinn trieb. Er brachte sie damit zum Lachen, was ihn zu Albernheiten reizte, bis er sie schließlich, der geleerten Weinflasche zum Trotz noch im Vollbesitz seiner Energie, ins Schlafzimmer trug und sie liebte wie beim ersten Mal.

      Das war lange vorbei. Schon vor Claires Tod hatte sich Eduard verändert, war ernster und stiller geworden und wirkte oftmals angespannt. Bettina machte das Arbeitspensum dafür verantwortlich, das der wachsende Erfolg der Kanzlei ihm aufbürdete, aber insgeheim hoffte sie, es handele sich nur um eine Phase, die mit mehr Personal


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