Seefahrt in den 1960-70er Jahren auf Bananenjägern und anderen Schiffen. Klaus Perschke
riskant. Besonders kribbelig wurde es bei der Ansteuerung der Straße von Dover. Deshalb war die Kommandobrücke ständig doppelt besetzt. Wir gingen sechs Stunden Seewache, hatten dementsprechend also auch nur sechs Stunden Freiwache, also knapp fünf Stunden zum Pennen.
Unser nächstes Ziel war „die Straße von Dover“, eine verdammt enge Durchfahrt mit viel Fährverkehr zwischen Dover und Calais, weiterhin mit hell beleuchteten Fischern beim Fischen, die sich einen Teufel um die Handelsschifffahrt scherten, dann noch die dicken, mitlaufenden Pötte, die wir an unserer Steuerbordseite überholten; der entgegenkommende Schiffsverkehr fuhr von uns gesehen mehr südlich auf der Calais-Seite entlang.
Nach dem Passieren von Dover hatten wir vorübergehend Windstille, bis der Wind auf West-Süd-West umsprang, desgleichen kam jetzt auch „Windsee“ von vorn auf, und irgendwann bekamen wir im Englischen Kanal, je weiter wir zum westlichen Kanalende kamen, auch langsam den Atlantikschwell zu spüren. Unsere „BRUNSKOOG“ juckte das nicht, sie raste weiter wie ein Zerstörer. In kurzen Zeitintervallen, also Stunden, passierten wir Dungeness, Beachy Head, St. Catherine´s Point auf Isle of Wight und irgendwann Star Point bei Dartmouth.
Auf dem Atlantik
Es brieste auf, Wind und See nahmen zu, unsere „BRUNSKOOG“ machte bereits Nickbewegungen, fing an zu stampfen und nahm kräftig Spritzwasser über das Vorschiff. Wir näherten uns dem Westende des Ärmelkanals.
Ruppiges Wetter mit hoher Dünung
2. nautischer Offizier Klaus Perschke auf Seewache
Kapitän Melzer hatte oben auf der Brücke im Kartenzimmer sein Quartier aufgeschlagen. Er schlief dort in voller Montur auf der Couch, ab und zu erschien er lautlos auf der Brücke, nahm eine Radarpeilung und trug das Ergebnis im Kartenzimmer in die Seekarte ein. Als die Sicht sich verschlechterte, blieb auch er auf der Brücke und besetzte das Steuerbord-Radargerät, ich bediente auf meiner 12-04-Wache das Backbord-Radargerät und überwachte hauptsächlich den entgegenkommenden und mitlaufenden Schiffsverkehr.
Inzwischen hatten sich ein westnordwestlicher Seegang und eine ausgeprägte West-Dünung hochgeschaukelt.
„Sparkies“ getürkte Wetterberichte
Lizard Point lag voraus und etwas weiter westlich davon die Isles of Scilly, die letzte Inselgruppe westlich von Cornwall. Der Wetterbericht über Radio kündete „Weather Conditions moderate to raff“ an. Könnte schlimmer werden. Kam es später auch, als wir den Nordatlantik erreichten. Nur, und das wunderte uns Brückenoffiziere: Kapitän Melzer dachte gar nicht daran, die Maschine einzulegen, also mit den Umdrehungen runter zu gehen. Des Öfteren, wenn das Schiff sehr hart in die See einsetzte, schüttelte sich der Schiffskörper wie ein Hund, der aus dem Wasser gekommen war. Durch das gewaltige Schütteln hatte man den Eindruck, die Mastspitzen oberhalb der Saaling würden abbrechen. Was mochte den Alten nur veranlassen, bei dieser sehr stürmischen See von vorn die Fahrt nicht zu reduzieren? Wollte er einen neuen Geschwindigkeitsrekord bei Bruns aufstellen? Nein, das wollte er nicht. Aber er wollte jemandem einen Denkzettel verpassen! Nämlich unserem Funker, Sparkie! Der Halunke hatte tatsächlich an allem Schuld. Glauben Sie mir nicht, lieber Leser? Kapitän Melzer war dahinter gekommen, dass Sparkie ihm jeden Tag getürkte Wetterberichte auf den Tisch gelegt hatte, weil er, statt von Norddeich-Radio die Wetterberichte aufzunehmen, eines seiner Weiterbildungsprogramme von der Deutschen Welle abhörte, damit er bestimmte Testaufgaben abarbeiten konnte. Und diese Unverschämtheit machte Kapitän Melzer sehr ärgerlich. Also bekam er und der Rest der Crew auch einen Denkzettel: Bei dem offiziell „schönem Wetter“ braucht man nicht unbedingt die Maschinenleistung zu reduzieren.
Irgendwann kam unser Sparkie angstschlotternd aus seinem Kabuff auf die Brücke und sagte zum Kapitän: Bei diesem Wetter könnte er keinen Wetterbericht mehr aufnehmen. „Soo“, meinte Kapitän Melzer und zog etliche Wetterberichte der letzten vier Tage aus seiner Jackentasche, „laut diesen tollen Wetterberichten, die ich von Ihnen bekommen hatte, hätten wir zur Stunde das schönste Wetter. Und wenn wir ‚schönes Wetter’ haben, dann gibt es für uns doch keinerlei Gründe, die Fahrt des Schiffes zu drosseln, da sind wir uns doch einer Meinung Sparkie, oder?“ Der Funker kapitulierte und rückte damit heraus, dass er aus Gründen seines Fernstudiums nicht dazu gekommen war, den Seewetterbericht von Norddeich-Radio aufzunehmen. Darauf antwortete Kapitän Melzer „Sie werden bald viel, viel Zeit bekommen, ihr Fernstudium nachzuholen. Von San Juan aus können Sie den nächsten Flieger besteigen und zurück nach Hamburg fliegen, aber auf eigene Rechnung!“ Anschließend drosselte Kapitän Melzer zur Erleichterung der Besatzung die Umdrehungen der Hauptmaschine auf „langsam voraus“ und ging von der Brücke. Unser abgewichster Funker war plötzlich sehr, sehr klein mit Hut. Trau keinem Funker, der von der Bundesmarine kommt und sein Abi an Bord nachzumachen versucht.
Unsere Azoren-Schiffspost
Die Reise verlief per Großkreisnavigation weiter bis zu der Inselgruppe der Azoren, wo sich das Wetter, Wind und See beruhigte und wir zwischen Ponta Delgado und Madalena ganz dicht unter Horta die Küste passierten. Der Grund: Unsere Schiffspost sollte an Land!
Der Elektriker hatte einen wasserdichten Postbehälter angefertigt, in den unsere gesamte Besatzungspost mit einem Geldbetrag in Dollar hineingetan und wasserdicht verschlossen wurde.
Postboje
Postboje schwimmt Fotos von Jürgen Coprian
Sobald wir uns mit dem Typhon angekündigt hatten, sprangen bereits die auf uns wartenden Fischer in ihre Boote und ruderten um die Wette in Richtung unseres näherkommenden Schiffes. Kapitän Melzer hatte die Fahrt nach Absprache mit dem Chief erst auf „ganz langsam voraus“ reduziert und dann vorübergehend gestoppt. Jeder, der einen Fotoapparat besaß, stand an Deck oder auf der Brücke und machte Schnappschüsse. Sobald das erste Ruderboot nur noch zirka 10 Meter von uns entfernt war, flog der Behälter im hohen Bogen über Bord und wurde vom schnellsten Fischer aus dem Wasser gefischt. Interessant war, bei dieser außergewöhnlichen Methode der Postbeförderung kamen unsere Briefe in Deutschland auch tatsächlich an, nie ging ein Brief verloren. Selbstverständlich waren alle Briefe mit den seltenen Briefmarken der Azoren frankiert, die bei manchem Sammler einen hohen Wert hatten. Wir freuten uns, als der schnellste Fischer unseren „Postbehälter“ aus dem Wasser fischte, und bestimmt freute sich der betreffende Fischer auch, wenn er den etwas reichlichen Geldbetrag auf seiner Azoren-Bank in seine Währung umtauschte, und dafür die Briefe frankieren konnte. Immerhin fiel für ihn genügend Verdienst ab.
Alle Bilder von Jürgen Coprian aus Band 53
Postboje schwimmt
Die Postboje