Fluchend pilgern geht auch. Iris Schulte Renger (chaoskirsche)

Fluchend pilgern geht auch - Iris Schulte Renger (chaoskirsche)


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Gibt‘s ein Loch im Waldboden, knall‘ ich unter Garantie rein. Und klein bin ich auch noch (O-Ton Cousinchen: „Du bist nicht klein, du bist ein Hobbit…“ – dabei hat man mich mit einer Größe von immerhin 163 Zentimetern bedacht! ;)). Trotzdem bekomme ich‘s irgendwie immer hin, das Ende meiner jeweiligen Wanderung noch einigermaßen gesund zu erleben... ;)

      Das könnt ihr auch.

      Euch dabei allzeit einen „buen camino“!

      Eure Iris / Kirsche

      (Rheine – Ferrol, 15. Mai 2017)

      „Boah. Bin ich müde. Und nervös.

      Ich reise gerade nach Ferrol, einer kleinen Hafenstadt in Spanien, in der eine Camino Inglés-Variante startet. Und genau diesen Pilgerweg durch Galizien werde ich morgen beginnen.

      Eine Reise zu Fuß von rund 120 Kilometern nach Santiago de Compostela erwartet mich dann.

      Allein.

      Nur mit Rucksack und Zelt als Gepäck.

      Seit 6 Uhr bin ich heute schon auf den Beinen. Wer mich kennt, der weiß: Das ist eine für mich unchristliche Zeit. Aber ausnahmsweise bin ich dieses Mal ganz gerne früh aufgestanden. Denn von meiner Heimatstadt Rheine in NRW aus ging es gegen 8 Uhr mit dem Zug nach Düsseldorf, von dort mit dem Iberia-Flieger weiter nach Madrid, wo ich letztlich umgestiegen bin in das Flugzeug nach Santiago, um dort endlich im Bus nach Ferrol, meinem Startpunkt, Platz zu nehmen.

      Santiago de Compostela.

      Ziel Hunderttausender Pilger pro Jahr.

      Auch ich bin schon zweimal hier angekommen – laufend. Beim ersten Mal bin ich 2013 in Léon (Spanien) gestartet und beim zweiten Mal 2015 in Porto (Portugal).

      Diese spanische Großstadt, die doch irgendwie immer so klein auf mich wirkt, ist mir daher bereits vertraut und gleichzeitig mit sehr emotionalen, tollen Erinnerungen verbunden. Vielleicht ist das ja auch der Grund, weshalb ich jetzt – im Flieger von Madrid nach Santiago – nervös bin.

      Was wird dieses neue Abenteuer für mich bereithalten?

      Lassen sich diese schönen, alten Erinnerungen durch neue, beeindruckende Erlebnisse ergänzen? Oder wird das Ganze jetzt von einem ,Hmm – so langsam wird’s langweilig…‘ abgelöst?

      Ich habe keinen blassen Schimmer.

      Vielleicht komm‘ ich ja dieses Mal auch gar nicht am angepeilten Ziel an. Wer weiß das schon?

      120 Kilometer zu Fuß, das kenn‘ ich zwar schon – so eine für eine Büronuss strapaziöse Erfahrung. Und doch denke ich jedes Mal vor einer längeren Reise per Pedes: Du musst doch krank sein. Wozu wurden Autos, Züge und Flugzeuge wohl erfunden?! Damit du dich zu Fuß durch die Weltgeschichte quälst? Idiot.

      Ich habe bisher eigentlich bei jeder Wanderung mit Blasen zu kämpfen gehabt. Der ,böse Wolf‘ ist mir ebenfalls schon begegnet und manchmal war der abendliche Muskelkater dermaßen stark ausgeprägt, dass ich nicht mal mehr in der Lage war, das Örtchen zu erkunden, in dem ich übernachten wollte. Das war zwar unhöflich, aber eigentlich auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ich aus dem platten Münsterland komme und einige Kilos zu viel auf den Rippen habe.

      Und trotzdem. Ich will mich davon nicht abhalten lassen. Diese Freiheit, die ich auf Tour spüre, sind all diese Schmerzen tatsächlich wert.

      Meine Nervosität legt sich genau in dem Moment, in dem ich meinen geliebten Rucksack am Flughafen in Santiago wieder in den Händen halte und in den Bus zum örtlichen Busbahnhof einsteigen kann, wo ich ja dann wiederum in den Bus nach Ferrol umsteigen will. Da sitze ich nun und merke ziemlich bald: Der Weg, den wir gerade fahren, ist fast derselbe, über den ich vor dreieinhalb Jahren zum ersten Mal in Santiago eingelaufen bin. Und plötzlich scheinen 1.000 Geister um mich herum zu sein. Es sind Erinnerungen an die Menschen, die ich damals kennengelernt habe, aber auch an jene, die mir seither auf meinen weiteren Touren begegnet sind, die auf einmal durch meinen Kopf schwirren. Und an viele Menschen von daheim. Sie beruhigen mich irgendwie.

      Ein seltsames Gefühl. Ich lächle vor mich hin. Falls mich gerade jemand beobachten sollte, so muss er mich und mein dümmliches Grinsen wohl für nicht ganz dicht halten.

      Meine Gedanken schweifen immer weiter ab. In die Vergangenheit, zurück zu meinem Vater, den ich Anfang 2014 verloren habe. Seither habe ich stets das Gefühl, dass er mich begleitet, wenn ich wieder unterwegs bin.

      Urplötzlich werde ich jedoch mit allen Sinnen wieder in die Gegenwart zurückkatapultiert – und zwar deshalb, weil dieser bekloppte Busfahrer gerade übertrieben heftig bremst (ich habe seit meiner ersten Reise zu Fuß durch Spanien, wie viele andere Pilger auch, einen an Panik grenzenden Respekt vor dieser speziellen spanischen Spezies – und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern).

      Was mag in den nächsten Tagen alles passieren? Wer wird meinen Weg kreuzen? Was werden Menschen und Camino dieses Mal in mir bewirken? Denn dass all meine Reisen und vor allem alle Menschen, die mir auf einer solchen Tour begegnen, etwas in mir auslösen, habe ich mittlerweile gelernt. Manchmal tut das zuerst weh. Weil einem vielleicht etwas klar wird. Etwas, das man bisher nicht wahrhaben wollte. Das man aber zu kapieren gezwungen ist, weil dieser Mensch, mit dem man da gerade spricht, einen sanft (oder auch unsanft), aber nachdrücklich, darauf hinweist.

      Manchmal machen solche Begegnungen aber auch einfach nur Spaß, bringen mich zum Lachen.

      Aber meistens helfen sie mir tatsächlich irgendwie weiter. Auch wenn ich nicht selten erst eine Weile brauche, um das zu kapieren. Ich bin deshalb jetzt schon gespannt auf die nächsten Tage.

      Mittlerweile sitze ich endlich im Bus nach Ferrol; es ist zirka 20 Uhr und wir erreichen gerade die Station am Hafen, an der ich aussteigen muss.

      Mein Gott, ist das drückend warm hier; sogar noch um diese Uhrzeit!

      Meine Füße melden sich jetzt schon, obwohl ich noch keinen Meter gepilgert bin, sondern erst morgen die ersten 15 Kilometer vor mir habe.

      Morgen. Dann geht es also los – nach Xubia. Wenn ich die Temperaturen bedenke, die auch jetzt um 20 Uhr immer noch herrschen, werde ich bei meinem Glück vermutlich direkt am ersten Tag einfach mit ‘nem Sonnenstich umfallen.

      Gestorben auf dem Camino Inglés. Nee, lass’ mal. Braucht kein Mensch.

      Im Moment habe ich noch so gar keine Lust auf neue Gesichter. Mir schwirren jene meiner alten Wegbegleiter immer noch zu sehr im Kopf herum, als dass ich mich jetzt schon auf neue Leute einlassen wollte. Deshalb freue ich mich auch erst einmal auf ,mein‘ sehr nett anmutendes ,Hotel Almendra‘. Da wartet nämlich ein Einzelzimmer auf mich. Das Haus liegt zentral, kostet nur 20 Euro pro Nacht (ich habe natürlich nach einem Pilgerrabatt gefragt) und beschert mir meine erste geglückte Unterhaltung auf Spanisch. Ich habe nämlich vor dieser Reise ein paar Privatstunden bei einer Muttersprachlerin genommen und kann mich daher nun auch in der hiesigen Landessprache anmelden und vorstellen.

      Nun ja, ,kann‘ ist mächtig übertrieben, aber zumindest werde ich verstanden.

      ,Ha – auch im hohen Alter von 36 Jahren kann man sowas also noch lernen!‘, denke ich triumphierend. Das Erlernte reicht jedenfalls tatsächlich wenigstens aus, um der Dame an der Rezeption ein breites Lächeln zu entlocken. Es ist mir dabei übrigens vollkommen egal, ob sie mich nun anlächelt oder auslacht – ihr Grinsen kommt so herzlich rüber, dass das allein schon die Spanischstunden wert war.

      Auch mein Zimmer begeistert mich: Das Bett ist fantastisch. Was mich dazu bringt, ernsthaft darüber nachzudenken, ob ich das Abendessen nicht einfach stumpf ausfallen lassen soll, um nach dieser rund zwölfstündigen Anreise direkt mal pennen zu gehen. Wer weiß, wie viele Schnarcher in der nächsten Zeit in den Herbergen meine Nächte ,bereichern‘ werden...

      Doch meine innere Unruhe – naja, okay, wenn ich ehrlich bin: der Hunger ;) – treibt mich vermutlich gleich doch


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