Johann Hinrich Wichern - Herold der Barmherzigkeit. Jürgen Ruszkowski

Johann Hinrich Wichern - Herold der Barmherzigkeit - Jürgen Ruszkowski


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des Gefängnispersonals, für das Wichern Kräfte aus der Brüderschaft des Rauhen Hauses und des Evangelischen Johannesstifts in Berlin genommen hat, die in menschlicher und fachlicher Hinsicht auf diesen Dienst vorbereitet waren. Das letzte Ziel der Gefängnisreform war die Resozialisierung der Gefangenen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Damit verfolgte er das gleiche Ziel wie in der Erziehung und gesellschaftlichen Reintegration der Jugend, für die er im Rauhen Hause das erste Modell der nach dem Familienprinzip aufgebauten Heimerziehung geschaffen hat. So ist Wichern der große Sozialreformer und Sozialpädagoge aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, den die evangelische Kirche hervorgebracht hat. Viele moderne Gedanken über die Erziehung, über Arbeit, Verdienst, Freizeit, Entlohnung, soziale Sicherung und Altersversorgung hat Wichern zuerst gedacht und sie in seinen zahlreichen Schriften begründet und immer weiter ausgebaut.

      Peter Meinholds Gesamtausgabe ist ein kirchengeschichtliches Ereignis, weil sie nicht nur Person und Werk Wicherns in einem neuen Lichte sehen lässt, sondern auch deutlich macht, wie wenig die Kirche des 19. Jahrhunderts den geistigen Anregungen Wicherns zu folgen vermochte und wie groß die späteren Generationen hinterlassene Aufgabe ist, dieses Werk mit seinen sozialethischen, aus dem Glauben kommenden Begründungen in ihre Zeit zu übertragen und umzusetzen.

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      Der junge Wichern

      Nachfolgende Formulierungen stammen teilweise von Dr. theol. Reinhard Freese, Manfred Schick, aber auch aus anderen Quellen, etwa von Erich Beyreuther, Dr. Hans Luckey, 1949 von Ruth Färber ausgewählte und zusammengestellte Texte, aus der Verteilschrift ‚Der Rauhhäusler Bote’ 1954 oder Wikipedia.

      „Ich bin in Hamburg 1808 den 21. April geboren, von guten und liebevollen Eltern, die mich hegten und pflegten, so lange sie konnten; durch die Taufe ließen mich meine Eltern in Gottes Verzeichnis der Christen (da heißt der mit dem heiligen Geist gesalbten) einschreiben Dafür sei Ihnen Dank hier und dort ewig.“ – so lesen wir es im Tagebuch des 18jährigen Johann Hinrich.

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      Wicherns Vaer

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      Wicherns Mutter

      Johann Hinrich Wichern wurde also am 21. April 1808 als ältestes von acht Kindern des gleichnamigen Vaters Johann Hinrich Wichern geboren und am 15. Mai 1808 auf dessen Namen getauft.

      Wichern stammt aus einer Aufsteigerfamilie. Der Großvater väterlicherseits, Nachkomme armer hannoverscher Leineweber, 1770 in die Stadt gekommen, ist noch ungelernter Arbeiter; der Vater arbeitet sich vom Mietkutscher und Schreiber zum kaiserlichen Notar (dazu bedurfte es damals in Hamburg noch keines akademischen Studiums) und durch eisernes autodidaktisches Sprachen-Studium, er beherrschte schließlich zehn Sprachen, zum vereidigten Übersetzer hoch.

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      Taufregister von St. Michaelis

      Doch die Wirren der Napoleonischen Kriege und die Kontinentalsperre vereiteln einen finanziellen Lebenserfolg. Die Mutter, Caroline Maria Elisabeth geb. Wittstock, eine Hamburgerin, stammte mütterlicherseits aus einem verarmten holländischen Adelsgeschlecht und wird als energisch, praktisch und fromm beschrieben. Sie hatte von Jugend auf schwer arbeiten müssen; noch im hohen Alter hat sie im Rauhen Haus Gemüse geputzt und Kartoffeln geschält.

      Wichern besucht eine Privatschule, in der nach der Pädagogik Pestalozzis unterrichtet wird. 1818 wechselt er auf das Johanneum, ein bereits lang bestehendes Gymnasium, das im 16. Jahrhundert von Johannes Bugenhagen, dem Mitstreiter Martin Luthers und Reformator Norddeutschlands, gegründet worden war. Der älteste Sohn, Johann Hinrich, soll studieren. Es ist darum ein furchtbarer Schlag, als der Vater, der sangesfrohe, bildungsbegeisterte, der Romantik zugetane, herzensfromme Vater im Jahre 1823 an Schwindsucht stirbt, als der Sohn 15 Jahre alt ist. Die Tagebucheinträge des jungen Johann Hinrich verraten die tiefe Erschütterung, die noch jahrelang nachklingt. Langsam, aber unaufhaltsam verarmt die achtköpfige Familie. So tapfer Johann Hinrich Wichern für die Mutter und die sechs jüngeren Geschwister durch Privatstunden und Klavierunterricht zum Unterhalt beiträgt, der vorzeitige Abgang von der vorletzten Klasse des berühmten Gymnasiums, des Johanneums, lässt sich nicht vermeiden.

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      Im Johanneum

      Der Sohn verlässt 1823 die Schule kurz vor dem Abschluss, um die Familie mit zu ernähren, und wird Erziehungsgehilfe. Aber der junge Wichern hat schon den zähen Fleiß, der Kennzeichen seines ganzen Lebens ist. Doch in diesem äußeren, bedrängten Rahmen vollzieht sich eine reiche innere Entwicklung.

      Johann Hinrich Wichern ist durch und durch ein Kind der Romantik, einer kulturgeschichtlichen Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte. Das merken wir besonders, wenn wir seine Tagebuchtexte lesen, die uns heute allerdings reichlich pathetisch scheinen.

      Er beginnt, sein Tagebuch zu schreiben, in dem er auch einen Anfang seines geistlichen Lebens schildert (1824). Demnach hatte sein Konfirmandenunterricht ein Bekehrungserlebnis zur Folge: „Der Durchbruch geschah abends, als Gottes Geist mich anfing von neuem zu gebären. Das Licht des Evangelii erleuchtete auch für mich die Wissenschaften … ich habe Fortschritte in jeglichem gemacht.“

      Es ist wunderbar, das der Mensch das, was ihm am allernächsten liegt, – und das ist er selbst – am leichtesten und liebsten übersieht. Wer dies bemerkt hat, soll und wird demnach kein Mittel unbenutzt lassen, seinen Blick auf sich, in sich zurückzuwenden.

      Also der Mensch liebt die Täuschung und deswegen die Perspektive oder das Ferne und deswegen alle anderen Gegenstände – nur kennt er seinen inneren Menschen nicht. Will er den besehen, so muss er eine Brille aufsetzen; die hat er aber nicht, er muss sie annehmen, das macht ihm aber Mühe, und deswegen setzt er sie lieber nicht auf.'

      Nach dem Tode seines Vaters: Jetzt erkenne ich, wie der Heimgang meines unvergesslichen Vaters mir zu großem inneren Segen geworden ist. Herr, wie sind Deine Wege und Gerichte unbegreiflich, 'hoch über den tausendsten Himmel erhaben. Hier heißt es recht: durchs Kreuz zur Freud’!

      Beichtgebet: Liebreicher Vater, ich komme zu Dir als zu meinem Erbarmer und Erlöser, der Du mich allein ganz kennst, weil Du allein meine Schuld kennst. Du weißt, wie oft ich noch fleischlich und irdisch gesinnt bin, wie oft noch verwickelt in törichte Einbildungen, wie unachtsam ich das betrachte, was in mir ist, wie felsenhart mein Herz sich hält gegen Tränen der Reue und den Schmerz über meine Sünden; wie ungestüm ich bin in meinen Handlungen, wie leicht zum Zorn gebracht, wie gehör- und gefühllos gegen Dein heiliges Wort, wie schläfrig beim Gottesdienst und wachsam bei törichten Erzählungen, wie so reich an guten Vorsätzen und so bettelarm an guten Werken. Du weißt es, o Herr, am besten, wie oft ich mich auf Menschentrost verlasse, ihn suche und hoffe, während ich nur den besten und reichsten, den Du für mich bereit hältst, hätte annehmen sollen. Du kennst meinen Unglauben und meine geringe Andacht in Stunden, worin sie nicht fehlen dürften. Und dieses kann alles nicht geändert werden als durch Dich, o Herr, mein Gott! Erbarmer, erlöse mich vom Leibe dieses Todes um Deines Sohnes willen nach, Deiner Gnade. Doch; Dein Wille geschehe in alle Ewigkeit! Amen.

      Ich habe überhaupt erst ein Fünkchen vom Christentum seit April und Mai, wo mein Konfirmationsunterricht bei Wolters begann. Ich hörte in dieser Zeit evangelisches Christentum bei dem lieben Pastor und glaubte historisch. Sache meines Gemütes war es nur selten und in vorübergehenden Augenblicken. Das Ganze war eine tiefe Dämmerung. Ich las die Bibel nicht und auch keine theologischen Schriften. Dabei pochte ich gewaltig auf über die Würde und Wahrheit der Bibel, lernte hundert und einige Sprüche, die ich größtenteils nicht verstand, wusste weder, was Glauben noch was Gerechtigkeit und Hoffnung sei, sprach aber viel davon, als wenn ich es alles wüsste, disputierte in der Zeit viel darüber,


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