Die Jägerin - In Alle Ewigkeit. Nadja Losbohm

Die Jägerin - In Alle Ewigkeit - Nadja Losbohm


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nicht. Hatten wir früher schon sehr wenige optische Gemeinsamkeiten gehabt, so waren die Unterschiede nun noch frappierender. Wahrscheinlich dachten die Leute, die uns zusammen sahen, Michael, in seinen schwarzen Hosen, dem weißen Hemd und der Krawatte, war mein Bewährungshelfer und ich, gekleidet in eine ausgeblichene blaue Jeans, T-Shirt und ausgeleierter Sweatjacke, war die auf die schiefe Bahn Geratene, auf die es galt aufzupassen. Solche skurrilen Momente kamen selten vor. Wir versuchten gemeinsame Spaziergänge auf ein Minimum zu reduzieren. Doch es gab sie durchaus. Ich dankte Gott dann jedes Mal, dass Michael mich mehr mochte als alle Julie Beavers‘ dieser Welt. Ich revanchierte mich bei Michael auch gebührend dafür, dass er für die anderen Frauen, ob Arbeitskollegin oder Passantin, blind zu sein schien und nur Augen für mich hatte. Auf welche Art und Weise brauche ich wohl nicht zu sagen, nicht wahr?!

      3. Kapitel

      Ja, Michael fühlte sich wohl und kam zurecht, und trotzdem schien in ihm eine Sehnsucht zu sein nach seinem alten Zuhause, der St. Mary’s Kirche. Ich selbst wäre niemals auf die Idee gekommen, er könne dorthin zurückgehen, doch dann erhielt ich Anrufe, bei denen mir von seinen Ex-Gemeindemitgliedern berichtet wurde, sie hätten ihn in der Allee vor der St. Mary’s Kirche stehen sehen, wie er sich, mit Einkaufstüten beladen, die Ruine betrachtete. Beim ersten Mal hatte es mir die Sprache verschlagen und ich war auch nicht in der Lage gewesen, ihn zur Rede zu stellen. Zu sehr hatte es mich erschreckt und ich sah meine Zweifel, die ich schon während unserer Zeit in Aidans Haus an der Küste gehabt hatte, bestätigt, er wäre unglücklich. Ich dachte zunächst im Stillen für mich allein darüber nach, aber als es nicht bei einem Mal blieb und sich die Anrufe häuften, wusste ich, ich musste etwas unternehmen. Ich sprach Michael auf seine Ausflüge an. „Sehnst du dich danach zurück, in der St. Mary’s Kirche zu sein? Bist du unglücklich? Wünschst du dir, es wäre wieder wie vor der Zerstörung der Wiege des Bösen?“, fragte ich ihn.

      „Ich bereue nichts“, hatte er mir zur Antwort gegeben, sich lächelnd zu mir heruntergebeugt und mich geküsst. Dann war er zu Rosalie gegangen und hatte fröhlich mit ihr gespielt.

      Ich hatte angenommen, wir seien über die Phase der Geheimniskrämerei hinaus. Aber ich irrte mich ganz offensichtlich. Michael verbarg seine wahren Gefühle und Gedanken bezüglich dieses Themas vor mir. Was sollte ich tun? Wie sollte ich mich verhalten? Ich war ratlos. Mir fiel absolut nichts ein. Und was macht man in solch einem Fall? Man wartet ab und hofft, dass sich die Sache schon irgendwie klären wird. Die Erinnerung an die Zeit, als Mister Hawk, mein alter Nachbar und Michaels langjähriger Freund, gestorben war und Michael lange nicht darüber reden wollte und es schließlich doch tat, als er soweit war, stimmte mich zuversichtlich, es auch dieses Mal so zu handhaben und ihn auf mich zukommen zu lassen, wenn er es wollte. Er tat es nicht. Er kam nicht auf mich zu. Er schüttete mir nicht sein Herz aus. Dafür aber bemerkte ich eine Veränderung an ihm: Mit jedem Tag, der verging, wurde er ruhiger, nachdenklicher, ja regelrecht melancholisch. Unzählige Male fand ich ihn in dem Ohrensessel in unserem Wohnzimmer sitzend vor, unentwegt vor sich hin starrend. Ging ich zu ihm und fragte, was ihn bedrückte, gab er mir zur Antwort, er sei nur müde. Betrachtete ich mir dann sein Gesicht eingehender, stellte ich fest, dass er vielmehr putzmunter aussah. Woher kam die Müdigkeit, die er als Ausrede benutzte, und welcher Art war sie? War er des Lebens müde? War er mich müde? War er unseren Streitereien darüber, wer die Zahnpastatube offen liegen gelassen oder wer das letzte Stück Toilettenpapier genommen und keine neue Rolle hingehängt hatte, überdrüssig geworden? Oder hatte er in Wirklichkeit nur Sehnsucht nach den guten, alten Zeiten oder steckte mehr dahinter? Hatte es etwas mit seiner Arbeit zu tun oder mit den Menschen, die er immer besser kennenlernte? Begann er zu verstehen, woher meine Einstellung kam, dass das Leben unter den Menschen in der normalen Welt nicht wirklich lohnenswert ist? Die Menschen, mit denen er hauptsächlich zu tun gehabt hatte, seine ehemaligen Gemeindemitglieder, unterschieden sich sehr von denen, die er am Zeitungsstand oder an der Ampel kennengelernt hatte, während er darauf wartete, dass es Grün wurde. In seiner heilen Kirchenwelt zu leben, war einfacher gewesen, fern von Missmut, Selbstsucht und Ignoranz. Sehnte er sich danach, sich wieder vor der Wahrheit zu verstecken? Hatte seine Überzeugung, die Menschen würden sich ändern, einen Riss bekommen?

      Auf die Melancholie folgte ein Übermut, der mich schwindelig machte und mich nicht mehr mitkommen ließ. Von einem Tag auf den anderen wollte er plötzlich alles Mögliche ausprobieren. Er wollte das Autofahren lernen und engagierte sogar einen Fahrlehrer, der Mitglied seiner früheren Gemeinde gewesen war. Obwohl ich wusste, dass Michael viele Begabungen hatte und in allem gut, ja perfekt war, überraschte es mich zu hören, dass er im Führen eines Fahrzeuges anscheinend ein Naturtalent war. „Er fährt, als hätte er nie etwas anderes getan“, meinte der Fahrlehrer und war sichtlich stolz auf den ältesten Fahrschüler, den die Welt je gesehen hat. Bis dahin war ich einverstanden damit, dass Michael Fahrstunden nahm und den Führerschein machte. Als er aber davon zu reden anfing, er wolle das Motorradfahren lernen, flippte ich aus! Selbstverständlich würde er auf so einer heißen Maschine toll aussehen. In enge Lederklamotten gezwängt, würde vermutlich jede Frau mit gutem Geschmack Schnappatmung bekommen. Allerdings vergaß er dabei ein wichtiges Detail. „Du bist nicht mehr unsterblich, Michael! Wenn du einen Unfall baust, heilen deine Wunden nicht mehr innerhalb eines Fingerschnippens. Denkst du, Gott hat dir, uns diese zweite Chance gegeben, damit du leichtfertig dein Leben aufs Spiel setzt?“, fuhr ich ihn wütend an. Es ist unnötig zu sagen, dass er nicht auf mich hörte. Die Liste meiner verlorenen Schlachten gegen ihn war lang und wurde mit dieser Diskussion nur noch länger. Somit musste ich zusehen, wie er sich zusammen mit seinen neuen Kumpels auf die heißen Öfen setzte und mich zitternd und bebend vor Angst zurückließ. Dabei war es kaum ein Trost, dass ich einige dieser Kumpels kannte. Ich hatte trotz allem einen riesengroßen Schiss und stand bis spät nachts bei strömendem Regen vor dem Haus und wartete darauf, dass Michael zurückkehrte. Als er dann vorfuhr, war ich entsetzt, dass er keinen Helm trug, um sich zu schützen. Lachend stieg er von dem Motorrad ab und verabschiedete sich seelenruhig von den anderen Männern, die dann davonbrausten und uns in einer stinkenden Abgaswolke stehen ließen. Michael hatte mich noch nicht bemerkt und sah ihnen sehnsüchtig nach. Als er sich dann umdrehte, entdeckte er mich und kam auf mich zugerannt. Stürmisch umarmte er mich, hob mich hoch und wirbelte mich herum.

      „Lass mich runter, du Trottel!“, blaffte ich ihn an und trommelte mit meinen Fäusten auf seine Schultern ein.

      Michael setzte mich wieder auf den Boden ab und sah mich überrascht an. Ich warf ihm einen grimmigen Blick zu, wandte mich um und stapfte zurück ins Haus. „Was hast du denn, Ada?“, rief er mir nach. Das Patschen seiner Stiefel sagte mir, dass er mir folgte.

      „Du bist ohne Helm gefahren“, antwortete ich, ohne mich zu ihm umzudrehen und ihn anzusehen. Ich sah nicht, dass er mir dicht auf den Fersen war und ließ die Haustür hinter mir achtlos zufallen. Erst als ich ein Klopfen hörte, blieb ich stehen und wandte mich um. Michael breitete die Arme aus und sah mich flehentlich, ihn reinzulassen, an. „Was ist los? Hast du keinen Schlüssel?“, trällerte ich mit süßer Stimme.

      „Komm schon, Ada. Lass mich rein“, bettelte er und rüttelte am Türgriff, als würde es irgendetwas nützen.

      „Erst wenn du zugibst, dass du verantwortungslos gehandelt hast“, sagte ich, ging zur Tür und blieb vor dem Glas stehen.

      Michael schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Ich betrachtete seine nassen Haare, die schwer von seinem Kopf hingen. Einige Strähnen kräuselten sich und standen in sämtliche Richtungen ab. „Du hast Recht. Ich sehe es ein, Ada. Ich war verantwortungslos, und nun lass mich bitte rein. Vom Herumstehen wird mir allmählich kalt hier draußen“, meinte er.

      Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir egal, ob er fror. Er war selbst schuld daran. Ich hätte ihn gern noch länger schmoren lassen, aber wenn er mich mit seinen dunklen Augen so reumütig ansah, wurde mein Herz weich und auch meine Knie. Das weiße T-Shirt, das vom Regen durchtränkt und beinahe durchsichtig gemacht worden war und mehr von seiner makellosen Brust zeigte, als mir im Moment lieb war, tat sein Übriges, mich sanftmütiger zu machen. Ich legte eine Hand auf die Türklinke, die von innen angebracht war, und sagte: „Wenn nicht um meinetwillen, dann doch um Rosalies willen.


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