Schuschi, die kleine Kirmeslokomotive, findet ihr Glück. Monika Hermes
sich gemeinsam darüber her zu machen. Es war schon faszinierend, das zu beobachten. Vor allem die Tatsache, dass sie dabei den Kontakt untereinander nie verloren. Diejenigen, die das Essen hochholten, wurden dabei von den anderen festgehalten, so dass der riesige Pulk wie eine Einheit wirkte. Später erfuhr ich dann, dass diese Glühlinge, wie die blauen Wasserameisen sie nennen, nur im Verband existieren können. Sie geben den Eiern die Wärme, die sie zum Wachstum brauchen. Dafür werden sie von den Ameisen versorgt und gefüttert. Inzwischen weiß ich auch, dass sie Grünes, Maden, Regenwürmer und Schnecken verspeisen. All das horten die Ameisen in einem speziellen Bereich am großen Wasserloch, in dem ihre Königin lebt.
Aber der Reihe nach.
Während ich noch so zusah, wurde ich plötzlich von hinten angegriffen. Einige Ameisen waren mit Grünklee zurückgekommen und erspähten mich. Ehe ich mich zur Wehr setzen konnte, wurden mein Kopf und mein Hinterteil von feinen Gespinsten fest umschlungen, die die Ameisen aus einem Fühler an ihrem Kopf produzierten. So konnte ich mich nicht mehr rechtzeitig in mein Haus zurückziehen. Von etlichen Ameisen wurde ich so durch viele Gänge geschleift und endlich an einem Wasserloch in einer großen Mulde abgelegt. Hier befand sich anscheinend der Vorrat dieser Ameisen. Etliche in diesem Gespinst eingepackte Maden, einige ebenso eingewickelte kleine Regenwürmer, jede Menge Blätter, Pflanzen und Kräuterzweige lagen dort sortiert und gestapelt. Ich wurde ganz hinten, direkt neben einen sehr großen Regenwurm, abgelegt. Frustriert schaute ich mich um.
Direkt am Wasser war eine überwölbte Mulde, die mit dem Tümpel verbunden war. Hier lagerten einige sehr große Eier. Die Deckenwölbung war über und über mit diesen Glühwesen überzogen. Ihr Leuchten spiegelte sich zusätzlich in dem kleinen Wasserbecken und erzeugte so eine besonders intensive Lichtquelle. „Dort wachsen die jungen Königinnen heran“, wisperte es neben mir. Erschreckt sah ich zur Seite und bemerkte, dass der große Regenwurm sich vorsichtig bewegte und mich anblickte. „Wo sind wir hier hingeraten?“, flüsterte ich zurück. „Dies ist das Reich der großen Wasserameisen. Sie leben in diesem Bau zusammen mit den Glühlingen, für die sie sorgen. Dafür wärmen diese ihre Eier mit ihrem ungewöhnlichen Licht. Sonst würden die Eier sich nicht zu Ameisen entwickeln. Deshalb leben und ergänzen sich beide Arten miteinander. Die Königin lebt in diesem Tümpel und legt immer mal wieder hunderte von Eiern am Wasserrand ab. Diese werden von den Hortameisen abgeholt und in die verschiedenen Lagerstellen gebracht.
Andere Ameisen sorgen für die Nahrungsbeschaffung. Sie sind den ganzen Tag unterwegs. Die Königin ernährt sich augenscheinlich von Dunkelalgen und kleinen Organismen im Wasser, wenn ich es richtig gesehen habe. Für die Hortameisen, die diesen Bau niemals verlassen, gibt es separate Nahrungslager in unterschiedlichen Gängen. So können sie sich ganz der Pflege ihrer Brut widmen. Sie lüften immer wieder diese Nestbauten und schichten sie um. Sie tragen eine Speichelabsonderung auf einen Teil der Eier auf, die wohl als Nahrung dient. Und sie achten darauf, dass die Lichtquelle der Glühlinge immer ausreichend ist. Bei dem Nest der Königinneneier jedoch wird die Speichelabsonderung zur Nahrungsaufnahme ins Wasser direkt über die Eier gepumpt. Es ist schon eigenartig. Ach ja. Und dann gibt es noch die Ameisenkrieger. Sie schwärmen frühmorgens aus und schützen die verschiedenen Eingänge ihres Baus. Sie greifen auch größere Tiere an, in denen sie eine Bedrohung ihres Volkes sehen. Alles scheint hier System und Ordnung zu haben. Ich bin versehendlich hierher gelangt, als ich durch die Erde wanderte. Leider kam ich direkt in der Nähe einiger Ameisen in diesen Bau und wurde sofort umsponnen und hierher gebracht. Zum Glück glauben sie, dass ich nicht mehr lebe. Doch ich konnte das Umwickelte durch meine Muskeln rechtzeitig lockern und habe genug abgestorbene Pflanzteile, um zu überleben. Nun muss ich nur noch sehen, wie ich mich von dem Rest befreien kann. Und das möglichst, bevor ich als Futter herhalten soll“, grinste Robert.
„Ich bin leider aus Neugier hierher geraten“, bedauerte ich.“ “Mich hat das rote Leuchten angezogen und ich habe mal wieder nicht weiter nachgedacht. Bei den Nestern wurde ich überrascht und von hinten angegriffen und umwickelt. Ich bin übrigens Miranda.“ „Nett, dich kennenzulernen. Wenn auch unter so schlechten Voraussetzungen. Ich bin Robert. Aber Vorsicht, da kommen welche. Stell dich tot.“ Schon lag er unbeweglich da, während weitere Ameisen mit Kräuterbüscheln kamen, die sie in einer entfernteren Ecke stapelten. Dabei warfen sie einen Blick zu uns hinüber. Ich schloss rasch meine Augen und erstarrte ebenfalls. Nach einer Weile wurde es wieder ruhig.
„Du kannst die Augen aufmachen. Sie sind weg.“ Ich schaute vorsichtig hoch. “Ich bin ja sowas von dumm“, jammerte ich. „Hätte ich mich vorgesehen und nicht so fasziniert das Geschehen vor mir beobachtet, wäre mir dieses Unheil nicht passiert. Schließlich habe ich einige Waffen zur Verteidigung.“ „Tröste dich“, beruhigte Robert mich. „Der Überraschungsmoment ist nun mal ihr größter Vorteil. Du bist nicht die einzige, der so etwas passiert. Allerdings haben sie neben dem Einspinnen auch noch ganz andere Waffen. Die spitzen Dolchzähne im Oberkiefer können nicht nur schwer verletzen, sondern betäuben dich auch ziemlich schnell. Eigentlich kannst du von Glück sagen, dass du überrascht wurdest. Denn dann wickeln sie ihre Opfer nur ein und lassen sie so sterben. Ich habe jedoch schon gesehen, wie sie kämpfen, wenn sich jemand wehrt. Einige hängen sich an das Opfer und drücken es zu Boden. Zwei oder drei stechen mit den Dolchzähnen auf es ein und betäuben es zumindest erst einmal. Danach verschnüren sie alles zu einem Bündel und legen es hier ab. Dem Stöhnen nach zu urteilen, ist alles sehr schmerzhaft für die Opfer. Allerdings solltest du ebenfalls sehen, dass du dich rechtzeitig befreist. Denn wenn wir an der Reihe sind, als Futter zu enden, bekommen wir ihren Stachel auch zu spüren. Es scheint entweder eine Vorsichtsmaßnahme zu sein oder es dient zur Verdauung. In jedem Fall ist es aber fatal.“
Ich zerrte an meinen Fesseln. „So nutzt es dir nichts. Das Gewebe ist dehnbar und sehr fest. Ich habe auch schon einiges probiert. Da hilft nur durchtrennen. Aber ich habe nicht die richtigen Zähne dafür“, wisperte Robert. Wieder tauchte eine Gruppe der Ameisen auf und wir beide standen wie versteinert. Dieses Mal schlurften sie in die Ecke mit den Maden. Ein mehrmaliges sssssst ließ mich erschauern. Ganz offensichtlich stachen die Ameisen gerade zu. Ein Zerren und Rascheln. Dann entfernten sich die Geräusche. Ich zitterte am ganzen Körper und traute mich kaum, die Augen wieder aufzuschlagen. „Hast du es gehört? Noch haben sie genug Maden, doch es wird nicht mehr lange dauern, bis wir dran sind.“ „Es ist entsetzlich“, raunte ich zurück.
In diesem Moment bebte die Wasseroberfläche, Wellen schlugen hoch und eine tiefblaue Ameise mit einem riesenhaften Unterkörper kam an den Wasserrand. Sie bohrte mit dem schlauchartigen Stachel an ihrer Hinterseite eine kleine Grube in den Boden. Dann senkte sie ihn hinab und unter heftigen Zuckungen schossen hunderte kleiner Eier heraus. Anschließend verharrte sie einen Moment, ehe sie zu der Wassermulde stakste. Die Hortameisen machten ehrerbietig Platz. Während die Königin die einzelnen Eier inspizierte begann sie, einzelne sanft einzuspinnen. „In zwei Tagen sind sie reif“, grollte sie dabei. „Habt ihr einen genügend großen Regenwurm vorbereitet, damit wir sie dann zum Schlupf hineinlegen können?“ „Selbstverständlich“, ertönte es im Chor. Ein zufriedenes Schnauben, ein Platschen und die Königin verschwand wieder im Wasserbecken.
Robert ächzte schockiert und mir wurde übel bei diesen Worten. „Ich muss sofort hier weg“ stöhnte er. „Zwei Tage!“ Wie wild wand er sich hin und her, doch das Gespinst gab nicht nach. „Das ertrage ich auch nicht länger“, flüsterte ich geschockt zurück. „Ich kann versuchen, dich loszubekommen. Mit meinen Dornen wehre ich normalerweise Feinde ab. Ich kann sie erglühen lassen. Zwar kann ich es auf ein Mindestmaß steuern, doch es könnte ein wenig schmerzhaft werden. Ich erwische dabei auch deine Haut. Das wird etwas brennen.“ „Egal. Hauptsache, ich kann dann entkommen. Nur – wie kriegen wir dich dann ausgepackt?“ „Das ist ja das Problem. Ich wurde so verschnürt, dass ich nichts bei mir selber machen kann. Wenn ich zumindest mein Hinterteil bewegen könnte, hätte ich die Möglichkeit, den Inhalt der Kapsel gegen das Gewebe zu schlagen. Damit kann ich es auflösen. Der Stoff in dieser Kapsel zerfrisst es dann, kann mir selber aber nicht schaden.“ „Hmmm. Da könnte ich helfen. Zwar habe ich keine Zähne zum Zerbeißen, doch kann ich dir durch Muskelkraft zumindest eine gewisse Bewegungsfreiheit