INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Vier. Eberhard Weidner

INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Vier - Eberhard Weidner


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keine Überraschung mehr war. Allerdings sprach Wolfgang so leise, dass Michael kaum ein Wort verstehen konnte.

      Anstatt darüber zu rätseln, mit wem der Chauffeur sprach, nachdem Nero tot war, bemühte sich der Inquisitor, die letzten Meter, die sie noch trennte, ebenfalls unentdeckt zu überwinden, solange der Mann abgelenkt war. Dies gelang ihm besser, als er zu hoffen gewagt hatte, sodass er unmittelbar hinter Wolfgang stand, als dieser das Gespräch beendete.

      »Wird schon schiefgehen. Bis später, Butcher«, verabschiedete sich Wolfgang und steckte das Mobiltelefon weg.

      Immerhin war damit die Identität des Gesprächspartners geklärt. Dennoch gab es noch eine Vielzahl anderer Fragen, auf die Michael Antworten haben wollte. Auch wenn Wolfgang möglicherweise nur eine kleine Nummer bei den Luziferianern war, musste er das eine oder andere über deren Pläne erfahren haben. Schließlich hatte er Michael und Marcella sicherlich nicht grundlos bis zu diesem Ort verfolgt. Und das soeben beendete Telefonat mit Butcher belegte, dass er in dessen Auftrag tätig war und dessen Weisungen befolgte. Vermutlich wusste Wolfgang daher Details über Butchers Operation, die dem Inquisitor unbekannt waren und brennend interessierten.

      Aus diesem Grund hob Michael seine Pistole, die er bereits eine ganze Weile vorher gezogen hatte, richtete sie von hinten gegen den Schädelansatz des Mannes zwei Stufen über ihm und sprach ihn an.

      Die Verwandlung, die daraufhin einsetzte, überraschte den Inquisitor nicht nur, sondern machte es darüber hinaus zwingend erforderlich, dass er seine Pläne mit dem Mann radikal ändern musste.

      Diese Begegnung zu überleben war für Michael natürlich wichtiger als alle Antworten auf seine Fragen, vor allem weil Ersteres mittlerweile ernsthaft in Gefahr war. Außerdem hatte er ohnehin kaum noch Zeit für eine langwierige Befragung, da es bis zu seiner Verabredung mit dem Schweizergardisten an der Pforte der Vatikanstadt nicht mehr allzu lange dauerte und er erst noch dorthin kommen musste. Denn trotz allem, was zwischenzeitlich geschehen war, hatte er weiterhin vor, sich diese einmalige Gelegenheit, ungehindert auf das Gebiet des Vatikans und in die unmittelbare Nähe des Heiligen Vaters zu gelangen, nicht entgehen zu lassen. Ihm blieb daher inzwischen nichts anderes übrig, als die Auseinandersetzung mit dem Gestaltwandler möglichst rasch zu beenden.

      In seiner aufreizenden und überheblichen Art hatte der Wolf mittlerweile die Distanz zwischen ihnen überwunden und beinahe die Füße des Inquisitors erreicht. Er richtete die Schnauze himmelwärts und heulte lang anhaltend und ohrenbetäubend laut, als wollte er seinen Triumph allen mitteilen, die in Hörweite waren und sein Wolfsgeheul zu deuten wussten. Anschließend richtete er den Blick seiner grünen Augen wieder auf sein Opfer und knurrte leise und bedrohlich. Er fletschte seine großen und scharfen Zähne und sprang nach vorn, um dem hilflos vor ihm liegenden Mann die Kehle herauszureißen.

      In seiner tierischen Gestalt bestimmten einzig Wolfsinstinkte sein Handeln. Alles andere, was für den Menschen namens Wolfgang soeben noch wichtig gewesen war, war bedeutungslos geworden. Für die Bestie zählten allein ihre Beute und die Befriedigung ihrer Gier nach Menschenfleisch. Das hilflose Opfer sprach die Triebe des Tiers unmittelbar an und war ein unwiderstehlicher Reiz. Der Wolf konnte gar nicht anders handeln, als sich auf den wehrlosen Mann zu stürzen, ihn mit einem einzigen gezielten Biss seiner kraftvollen Kiefer zu töten und das noch dampfende, blutige Fleisch hinunterzuschlingen.

      Doch so hilflos, wie die Bestie annahm, war der Inquisitor nicht.

      Michael stützte sich trotz seiner Schmerzen mit der rechten Hand auf den Stufen ab, um den Oberkörper in eine waagerechte Position zu bringen, und zog mit der anderen Hand die zweite Glock aus dem Holster unter seiner rechten Schulter.

      Von der zweiten Pistole hatte Wolfgang offenbar nichts gewusst. Und da der Inquisitor einen großen Teil seiner konventionellen Munition für Neros Zombies verbraucht hatte, waren mittlerweile beide Pistolen mit Silberkugeln geladen. Doch um jetzt noch auszuweichen oder die Flucht zu ergreifen, war es für den Wolf zu spät. Die Waffe in Michaels Hand donnerte dreimal ohrenbetäubend laut. Die Mündungsfeuer erblühten wie feuerrote Blitzlichter, rissen Löcher in die Finsternis und erhellten die nähere Umgebung.

      Der Inquisitor war auch mit seiner schwächeren linken Hand ein sicherer Schütze, sodass alle drei Kugeln den heranfliegenden Körper des Wolfs trafen. Das erste Silberprojektil traf ihn in den Hals, das zweite bohrte sich in die breite, behaarte Brust, und das dritte drang in die Stirn und stanzte knapp über der Nasenwurzel ein Loch in den Schädelknochen.

      Die Bestie jaulte kurz und kläglich, verstummte aber wie abgeschnitten, als die letzte Kugel ihr irdisches Dasein beendete. Wie ein flugunfähiger Riesenvogel stürzte der massige Leib zu Boden.

      Michael rollte sich reaktionsschnell in Richtung Wand, um nicht unter dem schweren Körper begraben zu werden. Der Schmerz, der dabei durch seinen Brustkorb schoss, war mörderisch, doch wenn der tote Gestaltwandler auf ihn gefallen wäre, hätte das seinen malträtierten, schon wieder heilenden Rippenknochen vermutlich noch mehr Schaden zugefügt und ihm noch größere Qualen beschert.

      Mit dem Geräusch eines zerplatzenden Kürbisses prallte der leblose Leib auf die Stufen und blieb mit abgespreizten Gliedmaßen und in unnatürlich verrenkter Körperhaltung liegen. Bereits mit dem Tod und noch während des Falles hatte die Rückverwandlung eingesetzt, die beinahe ebenso rasch voranschritt wie zuvor die Verwandlung in einen Wolf. Die widernatürliche Kraft, die den Gestaltwandler beseelt und ihn in die Lage versetzt hatte, seine Erscheinungsform zu wechseln, war mit seinem Tod erloschen. Die Haare des dichten, dunkelbraunen Wolfspelzes fielen überall büschelweise aus, schwebten zu Boden oder wurden von der leichten Brise vom Fluss her davongetragen. Die Knochen verformten sich knirschend und knackend, und die Muskulatur und die inneren Organe passten sich wieder der ursprünglichen Gestalt an.

      Michael steckte die Waffe weg und erhob sich schwerfällig, wobei er sich an der Wand abstützte. Sein Brustkorb schmerzte noch, aber er konnte spüren, wie die Schmerzen nachließen und die Heilung voranschritt. Scheinbar erfolgte sie mit jeder neuen Verletzung, die er davontrug, rascher und effektiver als zuvor, so als perfektionierte sein Körper die erstaunliche Gabe der Selbstheilung fortwährend mit jeder neuen Gelegenheit.

      Als der Inquisitor auf den Leichnam zu seinen Füßen hinabsah, war die Rückverwandlung abgeschlossen. Wolfgang lag in seiner menschlichen Erscheinungsform vor ihm, vollkommen nackt und mausetot. Michael hielt sich jedoch nicht lange mit dem Toten auf, da er in der Dunkelheit ohnehin keine Einzelheiten ausmachen konnte, bevor er sich abwandte und auf die Suche nach seiner Pistole machte.

      Er rechnete nicht damit, dass er die zweite Waffe bei seinem Besuch im Vatikan unbedingt benötigte, aber er wollte die Pistole mit seinen Fingerabdrücken nicht neben der Leiche zurücklassen. Als Inquisitor hatte er zwar die berühmte Lizenz zum Töten, allerdings beschränkte sich die auf Luziferianer. Und da er vom Dienst suspendiert war und sich in einem fremden Land aufhielt, hatte er hier keine Befugnisse und wollte keine unnötigen Spuren zurücklassen, die wie mit leuchtender Schrift auf ihn zeigten. Wie schnell man allein durch gefälschte Beweise in Teufels Küche kommen konnte, hatte er leidvoll erfahren müssen. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass Zivilpersonen – schlimmstenfalls sogar Kinder – die Waffe fanden, bevor die Polizei sie sicherstellen konnte, und damit Unfug trieben, bei dem Unbeteiligte zu Schaden kamen. All diese möglichen Konsequenzen eines nachlässigen Zurücklassens der Waffe wollte Michael vermeiden und nahm sich daher die Zeit, nach der Pistole zu suchen. Er konnte Richtung und Weite der Flugbahn, die die Glock vollzogen hatte, noch gut nachvollziehen und tastete die Stufen am wahrscheinlichen Aufschlagpunkt sorgfältig ab. Nach kurzer Suche wurde er fündig. Er wischte die Waffe oberflächlich ab, um den gröbsten Schmutz zu entfernen, und verstaute sie im Holster. Anschließend rieb er sich die Hände an seiner Hose sauber, folgte den Stufen nach unten und holte den Schwertkoffer, den er dort zurückgelassen hatte.

      Er verschwendete kaum noch einen Gedanken an den Toten, da er mental bereits mit dem bevorstehenden Treffen mit dem Schweizergardisten beschäftigt war. Gewissensbisse darüber, dass er den Gestaltwandler getötet hatte, plagten ihn ebenfalls nicht. Ganz abgesehen davon, dass Wolfgang zu einer der brutalsten Luziferianerarten gehört hatte, die in ihrer tierischen Gestalt regelmäßig Jagd auf Menschen machte und sie zerfleischte,


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