Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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Antwort überdrüssig geworden ist, sagt: »Denken Sie doch mal nach, Quangel, erst das Sudetenland und die Tschechoslowakei und Österreich und nu Polen und Frankreich – wir werden doch das reichste Volk von der Welt! Was zählen da ein paar hunderttausend Tote? Reich werden wir alle!«

      Ungewohnt rasch entgegnet Quangel: »Und was werden wir mit dem Reichtum anfangen? Kann ich ihn essen? Schlaf ich besser, wenn ich reich bin? Werd ich als reicher Mann nicht mehr in die Fabrik gehen, und was tu ich dann den ganzen Tag? Nee, Borkhausen, ich will nie reich werden und so schon bestimmt nicht. So ein Reichtum ist nicht einen Toten wert!«

      Da packt ihn Borkhausen am Arm, seine Augen flackern, er schüttelt den Quangel, während er eilig flüstert: »Wie kannst du so reden, Quangel? Du weißt doch, daß ich dich für so ’ne Meckerei ins KZ bringen kann? Du hast ja unserm Führer direkt gegen’s Gesicht gesprochen! Wenn ich nun so einer wäre und meldete das …?«

      Quangel ist erschrocken über seine eigenen Worte. Diese Sache mit Otto und Anna muß ihn viel mehr aus dem Gleis geworfen haben, als er bisher gedacht hat, sonst hätte ihn seine angeborene, stets wachsame Vorsicht nicht so verlassen. Aber der andere bekommt von seinem Erschrecken nichts zu merken. Quangel befreit seinen Arm mit den starken Arbeitshänden von dem laschen Griff des andern und sagt dabei langsam und gleichgültig: »Was regen Sie sich denn so auf, Borkhausen? Was habe ich denn gesagt, das Sie melden können? Ich bin traurig, weil mein Sohn Otto gefallen ist und weil meine Frau nun vielen Kummer hat. Das können Sie melden, wenn Sie wollen, und wenn Sie wollen, dann tun Sie’s! Ich geh gleich mit und unterschreibe, daß ich das gesagt hab!«

      Während Quangel aber so ungewohnt wortreich daherredet, denkt er innerlich: Ich will ’nen Besen fressen, wenn dieser Borkhausen nicht ein Spitzel ist! Wieder einer, vor dem man sich in acht nehmen muß! Vor wem muß man sich nicht in acht nehmen? Wie’s mit der Anna werden wird, weiß ich auch nicht …

      Unterdes sind sie am Fabriktor angekommen. Wieder streckt Quangel dem Borkhausen nicht die Hand hin. Er sagt: »Na denn!« und will hineingehen.

      Aber Borkhausen hält ihn an der Joppe fest und flüstert: »Nachbar, was gewesen ist, darüber wollen wir nicht mehr sprechen. Ich bin kein Spitzel und will keinen ins Unglück bringen. Aber nun tu mir auch einen Gefallen: ich muß meiner Frau ein bißchen Geld für Lebensmittel geben und habe keinen Pfennig in der Tasche. Die Kinder haben heut noch nischt gegessen. Leih mir zehn Mark – am nächsten Freitag bekommst du sie bestimmt wieder – heilig wahr!«

      Der Quangel macht sich wieder wie vorhin von dem Griff des andern frei. Er denkt: Also so einer bist du, so verdienst du dein Geld! Und: Ich werde ihm nicht eine Mark geben, sonst denkt er, ich habe Angst vor ihm, und läßt mich nie wieder aus der Zange. Laut sagt er: »Ich bringe nur dreißig Mark die Woche nach Haus und brauche jede Mark davon alleine. Ich kann dir kein Geld geben.«

      Damit geht er ohne ein weiteres Wort oder einen Blick in den Torhof der Fabrik hinein. Der Pförtner dort kennt ihn und läßt ihn ohne weitere Fragen durch.

      Der Borkhausen aber steht auf der Straße, starrt ihm nach und überlegt, was er nun tun soll. Am liebsten ginge er zur Gestapo und machte Meldung gegen den Quangel, ein paar Zigaretten fielen dabei schon ab. Aber besser, er tut’s nicht. Er ist heute früh zu vorschnell gewesen, er hätte den Quangel sich frei ausquatschen lassen sollen; nach dem Tode des Sohnes war der Mann in der Verfassung dazu.

      Aber er hat den Quangel falsch eingeschätzt, der läßt sich nicht bluffen. Die meisten Menschen haben heute Angst, eigentlich alle, weil sie alle irgendwo irgendwas Verbotenes tun und immer fürchten, jemand weiß davon. Man muß sie nur im richtigen Augenblick überrumpeln, dann hat man sie, und sie zahlen. Aber der Quangel ist nicht so, ein Mann mit so ’nem scharfen Raubvogelgesicht. Der hat wahrscheinlich vor nichts Angst, und überrumpeln läßt der sich schon gar nicht. Nein, er wird den Mann aufgeben, vielleicht läßt sich in den nächsten Tagen mit der Frau was machen, ’ne Frau schmeißt der Tod vom einzigen Jungen noch ganz anders um! Dann fangen so ’ne Weiber an zu plappern.

      Also die Frau in den nächsten Tagen, und was macht er jetzt? Er muß wirklich der Otti Geld geben, er hat heute früh heimlich das letzte Brot aus dem Küchenspind weggegessen. Aber er hat kein Geld, und woher kriegt er auf die Schnelle was? Seine Frau ist ’ne Xanthippe und imstande, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Früher strichte sie auf der Schönhauser Allee und konnte manchmal richtig nett und lieb sein. Jetzt hat er fünf Blagen von ihr, das heißt, die meisten sind wohl kaum von ihm, und sie kann schimpfen wie ’n Fischweib in der Markthalle. Schlagen tut das Aas auch, zwischen die Kinder, und wenn’s ihn trifft, so gibt es eben ’ne kleine Klopperei, bei der sie immer das meiste bezieht, aber das macht sie nicht klug.

      Nein, er kann nicht ohne Geld zur Otti kommen. Plötzlich fällt ihm die alte Rosenthal ein, die da jetzt ganz allein, ohne allen Schutz im vierten Stock Jablonskistraße 55 wohnt. Daß ihm die olle Jüdin nicht eher eingefallen ist, die ist doch ein lohnenderes Geschäft als der alte Geier, der Quangel! Sie ist ’ne gutmütige Frau, er weiß es noch von früher, als sie noch ihr Wäschegeschäft hatten, und zuerst wird er es auch auf die sanfte Tour versuchen. Will sie aber nicht, so gibt er ihr einfach einen vor den Deez! Irgendwas wird er schon finden, ein Schmuckstück oder Geld oder was zu essen, irgendeine Sache, durch die Otti besänftigt wird.

      Während Borkhausen so überlegt und sich immer wieder ausmalt, was er wohl finden wird – denn die Juden haben noch alles, sie verstecken’s bloß vor den Deutschen, denen sie’s gestohlen haben –, während solcher Gedanken geht Borkhausen immer schneller in die Jablonskistraße zurück. Als er unten im Treppenhaus angekommen ist, lauscht er lange hinauf. Er möchte doch nicht gerne, daß ihn jemand hier im Vorderhaus sähe, er selbst wohnt im Hinterhaus, was sich Gartenhaus schimpft, im Souterrain, hat also zu gut deutsch eine Kellerwohnung. Ihn stört das nicht, nur wegen der Leute ist es ihm manchmal peinlich.

      Es rührt sich nichts im Treppenhaus, und Borkhausen fängt an, eilig, aber leise die Stufen hochzusteigen. Aus der Wohnung der Persickes schallt wüster Lärm, Gejohle und Gelächter, die feiern schon mal wieder. An so ’ne wie die Persickes müßte er mal Anschluß bekommen, die haben die richtigen Verbindungen, dann ginge es auch mit ihm voran. Aber solche sehen einen Gelegenheitsspitzel, wie er ist, natürlich gar nicht an; besonders die Jungen in der SS und der Baldur sind unglaublich hochnäsig. Der Alte ist schon besser, schenkt ihm manchmal fünf Mark, wenn er angesoffen ist …

      In der Wohnung der Quangels ist alles still, und eine Treppe höher bei der Rosenthal hört er auch keinen Laut, so lange er auch das Ohr gegen die Tür legt. So klingelt er rasch und geschäftsmäßig, wie es etwa der Briefbote täte, der es eilig hat, weiterzukommen.

      Aber nichts rührt sich, und nach ein, zwei Minuten Warten entschließt sich Borkhausen zu einem zweiten und später zu einem dritten Klingeln. Dazwischen lauscht er, hört nichts, flüstert aber doch durch das Schlüsselloch: »Frau Rosenthal, machen Sie doch auf! Ich bring Ihnen Nachricht von Ihrem Mann! Schnell, ehe mich einer sieht! Frau Rosenthal, ich hör Sie doch, machen Sie schon auf!«

      Dazwischen klingelt er immer wieder, aber alles ganz erfolglos. Schließlich packt ihn die Wut. Er kann doch nicht auch hier wieder ganz erfolglos abziehen, mit der Otti gibt es einen Heidenstunk. Die olle Jüdsche soll rausgeben, was sie ihm gestohlen hat! Er klingelt rasend, und dazwischen schreit er am Schlüsselloch: »Mach uff, du olle Judensau, oder ick lackier dir die Fresse, daß du nich mehr aus den Augen kieken kannst! Ich bring dich heute noch ins KZ, wenn du nicht aufmachst, verdammte Jüdsche!«

      Wenn er jetzt bloß Benzin bei sich hätte, er steckte dem Aas auf der Stelle die Tür an!

      Aber plötzlich wird Borkhausen ganz still. Er hat tiefer unten eine Wohnungstür gehen gehört, er drückt sich eng an die Wand. Keiner darf ihn hier sehen. Natürlich wollen die auf die Straße, er muß jetzt bloß stille sein.

      Doch der Schritt geht treppauf, unaufhaltsam, wenn auch langsam und stolpernd. Es ist einer von den Persickes, und ein besoffener Persicke, das ist gerade, was dem Borkhausen jetzt gefehlt hat. Natürlich will der auf den Boden, aber der Boden ist durch eine verschlossene Eisentür gesichert, da gibt’s kein Versteck. Nun ist nur noch die einzige Hoffnung, daß der Betrunkene, ohne ihn zu merken, an


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