Tot oder lebendig. Kai Althoetmar
der Hand, daß sich Jugoslawien in aussichtsloser Lage befand, wenn die beteiligten Staaten nicht ohne Verzug eine gemeinsame Front bildeten.“ Jugoslawien, Griechenland und die zaudernde Türkei waren damit gemeint. „Nur die bereits erwähnte Möglichkeit bot sich Jugoslawien immer noch, nämlich ein tödlicher Stoß gegen den ungeschützten Rücken der geschwächten italienischen Armee in Albanien. Wenn es schnell handelte, mochte es einen überwältigenden Sieg für sich buchen; und während sein eigenes Gebiet einem Einfall von Norden her offen lag, mochte es sich in den Besitz großer Massen von Munition und sonstiger Ausrüstung setzen, die ihm die Möglichkeit zur Führung eines Guerillakrieges im Gebirge gaben, der seine einzige Hoffnung bildete. Es wäre ein glänzender Schachzug gewesen, der auf dem ganzen Balkan seine Rückwirkungen gehabt hätte.“34 Jugoslawien war nur eine Schachfigur, die geopfert werden sollte. Es bedarf nicht des Wissens um den Fortgang des Krieges im allgemeinen und des Jugoslawien-Feldzugs der Achsenmächte im besonderen, um vorherzusehen, daß mit in Albanien erbeuteter „Munition und sonstiger Ausrüstung“ für die wenig schlagkräftige und ethnisch fragmentierte Südslawen-Armee kein Krieg gegen Wehrmacht und Verbündete zu gewinnen war und daß deren „Einfall von Norden her“ einen Blitzsieg der Achse bedeuten würde, als wäre es ein zweiter Durchmarsch durch das Großherzogtum Luxemburg.
Churchills Hoffnung sollte sich zunächst nicht erfüllen. Die jugoslawische Regierung wollte ihr Land aus dem Krieg heraushalten. Teile Jugoslawiens fürchteten die Deutschen und wollten an der Seite der Briten in den Krieg eintreten, der andere Teil war deutschfreundlicher oder zog eine abwägende, neutrale Schaukelpolitik vor. Prinzregent Paul, seiner Erziehung, seinen familiären Bindungen und seinen politischen Überzeugen nach eher anglophil, war für Appeasement. In der Bredouille knüpfte Paul bei der Suche nach Unterstützern im Juni 1940 sogar diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion, „das die Karadjordjeviæs bis dahin als ein Land des Antichristen angesehen hatten“, wie der slowenisch-italienische Historiker Joe Pirjevec in seiner Biographie „Tito“ schreibt. „Moskau verlangte zwar im November 1940 und erneut Mitte Januar 1941 von Berlin, die Kriegszone nicht auf den Balkan auszuweiten, und informierte darüber auch die jugoslawische Regierung, viel mehr aber konnte sie nicht tun.“35 Am 4. März 1941 reiste Paul insgeheim nach Berchtesgaden und besuchte Hitler in dessen Privatwohnsitz „Berghof“ in Obersalzberg. Der Prinz verpflichtete sich mündlich, sein Land werde wie zuvor Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Bulgarien dem Pakt der Achsenmächte beitreten.
In London und Belgrad spannten die Briten derweil weiter an ihren Fäden. Am 21. März 1941 richtete Sir Roland Campbell, der britische Botschafter in der jugoslawischen Hauptstadt, an das Londoner Foreign Office eine Anfrage, ob die Regierung Churchill einem Staatsstreich in Belgrad zustimmen und eine neue jugoslawische Regierung unterstützen würde. Am Montag, dem 24. März 1941, erhielt Campbell die volle Genehmigung Londons, alle erforderlichen subversiven Maßnahmen in Jugoslawien zu unterstützen.36
„Da Deutschland alle jugoslawischen Forderungen erfüllte, die dem Vertrag lediglich Symbolcharakter ohne militärische Folgen geben sollten, trat Jugoslawien am 25. März 1941 tatsächlich dem Dreimächtepakt bei, in einer von deutscher Seite bewußt bombastisch arrangierten Zeremonie“, schreibt Stefan Scheil.37 Im Schloß Belvedere in Wien unterzeichneten Ministerpräsident Dragiša Cvetkoviæ und Außenminister Aleksandar Cincar-Markoviæ um 12.00 Uhr den Vertrag. Für die Achsenmächte taten dies die Außenminister Joachim von Ribbentrop und Graf Galeazzo Ciano sowie der japanische Botschafter in Berlin, Oshima Hiroshi, dessen Berichte die Alliierten regelmäßig abhörten. Das Abkommen gefiel weiten Teilen der serbischen Bevölkerung nicht. Nationalistische Kreise, die für ein Großserbien eintraten, Kommunisten und die orthodoxe Kirche bildeten die seltsame Allianz, die auf den Straßen Belgrads die Wut auf die Regierung Cvetkoviæ schürte. Zwei Tage später folgte die Geschichte dann doch dem britischen Drehbuch. In Belgrad wurde geputscht.
William Donovan hatte bei seinem Belgrad-Besuch den serbischen Luftwaffengeneral Dušan Simoviæ getroffen und ihm ein Telegramm Roosevelts überbracht, das zu nicht näher benannten Aktionen und dazu aufrief, sich nicht „überrennen“ zu lassen. Donovan stritt später ab, im Hauptquartier der Luftwaffe zum Putsch angestiftet zu haben. Sein ihm durchaus gewogener Biograph, der britische Journalist und Historiker Anthony Cave Brown, glaubte dem nicht. In der Donovan-Biographie „The Last Hero. Wild Bill Donovan“ heißt es: „Donovan stritt immer ab, Simoviæ irgendwelche Zusicherungen gegeben zu habe. Trotzdem konnten die Protagonisten dieser Ansicht Beweise vorlegen, die jeden vernünftigen Zweifel daran ausschließen, daß Donovan Feuer an die Lunte gelegt hat, die zu Simoviæs Staatsstreich führte - jenem Staatsstreich, der zu Hitlers Einmarsch in Jugoslawien und Griechenland und zur Verschiebung des Unternehmens Barbarossa führte.“38 Im März 1941 schickte Benjamin Sumner Welles, der stellvertretende Außenminister der damals offiziell noch neutralen USA, an Belgrad die Warnung hinterher, weder direkt noch indirekt Deutschland zu unterstützen. Stattdessen solle sich Jugoslawien auf die britische Seite stellen.
In der Nacht vom 26. auf den 27. März 1941 putschten serbische Fliegeroffiziere, angestachelt von Agenten des britischen Auslandsgeheimdienstes, gegen die mehr neutrale als pro-deutsche Regierung Dragiša Cvetkoviæ in Belgrad. Dušan Simoviæ war auch deren Verständigungsbereitschaft gegenüber Kroatien ein Dorn im Auge. Schon länger intrigierte er dagegen. Als eigentlicher Motor des Putsches im serbischen Offizierskorps gilt jedoch der General Boris Mirkovic. Er war es, der am 27. März 1941 den Staatsstreich durchführte, den Prinzregenten und das Kabinett Cvetkoviæ absetzte und den minderjährigen König Peter (Petar) II. einsetzte.
8. In Drvar
In meinem Notizbuch halte ich meinen ersten Eindruck über Drvar fest: „Potthäßliche Stadt“. In der flirrenden Juli-Mittagshitze schleppen wir uns schwerbeladen zum Restaurant „Madeira“ hoch, als ginge es zum Gipfel der Vulkaninsel. Auf dem Weg verwerfe ich die Idee, unser Zelt an diesem schulfreien Samstag doch einfach hinter dem Schulgebäude aufzuschlagen. Der „Madeira“-Wirt zeigt uns die Zimmer, radebrecht gezwungen auf Englisch. Der nächste defätistische Notizbucheintrag wird lauten: „Hotel wie aus ‘Psycho’. Zimmer vermutlich zuletzt vor Krieg vermietet.“ Auch der Wirt trägt, als er nach meiner Kladde verlangt, etwas ein, eine Zahl. Wir sind uns aber schnell einig, daß 30 und nicht 40 Euro für zwei Nächte in seiner ostigen Rumpelkammer unterm Dachfirst eine Top-Offerte sind, die nur der Leidensfähigkeit meiner beiden jungen Begleiter auf dieser Balkan-Parforcetour zu verdanken ist und gewiß so schnell nicht wiederkehren wird.
Am Abend sind wir die einzigen, die in der Gaststube essen. Drei Einheimische kehren im Laufe der Stunden ein, ein jeder beläßt es bei einem Getränk. Die zahllosen Fliegen sind immer da. Am nächsten Morgen baut der Wirt auf dem Parkplatz einen ehrfurchtgebietenden elektrischen Grill auf, in dem sich ein saftiger Hammel dreht. Fett tropft, zischt und spritzt. Das kastrierte Schaf ist für die Hochzeitsgesellschaft in der Stadt ausersehen. Vom Balkon beobachten wir zwei Polizisten, die die Ausfallstraße nach Bosnisch Grahovo kontrollieren. Meist stehen sie nur im Schatten herum oder löffeln Suppe. Winken sie Autos heraus, sind es die mit „HR“-Kennzeichen. Hrvatska, der alte Erzfeind. Drvar ist - demographisch - Domäne bosnischer Serben. Zur kroatischen Grenze sind es nur zwölf Kilometer.
Drvar, 475 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, ist heute eine Kleinstadt der Föderation Bosnien und Herzegowina, der Entität der muslimischen Bosniaken und der hiesigen Kroaten. Die Grenze zur anderen Entität des Staates Bosnien-Herzegowina, der Republik Srpska, verläuft zehn Kilometer nördlich. Die meisten der etwa 7.000 Einwohner Drvars sind Serben, keine zehn Prozent sind Kroaten, gerade elf Bewohner sind Bosniaken. So war es vor dem Bosnienkrieg, so ist es heute. Nur hatte Drvar 1991 noch 17.500 Einwohner.
Nachdem im April 1992 der Krieg ausgebrochen war, kontrollierten bosnische Serben die Stadt. Im August 1995 nahmen kroatische Einheiten Drvar ein. Tausende Serben flohen oder wurden von den Kroaten vertrieben. Kroaten waren in Drvar plötzlich in der Mehrheit, das Städtchen wurde zur Geisterstadt. Die Stadt und der Kanton wurden mit dem Dayton-Abkommen November 1995 der Föderation Bosnien und Herzegowina zugeschlagen. In der Folge siedelten sich etwa 10.000 bosnische Kroaten in Drvar an. Die ethnischen Konflikte aber gingen weiter. Als im Oktober 1996 350 Serben in ihre Häuser zurückkehren wollten, vereitelten das