Wenn wir 1918 ……. Walter Muller
Genossen! Es ist natürlich gar nicht daran zu denken, dass wir diese Bedingungen annehmen. Mag die Entente die neue Regierung in Amerongen anerkennen! Das kann uns nur recht sein. Der frühere Kronprinz hat, aus Wieringen zurückgeholt, den Vorsitz übernommen. Die eigentlichen Manager dieser Regierung sind die Herren Stinnes, Thyssen und Klöckner. Eine Regierung ohne Land, eine Regierung ohne Anhänger, wenn man nicht gerade die Ententetruppen als ihre Anhänger betrachten will. Die erste Tat dieser neuen Regierung ist glatter Landesverrat. Durch englische und französische Flieger ließ sie Flugblätter über unseren Reihen abwerfen. Unsere Kameraden und vor allem die Offiziere werden aufgefordert, der Revolutionsregierung die Gefolgschaft zu versagen. Die Waffen sollen niedergelegt und an die Entente ausgeliefert werden. Die neuen Waffenstillstandsbedingungen sind von dieser angeblichen „Volksregierung" ohne weiteres angenommen worden. Was denkt ihr, Genossen, wie wird die Front auf diese Flugblätter reagieren?"
Der Delegierte des Zentralsoldatenrats der Westfront erhält das Wort:
„Genossen! Dieser Aufruf wird vielleicht Erfolg haben bei den Etappenoffizieren, bei den Offizieren, die das Ende des Krieges in der Heimat abgewartet haben. Er wird aber wenig Erfolg haben bei den Offizieren der Westarmee. Die letzten Monate in Frankreich und Belgien sind eine gute Vorschule für die Revolution gewesen. Die tiefe Kluft, die fast während des ganzen Stellungskrieges zwischen Mannschaften und Offizieren bestand, ist in den letzten Monaten fast ganz verschwunden. Es gab keine besonderen Offiziersunterstände, kein besonderes Offiziersessen mehr. Es gab nur Rückzug, harten Kampf gegen den nachrückenden Gegner. Verluste, viele Verluste. In elenden, schnell ausgeworfenen Erdlöchern, verschmutzt und verdreckt, bei kärglicher, schnell verschlungener Nahrung. So haben wir die letzten Monate zusammen gelebt, gekämpft und gelitten. Unter diesen Umständen sind sich Mannschaften und Offiziere viel näher gekommen als jemals zuvor während des ganzen Krieges. Die Mehrzahl der wirklichen Frontoffiziere wird daher ihre Mannschaften auch jetzt nicht verlassen. Sie werden aus dem jung erwachsenen Kameradschaftsgefühl bei uns bleiben. Vielleicht wäre das alles anders, wenn die Revolution weiter nichts gewesen wäre als Defaitismus.
Jetzt aber wissen wir, wofür wir weiterkämpfen. Jetzt erhalten auch die Kämpfe, die wir hinter uns haben, die Millionen von Todesopfern, noch nachträglich einen Sinn. Jetzt kennen wir die große, herrliche Aufgabe, die wir zu lösen haben. Und wir werden diese Aufgabe lösen, Genossen. Natürlich wird der Klassenunterschied sich bemerkbar machen, darum müssen die Frontoffiziere in unsern Reihen sorgsam überwacht werden. Alle Elemente, die sich weigern, mit uns zu kämpfen, werden als Kriegsgefangene behandelt."
Das Wort erhält der englische Genosse Smith:
„Genossen! Ich war Telegraphist im Interalliierten Hauptquartier. Ich hätte der Revolution auf diesem Posten unschätzbare Dienste leisten können. Wenn ich ihn trotzdem verlassen habe, dann könnt ihr daraus erkennen, dass es eine sehr wichtige Sache ist, die mich hierher trieb. Es gelang mir, die Maas noch kurz vor den Ententetruppen zu überschreiten. Von Wesel aus bin ich in einem Flugzeug des Arbeiterrates hierher geeilt, um euch die ungeheuerlichen Pläne der Ententestaaten mitzuteilen. Ein interalliierter Kriegsrat hat sich mit der Lage befasst und beschlossen, an allen Fronten sofort sämtliche Machtmittel einzusetzen.
Im Fernen Osten sollen alle verfügbaren Seestreitkräfte gegen Wladiwostok konzentriert werden, dessen Verlust in den nächsten Tagen man befürchtet. China soll in den Kampf gegen die russische Revolution eingereiht werden. Japan war bereit, seine ganze Armee nach Sibirien zu werfen. Auf den Einspruch Amerikas ist aber beschlossen worden, dass immer eine gleich starke Zahl von Amerikanern und Japanern eingesetzt wird.
Afghanistan soll sofort von englischen Truppen besetzt werden, um den russisch-deutschen Vorstoß auf Indien abzuwehren. Alle französischen, englischen und italienischen
Schiffe im Mittelmeer sollen sofort im Schwarzen Meer eingesetzt werden und nötigenfalls den Durchgang durch die Dardanellen erzwingen. Die Franzosen, die vorher die stärksten Befürworter dieses Plans gewesen sind, hatten plötzlich Bedenken, als die ersten Nachrichten über die Meuterei in der Schwarzmeerflotte eintrafen. Jetzt bestanden aber die Engländer darauf, ohne Rücksicht auf Verluste alle Seestreitkräfte einzusetzen. Das Kräfteverhältnis der Flotten hat sich durch den furchtbaren Aderlass der englischen Nordseeflotte grundlegend geändert. Der unerwartet starke Widerstand in Schleswig-Holstein macht es wahrscheinlich, dass die im Kanal eingeschlossenen Teile der englischen Flotte verloren gehen, wenn nicht zu ihrem Entsatz außerordentliche Anstrengungen gemacht werden. Die Vertreter Frankreichs weigerten sich zunächst, diese Desperadopolitik mitzumachen. England drohte daraufhin, all seine Truppen von der Rheinlinie zurückzuziehen, Frankreich gab nach und musste sich sogar bereit erklären, seine Flotten dem englischen Kommando zu unterstellen. Wilson hat sich geweigert, diese Politik, die seinem Programm völlig widerspreche, mitzumachen. Die amerikanische Generalität hat jedoch, gestützt auf die einflussreichsten Finanz-und Industriekreise der Vereinigten Staaten, den Präsidenten unter Androhung von Gewaltmaßnahmen gefügig gemacht. Alle in englischen und französischen Häfen liegenden Schiffe werden in fieberhafter Eile für den Truppentransport vorbereitet. In einzelnen Häfen streiken die Hafenarbeiter. Um die furchtbaren Verluste durch Minen, vor allem durch Treibminen zu vermindern, werden Tausende von Klein- und Fischereifahrzeugen in den Minensuchdienst eingereiht. Alle amerikanischen Truppen sollen in Schleswig-Holstein eingesetzt werden, wohin bis jetzt schon über 200000 Mann geschickt worden sind. Allerdings dürfte nur die Hälfte davon den festen Boden erreicht haben. Es kommen aber noch mehr, viel mehr! Sie sollen alle in
Schleswig-Holstein und an der Ostseefront, die man bis nach Petrograd auszudehnen hofft, eingesetzt werden. Der Kapitalismus macht gewaltige Anstrengungen, um die junge Revolution zu unterdrücken. Aber es sind seine letzten Anstrengungen, Genossen. Sie setzen alles auf eine Karte, aber es ist die einzige Karte, die letzte Karte, die sie noch haben. Sie wissen es, genau so gut wie ihr, dass ihre Stunde geschlagen hat. Wenn die Welt zur Ruhe kommt, wenn ihr einige Jahre oder Jahrzehnte Zeit habt, am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft zu arbeiten, und wenn auch nur in dem Rahmen eures jetzigen Machtbereichs, dann ist der Siegeszug des Sozialismus nicht mehr aufzuhalten. Wenn Russland und Deutschland, die Donauländer, der Balkan und die Türkei zusammenhalten, so sind sie in einigen Jahren unüberwindlich. Die Anziehungskraft eines so großen Reiches mit sozialistischer Zielsetzung auf die unterdrückten Völker in Asien und Afrika wird gewaltig sein. Dazu darf es nicht kommen, sagen sich meine kapitalistischen Landsleute. Deshalb wollen sie jetzt gleich, solange sie noch Millionenarmeen unter den Waffen haben, die Revolution niederschlagen oder wenigstens auf das östliche Europa und das asiatische Russland zurückwerfen, deshalb wollen sie alle Industriegebiete vom Herd der Revolution abriegeln. Russland allein, so glauben sie, mit seiner schwach entwickelten Industrie und mit seiner rückständigen, mittelalterlichen Landwirtschaft wird nicht imstande sein, ohne fremde Hilfe den Sozialismus zu verwirklichen. Es geht um Sein oder Nichtsein des Kapitalismus, deshalb werfen sie all ihre Kräfte in den Kampf. Deshalb schrecken sie vor keiner Gemeinheit, vor keinem Neutralitätsbruch zurück. Die holländische, schwedische und norwegische Neutralität brachen sie bereits. Mit kapitalistischen Kreisen der Schweiz und Dänemarks sind Verhandlungen im Gange. Ihr seht, Genossen, dass große Anstrengungen gemacht werden, euch zu vernichten. Das sieht schlimm aus, aber nur für den ersten Augenblick. Denn gerade diese Tatsache berechtigt uns auf lange Sicht zu den größten Hoffnungen. Je mehr Anstrengungen gemacht werden, euch zu vernichten, je stärker die Entente alle Kräfte anspannen muss, um so leichter wird es möglich sein, den englischen, französischen und amerikanischen Genossen und Soldaten für die Revolution zu gewinnen. Der Kampf, der jetzt begonnen hat, entscheidet nicht nur über das Schicksal Mittel- und Osteuropas, er entscheidet jetzt auch über das Schicksal Westeuropas. Es handelt sich nach diesem Frontalangriff des Kapitalismus bereits nicht mehr um die Frage: sozialistisches Osteuropa neben einem kapitalistischen Westeuropa? Die Frage lautet jetzt: sozialistische oder kapitalistische Welt? Wir aber, Genossen, werden für die sozialistische Welt kämpfen."
(Langanhaltender Beifall.)
Lenin spricht (2 Uhr nachts): „Genossen, wir wollen uns jetzt von unseren asiatischen und afrikanischen Brüdern verabschieden. Auf Flugzeugen, Luftschiffen und Unterseebooten wollen sie versuchen, ihre Heimat zu erreichen. Sie verlassen uns jetzt, um sich bald ganz mit uns vereinigen zu können. Sie werden in ihren Ländern überall