Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich

Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1 - Gerstäcker Friedrich


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Luxus ausgestatteten Räumen, von rauschender Musik durchströmt, von zahllosen Lampen erhellt, und mitten darin, das Centrum des Ganzen bildend – der eigentliche Blocksberg, zu dem in der Nacht des ersten Mai der böse Feind seine Anhänger zieht, sie dort zu einem wilden Fest vereinigend, – standen die grünen Tische mit Gold, Silber und Banknoten bedeckt. Das Auge der Opfer, die sich um die gefährlichen Stellen drängten, sah aber nicht den milden Mondenglanz, der draußen an den Hängen lag – ihr Ohr vernahm nicht einmal die rauschende Musik umher, viel weniger noch das geheimnißvolle Murmeln der unterirdischen Quellen, denn nur an dem blitzenden, klingenden Gold auf den Tischen hingen die Sinne. Was kümmerte sie die Welt, und wenn sie sich in ihrer ganzen Pracht entfaltet hätte!

      Aus den hell erleuchteten Räumen in die Mondnacht hinein schritt eine kleine schmächtige Gestalt, das Antlitz todtenbleich, das dünne röthliche Haar wirr um die Schläfe hängend und dabei so vollständig rath- und gedankenlos, daß er selbst ohne Hut hinaus in’s Freie wollte. Der Portier an der Thür wußte aber besser, was sich schickt; er war außerdem Menschenkenner und hatte die kleine dürftige Gestalt schon aufmerksam betrachtet, als sie die erleuchtete Halle nur betrat – ja sogar dem fadenscheinigen Rock den Eintritt verweigern wollen. Jetzt reichte er ihm schweigend und mit einem bedauernden Achselzucken – denn ein Trinkgeld stand nicht in Aussicht – den Hut, und der kleine blasse Mensch stürmte hinaus – fort. Und nicht einen Blick warf er umher – zwischen den Bänken, Tischen und Stühlen, die draußen unter den Schattenbäumen im Freien standen, wand er sich hindurch, der schmalen eisernen Brücke zu, die über die Lahn führt. Diese überschritt er; /11/ an dem Bassin vorüber, in welchem die heißen Wasser abgekühlt werden, ging er, den Blick fest auf den Boden geheftet, – drüben passirte er das letzte Haus und schlug sich dann, hügelan, in ein kleines Wäldchen hochstämmiger süßer Kastanien hinein, das, von Blüthen bedeckt und wie mit Silber übergossen, seine ganze Pracht entfaltete.

      Aber was kümmerte den Unglücklichen die herrliche Mondnacht und der Schmelz der Blüthen! Finstere Gedanken zerquälten sein Hirn, und mit festverschränkten Armen schritt er durch den kleinen Kastanienhain bis zum obern Rand hinan, wo er sich aus Sicht von jeder menschlichen Wohnung, von jedem begangenen Wege befand. Dort erst hielt er an und warf den scheuen Blick umher.

      Es dauerte übrigens nicht lange, bis er das gefunden, was er zu suchen schien: einen starken, gerade ausgehenden Ast eines der stärkeren Kastanienbäume, und dort – wie an einem Ziel angelangt, die Stirn in finstere Falten gezogen, das Auge düster drohend, schleuderte er seinen Hut zu Boden und begann seine Vorbereitungen zu einem letzten, verzweifelten Schritt.

      Er knöpfte seine Weste auf und schlang ein nicht dickes, aber sehr festes Seil los, das er sich um die Taille gewunden hatte. Dann, ohne sich auch nur einen Moment zu besinnen, machte er mit kundiger Hand an dem einen Ende eine Schleife und warf das andere Ende über den Ast.

      Hier aber traf er auf eine Schwierigkeit, auf die er anfangs nicht gerechnet haben mochte. Der Ast stand vortrefflich aus, aber er war für seine kleine Statur zu hoch, wie der Baum ebenfalls zu dickstämmig, um ihn zu erklettern – der angehende Selbstmörder schien wenigstens in solchen gymnastischen Künsten nicht geübt.

      Er hielt jetzt einen Moment in seiner Arbeit inne, um sich zu überlegen, wie er dies Hinderniß am besten überwinden könne. Es war auch in der That nicht so leicht, und er dachte gerade daran, sich vielleicht einen bequemeren Baum auszusuchen, als er plötzlich zusammenschrak; denn dicht und unmittelbar neben sich hörte er eine Stimme, die mit der größten Ruhe und Unbefangenheit sagte:

      /12/ „Der Baum ist ein bischen unbequem – Sie hätten sich einen etwas niedrigeren Ast aussuchen sollen. Ich glaube, der dort drüben wäre besser geeignet.“

      Der Selbstmörder fuhr wie von einer Natter gestochen herum und sah unter den Bäumen, aber gerade von einem Strahl des hindurchbrechenden Mondlichtes getroffen, die Gestalt eines anständig gekleideten Herrn, der dort mit dem Rücken an dem Stamm einer Kastanie lehnte und allem Anschein nach schon dort gewesen sein mußte, als er selber den Platz betrat, denn die Schritte eines Nahenden hätte er jedenfalls gehört. Der aber doch zur Verzweiflung getriebene junge Mensch war nicht in der Stimmung, Rücksicht auf irgend Jemanden zu nehmen. Was hatte der Lauscher hier zu thun? Ihn an seinem Vorhaben zu verhindern? Die Folgen über ihn, und mit seiner rechten Hand blitzesschnell in die Tasche greifend, zog er ein kleines Einschlagmesser heraus öffnete dasselbe rasch und sagte dann mit drohender Stimme:

      „Was wollen Sie hier? Wie sind Sie hierher gekommen? Beim Himmel, wenn Sie versuchen wollten, mich hier zu stören, so haben Sie sich an den falschen Mann gewandt. Wo ich im Begriff bin, mein eigenes Leben in die Schanze zu schlagen, können Sie sich wohl denken, daß ich keine Rücksicht auf das eines Fremden nehme. Fort von hier! Wenn Sie nur den geringsten Versuch machen sollten, mir zu nahen, so renne ich Ihnen dies Messer in den Leib.“

      „Aber, verehrter Herr,“ sagte der Fremde, ohne sich durch die Drohung einschüchtern zu lassen, oder auch nur eine Bewegung zu machen, als ob er dem Gebot Folge leisten wolle, „ich habe nicht die entfernteste Absicht Sie zu stören, oder Ihnen in einem guten Vorsatz hinderlich zu sein. Ich stehe Ihnen im Gegentheil mit Vergnügen zu Diensten, wenn ich Ihnen dabei in irgend etwas nützen kann.“

      Der Unglückliche betrachtete ihn noch immer mißtrauisch. Es war eine nicht übermäßig große, schlanke Gestalt mit regelmäßigen, aber blassen Gesichtszügen – oder gab ihm nur das grelle Mondlicht diese Färbung? Nach der neuesten Mode gekleidet, quollen unter seinem Cylinderhut volle rabenschwarze Locken vor, und indem er jetzt den leichten Ueberrock zurück /13/ schlug – als ob ihm etwas warm darunter würde, zeigten sich verschiedene bunte Decorationen auf seiner Brust. Er gehörte jedenfalls den höheren – wenigstens den bevorzugten Ständen an.

      „Ich verstehe Sie nicht,“ sagte der Unglückliche, nachdem er den Fremden ein paar Momente in düsterem Schweigen betrachtet hatte; „Sie wollen mir helfen, meinem Leben ein Ende zu machen, das ich nicht im Stande bin, länger zu ertragen? Weshalb?“

      „Sie nennen gleich den Grund mit,“ sagte der Fremde mit einer leichten Handbewegung. „Wenn Sie wirklich nicht im Stande sind, es länger zu ertragen, so ist es Ihnen doch eine Last, und was sollte mich da abhalten, Ihnen zu nützen? Weil die Handlung vielleicht ungesetzlich ist? Die Sache würde komisch sein, wenn sie nicht auch ihre ernste Seite hätte – aber entschuldigen Sie,“ unterbrach er sich selber, „wenn ich Sie durch mein Geschwätz so lange aufhalte. Der Ast da ist Ihnen ein wenig zu hoch, ich habe aber, als ich hierher kam, dort drüben eine kleine Leiter stehen sehen, die der Gärtner wahrscheinlich zu irgend einem Zweck benutzt; ich glaube, daß dieselbe Ihrem Zweck vollständig genügen wird, und wenn Sie erlauben, hole ich Ihnen dieselbe – ich bin den Augenblick wieder hier.“ – Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, ging er vielleicht zwanzig Schritt unter den Bäumen hin und kehrte wirklich gleich darauf mit einer kleinen Leiter zurück, die er neben dem Unglücklichen mit der unbefangensten Miene von der Welt an den Baum lehnte.

      Der Selbstmörder hatte ihn noch immer im Verdacht, daß alles dieses nur ein Vorwand sei, um an ihn hinan zu kommen, damit er plötzlich auf ihn springen und ihn an der That verhindern könne; er trat auch ein paar Schritte von dem Manne zurück und hielt das gezückte Messer noch immer in der Hand – fest entschlossen, keiner menschlichen Gewalt zu weichen. Der Fremde aber achtete nicht einmal auf die drohende Bewegung, und als er die Leiter so gestellt hatte, daß man jetzt von ihr aus bequem den Ast erreichen konnte, wandte er sich wieder ab, ging zu seiner alten Stelle und sagte dann ruhig:

      /14/ „So, lieber Freund, jetzt sind Sie nicht im Geringsten mehr gehindert; wenn Sie die Schlinge gemacht und um den Hals gelegt haben, brauchen Sie nur die Leiter mit den Füßen umzustoßen, und das Resultat wird ein vollständig befriedigendes sein. – Bitte, geniren Sie sich auch nicht etwa meinetwegen; ich bin schon sehr häufig Zeuge solcher oder ähnlicher Handlungen gewesen und vollständig daran gewohnt.“

      Der junge Mensch war, als er diese Stelle betrat, fest entschlossen, seinem wahrscheinlich verfehlten Leben ein Ende zu machen, und er hätte auch alle Schwierigkeiten, die sich ihm da in den Weg stellen konnten, in seiner doch nun einmal verzweifelten Stimmung überwunden. Dieses Entgegenkommen eines Fremden aber, diese wahrhaft entsetzliche Gefälligkeit, mit


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