Tokeah. Charles Sealsfield
das Ruder ins Wasser senkend und ihre Körper vorwärts biegend, brachten sie es schnell in eine parallele Linie mit ihrer Schulter, wandten die Schneide der Strömung zu und gewannen so die nötige Richtung. Die Art des Ruderns der Eingeborenen in diesen Gegenden unterscheidet sich von dem gemessenen Ruderschlage der Amerikaner und ist der Bewegung der Wasservögel nicht unähnlich. So wie die Ente ihren Fuß mit einem kurzen Stoß vorwärts wirft und dann zurückzwingt, mit ebenso vieler natürlichen Behendigkeit behandelten die Mädchen ihre Ruder. Zuerst fuhren sie eine kurze Strecke stromaufwärts, wandten sich dann und flogen mit Blitzesschnelle abwärts, wandten sich wieder und trieben so eine geraume Zeit ihr Spiel. Die andern Kähne hatten sich mittlerweile gleichfalls mit Mädchen gefüllt, und die sechs Schiffchen schienen nun ernstlich willens, sich in ein Wettrudern einlassen zu wollen. Zuerst stellten sie sich in eine Linie, und als mit lautem Rufe von dem Truppe der Squaws am Ufer das Zeichen gegeben wurde, setzten sie ihre Hände in Bewegung. Es war jedoch bald zu ersehen, daß das neue Kanu die Überhand gewann. Ehe die übrigen den ziemlich großen Bogen, den hier der Fluß bildet, verlassen hatten, war es bereits weit in der Strömung vorangeeilt, die unmittelbar darunter anfängt. Plötzlich wurde ein scharf durchdringender Schrei gehört. Noch einen Augenblick wurde das Kanu von den andern gesehen, und dann verschwand es zwischen dem Rohre. Von allen fünf stieg nun ein gleich durchdringender Schrei aus, der für die Mädchen und Weiber am Ufer das Signal zu einem um so schnellern Wettlaufe wurde, als Ängstlichkeit und Neugierde die spornende Veranlassung waren.
Rosa war sinnend dagestanden. Sie hatte wohl einen Schrei gehört, aber sie wußte nicht, woher er kam. Nun hatte sie sich vom Strudel mit fortreißen lassen und war so viel als möglich geeilt, mit den vordersten gleichen Schritt zu halten. Auch war es ihr eine Zeitlang gelungen, so lange nämlich als die Richtung, die die laufenden Weiber nahmen, nicht ganz deutlich war. Als aber die vordersten die Lichtung bereits überschritten und den bekannten Pfad einschlugen, begann ihr Herz zu pochen. Immer langsamer wurden ihre Schritte, ihre Füße schienen ihr den Dienst zu versagen, und sie mußte einige Zeit innehalten. Daß es dem Fremdlinge galt, dessen war sie gewiß. Aber warum hatte Canondah die Squaws selbst auf die Spur gebracht? Sie keuchte zitternd dem Pfade entlang, wo sie endlich, am Kottonbaume angelangt, Weiber, Mädchen, Jünglinge und Knaben versammelt fand, die Jüngern voll Verwunderung, die Alten mit finstrer Miene den Fremdling anstarrend.
Ein dumpfes Gemurmel, das sich erhob und stärker und stärker wurde, schien eben kein sehr günstiges Vorbedeutungszeichen der Gastfreundschaft der roten Weiber für den Jüngling, der, auf den Baumstamm gelehnt, seine Augen noch immer geschlossen hatte, allem Anschein nach sich dessen unbewußt, was um ihn herum vorging. Der Teppich und das Halstuch waren jedoch verschwunden, und seine Wunde lag den Blicken der Menge offen.
»Seht,« sprach Canondah, die mitten im Kreise der Squaws und Mädchen stand, »der Häuptling der Salzsee hat einen Boten in seinem Kanu gesandt, und die große Wasserschlange hat ihn gebissen.«
Sie warf diese Worte mit einer Zuversicht hin, die allem, was sie sprach und tat, jenes bestimmte Gepräge gab, dem man nicht leicht widersprechen konnte. Mit der nämlichen Offenherzigkeit erzählte sie, daß sie in ihrem Wettrennen bis zur Stelle gekommen, wo der Fremde es versucht hatte, sich dem Ufer zu nähern. Ob jedoch sie selbst ihre Gefährtinnen auf die zurückgelassenen Merkmale seines Versuches aufmerksam gemacht, oder ob die drei Mädchen mit der den Indianern eigenen Scharfsichtigkeit die Entdeckung gemacht, war noch immer zweifelhaft. Diese erzählten jedoch ganz unbefangen die gemachte Entdeckung, wie der Jüngling sich mühsam durch die Palmettofelder gezwungen und erschöpft am Baume niedergesunken sein müsse. Einige der alten Squaws hatten den Bericht schweigend, aber mit einer Miene angehört, die nichts weniger als Überzeugung auszusprechen schien. Sie hatten ihre Blicke auf die Erde gerichtet, und mehrere waren selbst in den Bruch eingedrungen. Canondah, ohne sie der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, winkte einigen Mädchen eine Handbahre zu bereiten, und ihre Worte hatten sogleich die gewünschte Wirkung. Die alten Squaws, ferneres Nachspüren aufgebend, beeilten sich den Mädchen zuvorzukommen. Sie schnitten zwei Stämme mit ihren langen Taschenmessern ab, legten über diese Palmettostangen und belegten sie mit spanischem Moose. Canondah lächelte freundlich den alten Squaws zu, sie bedeutete ihnen, den Fremdling auf diese Bahre zu legen: ein Wink, der unverzüglich und mit einer Schonung ausgeführt wurde, die dem Leidenden auch nicht die geringsten Schmerzen zu verursachen schien. Ehe sich der Zug in Bewegung setzte, hatte sie Rosa zugeflüstert: »Mein Bruder ist krank und wund, ich empfehle ihn der Sorgfalt seiner Schwester«, und dann verschwand sie mit ihren Gefährtinnen im Palmettofelde, dem Flusse und ihren Kanus zueilend.
Rosa, noch immer halb träumend, näherte sich nun der Bahre, die, von den Trägerinnen gehoben, sich in Bewegung setzte. Der Zug ging schweigend und ohne Gefährde dem Dörfchen zu. Vor einer Hütte, die etwas zurück von den übrigen dem Waldesabhange näher lag und deren herabgelassene, sorgfältig befestigte Büffelhaut ihr Leersein bedeutete, wurde haltgemacht. Canondah stand bereits vor der Türe; auf ihr Geheiß ließen die Trägerinnen ihre Bürde nieder.
»Rosa«, sprach die Indianerin, »muß hier warten, bis Canondah mit den Squaws gesprochen; und abwärts tretend, versammelte sie die Weiber in einen Kreis und eröffnete eine kurze Beratschlagung in Hinsicht des Fremdlings. Man hatte sie schweigend angehört und ihr überlassen, nach Gutbefinden zu handeln. Sie dankte den Squaws mit würdevollem Anstande für ihr Vertrauen und befahl dann zweien der ältesten Weiber die Türe oder vielmehr die Büffelhaut zu öffnen, die in das Innere der Stube führte. Als dieses geschehen war, trugen sie den Verwundeten hinein und legten ihn auf ein dem oben beschriebenen Tillandseadiwan ähnliches Lager. Er zitterte am ganzen Leibe. Ein heftiges Wundfieber hatte ihn ergriffen, zu dem wahrscheinlich in der letzten kühlen und nassen Nacht das kalte hinzugekommen war.
Nach Verlauf einer halben Stunde trat endlich Canondah wieder in die Hütte, begleitet von einer grauen Squaw, die mühsam und mit langsamen Schritten sich dem Lager des Verwundeten näherte. Sie besah ihn einige Augenblicke vom Kopfe bis zu den Füßen, ließ sich dann auf das Moos nieder, hob seine Hände, untersuchte seinen Puls und faßte dann das verwundete Knie, an dem sie die Wunde mit der Aufmerksamkeit eines praktizierenden Arztes untersuchte.
»Morgen wird das Fieber verschwunden sein; aber«, setzte sie hinzu, und ihr hohles, düstres Auge ruhte forschend auf Canondah – »wie ist der Saft der großen Medizin in seine Wunden gekommen?«
»Der Häuptling der Salzsee«, versetzte Canondah bedeutsam.
»Hat seinem Boten doch nicht von seiner Medizin mitgegeben?« Sie besah mit diesen Worten neuerdings die Wunde und schüttelte stärker ihr greises, runzliges Haupt. »Der Balsam ist der des Mikos,« sprach sie bedenklich; »aber es war weder der Miko noch seine Tochter, die ihn in die Wunde gegossen. Es ist die verruchte, ungläubige Hand einer Weißen. Winondah sieht, daß der große Zauber nicht ausgesprochen, und daß die große Medizin zum Gifte geworden.« Ihr Blick fiel durchbohrend auf Rosa.
Canondah hatte betroffen die letzten Worte angehört. »Und warum sollte der Häuptling der Salzsee nicht vom Balsam haben, den der große Geist den Vätern des Miko gegeben? Er ist ein großer Häuptling und vor ihm zittern die Weißen.«
Die Alte schüttelte ihr Haupt. »Der Häuptling der Salzsee ist ein Weißer; der große Geist hat zweierlei Gaben. Den Weißen hat er die geringern gegeben, den auserwählten roten Männern die bessern; die Medizin des Miko«, sprach sie zuversichtlich, »ist die eines sehr großen Häuptlings.«
»Canondah«, sprach das Mädchen, »hat die Spur des Boten des Freundes ihres Volkes gesehen und ist ihr gefolgt. Sie hat den Fremdling gefunden und hat ihn auf den Rat ihrer klugen Schwestern in die leere Hütte ihres Wigwams geführt. Soll er verschmachten, weil eine Medizin in seinen Adern ist, die eine unbekannte Hand hineingoß? Was würde der Miko, was der Häuptling der Salzsee sagen?«
»Canondah hat recht,« sprach die Alte; »sie ist die kluge Tochter des großen Miko und sieht mit hellen Augen.«
»Und ihre Hand«, setzte das Mädchen bedeutsam hinzu, »ist nicht geballt, und ihre Kürbisflaschen mit Feuerwasser sind nicht geschlossen.«
Ein schlaues, beifälliges Lächeln grinste, als sie diese Worte hörte, um den Mund der Alten. Sie nickte mit dem Kopfe und entfernte