Beethovens unsterbliche Geliebte. Joseph August Lux
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Beethovens unsterbliche Geliebte
Joseph August Lux
Inhaltsverzeichnis
Beethovens unsterbliche Geliebte
I. Kapitel.
Es war einmal – – – –
Es war einmal eine Zeit, da hatten die Musen und Grazien ihren Göttersitz noch auf Erden aufgeschlagen, und zwar dort, wo nach der Legende das Glück zu Hause gewesen sein soll: im alten aristokratischen Wien.
Hier war ja immer der Himmel offen und hing voller Geigen; in den Adelspalästen, bei Musikfesten allgemein zugänglich, dirigierte Vater Haydn seine »Schöpfung«, wie Gottvater selber; Ritter Gluck veroperte den ganzen griechischen Olymp, und am höchsten in allen Himmeln tönte die Zauberflöte Mozartscher Musik, diese melodische Seele des barocken Wiens: Damen im Reifrock und Herren mit Degen und Haarzopf, Spitzenjabot und goldgestickter Seidenweste bewegten sich im höfisch-abgemessenen, galanten Schritt des Menuetts.
In diese kunstvoll verschnörkelte Welt des Barocks war der junge Genius vom Rhein, Herr Ludwig van Beethoven, als ein erfrischendes Lenzgewitter hereingebrochen, ein Naturelement, das wie Pan den erstaunten Götterkreis betritt und eine Revolution bewirkt, von der Musik aus. Der neue Mensch. Schon äußerlich wirkt er auffallend: sein unbekümmertes Gebaren, seine lässige Haltung auch in der Kleidung nach der »freieren Weise der überrheinischen Mode« – für die einen abstoßend, für die anderen »originell«, jedenfalls höchst bedeutsam; eine Persönlichkeit, um die man nicht herumkann; ein Genius, der eine Sendung trägt, wenn man auch die Tragweite noch nicht abzuschätzen vermag. Eine Wende stand bevor. Und der Adel selbst, noch ganz von Barocktraditionen beherrscht, für Haydn und Mozart begeistert, jubelt dem jungen Stürmer und Dränger zu und wird damit zum Träger des Umsturzes – die Romantik erwacht. Die berühmten Freitagskonzerte im Palais Lichnowsky sind der Ausgangspunkt des neuen Ruhms: das Flügelrauschen des sich entfaltenden Genius ward hier von aufhorchenden und bezauberten Herzen vernommen; hier folgten bewundernde Blicke seinem Flug nach unbekannten Höhen – – – –
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Das Gefühlsbarometer stand auf Sturm an einem jener Freitagsmorgen, als der hochedelgeborene und in exklusiven Kreisen bereits viel gefeierte Herr Komponist und Klaviervirtuose sorgfältiger als sonst Toilette machte, um sich in das Palais Lichnowsky zu begeben, wo sich regelmäßig eine erlesene Gesellschaft zu den Freitagskonzerten einfand.
Der Diener war davongelaufen; der Meister hatte vergangene Nacht lange gearbeitet und das Abendessen vergessen; als er gegen Mitternacht sich endlich erhob und vergebens an dem Glockenzug riß, daß es gellend durchs Haus tönte, trat er selbst in die Küche hinaus. Hier fand er den Diener eingeschlafen und das Nachtmahl auf dem Herde kalt. Es gab einen heftigen Wortwechsel; der unwillige Herr versetzte in seiner Erregung dem Widerspenstigen eine Ohrfeige, die zwar sofort mit einem Pflaster von fünf Gulden geheilt wurde, aber der aufgebrachte Meister hatte bei dem unliebsamen Auftritt eine kleine Kratzwunde im Gesicht erhalten, die am Morgen noch nicht verschwunden war. Dafür war der Diener verschwunden, der sich in aller Frühe mit seinen Siebensachen auf und davon gemacht und den gewalttätigen Herrn im Stich gelassen hatte; der mochte nun läuten und schelten aus Leibeskräften, was er konnte, er mußte sehen, wie er nun allein fertig werden würde, und das war nicht einfach für den Künstler, der sich nur schwer mit dem Alltag abfand.
Das Frühstück zwar pflegte er selbst in einer Glasmaschine zu bereiten, er hielt auf guten starken Kaffee, wohlabgezählte sechzig Bohnen die Tasse, die er in eigener Verwahrung hielt, aus Furcht, bestohlen zu werden; er war mißtrauisch, und das nicht immer mit Unrecht.
Indessen der Kaffee kochte und in der Maschine brodelte bis zum schließlichen Überlaufen, indem er Wolken würzigen und belebenden Duftes in dem Raum verbreitete, begann der Meister seine gewohnten Wasserbegießungen über Kopf, Brust und den ganzen Körper hinunter, bis der Fußboden in Wasser schwamm; er stampfte wie ein Nilpferd unter dem wohligen Naß, heulend, singend, komponierend. Das gehörte zu seinen täglichen Morgenübungen.
Dann rasch Seifenschaum ins Gesicht; der Bart hatte sich schon tagelanger Ungeschorenheit erfreut und umwucherte mit freiheitlicher Ungezügeltheit Kinn und Wangen des bräunlichen Gesichts, stachlich wie eine Kaktuswaldung. Aber mitten im Einseifen hatte der summende Meister eine hübsche musikalische Eingebung, die eiligst zu Papier gebracht werden wollte; also schnell ans Pult, wo er sich in die Idee vertiefte, und dann war auch schon die äußere Welt wieder vergessen: die überkochende Kaffeemaschine, der sprossende Bart, der Seifenschaum – – – als er sich wieder besann, war der Kaffee übergelaufen, die Seife im Gesicht vertrocknet – man mußte von neuem beginnen. Nun aber rasch! In der Übereile hantierte er etwas ungeschickt mit dem kleinen Wandspiegel, den er des besseren Lichtes wegen am Fensterhaken befestigen wollte: patsch! lag das Ding am Boden – in Scherben.
Wütend riß er an der Klingelschnur; die Glocke gellte zwar wie zum Jüngsten Gericht, aber kein Diener erschien. Richtig, der Kerl war ja ausgerissen! »Himmel, alle vierzehn Nothelfer, stehet mir bei!« In der Verzweiflung denkt er an seinen Freund, den Musikliebhaber Baron Zmeskall, der bei solchen Gelegenheiten immer den Nothelfer spielt, vierzehn in einer Person oder einer von den vierzehn: er behandelt seine Wiener Freunde als bloße Instrumente, auf denen er spielt, wie's ihm gefällt; eigentlich aber ist er in seiner Hilflosigkeit dem praktischen Leben gegenüber auf ihre Dienste angewiesen, und sie dienen ihm in Ehrfurcht vor seinem Genius.
Ein paar Zeilen an den Baron sind rasch hingeworfen; er muß ihm seinen Diener zur Aushilfe schicken, seinen Spiegel leihen, nachdem der eigene zerbrochen ist, ja, und dann noch eins: da die letzten fünf Gulden als Schadloshaltung für die Ohrfeige in die Hand des entwichenen Dieners geflossen sind, muß auch damit der Freund aushelfen. In launigen Worten und scherzhaft gemeinten Anreden, wie: geliebtester Conte di Musica – nicht Musikgraf, sondern Freßgraf – Dineen-Graf, Suppeen-Graf, Baron Dreckfahrer und ähnlichen Titulaturen, die er sich gegen den Getreuen angewöhnt hat – anders tut es der Meister nicht –, setzt er ihm die Lage auseinander: »– – ja, liebster Conte, vertrauter Amico, die Zeiten sind schlecht, unsere Schatzkammer ausgeleert, die Einkünfte gehen schlecht ein, und wir, Euer gnädigster Herr, sind gezwungen, uns herabzulassen und Euch zu bitten um ein Darlehen von 5 Gulden, welches wir Euch binnen einigen Tagen wieder zufließen werden lassen – – –«
Das wäre also soweit gut getan – aber da ist wieder der Rat teuer: durch wen soll der Brief geschickt werden, da kein Diener zur Hand ist? Wo den Spiegel schnell hernehmen?
Seufzend fügt er sich in das Unvermeidliche; die Scherben werden mühsam aufgelesen und die größeren Stücke notdürftig in den Rahmen gesteckt; für den ersten Augenblick geht es ja. Die Erbärmlichkeiten des kleinen Alltagslebens pflegt der Meister wohl mit seinem grimmigen Humor zu quittieren, wie er es eben in den Zeilen an Zmeskall getan; aber eigentlich wird er sich jetzt recht tief seiner Verlassenheit bewußt, der Mißmut gewinnt Oberhand.
Am liebsten wäre er nun gar nicht mehr in das Freitagskonzert gegangen und würde sich statt dessen in das Reich seiner Muse geflüchtet haben, wo ihm Trost und Vergessen über all die äußere Misere sicher zuteil wird. Nur der Umstand, daß heute bei Lichnowsky seine neuen Trios zur Aufführung gelangen, bestimmt ihn zu guter Letzt, sich doch fertig anzukleiden.
Aber da hat er erst recht seine liebe Not. Zwar hat er sich nach und nach auch in