Beethovens unsterbliche Geliebte. Joseph August Lux

Beethovens unsterbliche Geliebte - Joseph August Lux


Скачать книгу
sich gern in Werther-Tracht, so hat ihn einer der Freunde, Herr von Mähler, ein Maler-Amateur, porträtiert, mit einer Lyra in der Hand – und wenn er in feine Gesellschaft geht, trägt er sich nach der herrschenden Sitte: blauen Frack, weiße Seidenstrümpfe, Schnallenschuhe; nur statt des Jabot eine große, kunstvoll geschlungene Halsbinde von lieber Hand – – – Diese Halsbinde ist das Zeichen der neuen Zeit, zum Unterschied von Haydn, der noch ganz Rokoko ist mit gepuderter Perücke und Seitenlocken.

      Der Anblick der schönen Halsbinde, mit der er nun Staat macht, erweckt Gefühle der Wehmut; Tränen entstürzen seinen Augen, eine unbeschreibliche Traurigkeit kommt über ihn. Leonore, die teuerste Freundin seiner Bonner Jugend! Sie hat das Kunstwerk gearbeitet, es ist ein Angebinde von ihrer Hand, das sie ihm in die Fremde nachgesandt hat. Wieviel zärtliche Gedanken hat sie in das Werk ihrer Nadel mitverwoben, welche teuren Schatten ruft das seidenweiche Ding in seiner Erinnerung – – –! Wie ein liebender Arm legt es sich zärtlich um den Hals, er fährt damit über die Wangen, eine verstohlene Träne abzuwischen; er lächelt fast, als spürte er eine linde, streichelnde Hand, die alle Trauer, alle Tränen fortnimmt. Bonn, seine Heimat, sein Rheinland ist nicht vergessen, und noch weniger vergessen ist der Engel Leonore – – – Glühende Kohlen sammelt das Denken an sie auf Haupt und Herz. Im Zwist war er fortgegangen, mit bitterbösen Worten: junge Liebe; der Rest ist Leid. Nun ist alles weit, weit zurück: die Eifersucht, die ihn gequält, der Rivale Franz Wegeler, Medizinstudent, arm wie er und gleich ihm fast Kind im Hause der Hofrätin Breuning, der Mutter Leonorens; die stille Liebe, die ihm aus den Augen der Jugendfreundin, aus gelegentlichen scheuen Versen und hundert kleinen Aufmerksamkeiten entgegenblühen wollte, und die er zu wenig bedacht und bedankt hatte, als bis er fort war, und schließlich erfahren mußte, daß der beargwöhnte Freund nach langem geduldigem Werben Erhörung gefunden und die ferne Geliebte heimzuführen im Begriffe sei. Da brach das Eis; er schrieb beiden rührende Briefe, in denen er sich seiner Heftigkeit anklagte; denn er liebte sie beide, den Freund und die Freundin, und mußte sich sagen, daß es seine eigene Schuld war, wenn alles so kam, und doch kaum Schuld, denn es war Bestimmung: er hatte zu wählen zwischen dieser Liebe und zwischen seiner Göttin Kunst, die ihn hinausdrängte ins Große und Weite, auf die Bahn des Ruhms, und so ward dem Herzen der bittere Verzicht.

      Das war der Grund der plötzlichen Tränen und Wehmut, die ihn immer beschlich, wenn er Leonoren gedachte; die Weste, die sie ihm einmal gestickt, war unmodisch geworden, sie wurde als teures Andenken aufbewahrt. Er wollte ein Stück ihrer kunstfertigen Hände tragen wie einen Talisman, und so hatte sie ihm diese Binde geschickt. Das war Gruß aus der Ferne und doch fühlsame Nähe, ein Sinnbild entschwundenen Jugendglücks, alles was ihm davon geblieben war, und eigentlich noch etwas mehr: eine Leidensseligkeit im Herzen, darin das Idealbild Leonorens in nie verwelkender Jugendschöne und Verklärung thronte, nun schon selbst irgendwie Verkörperung seiner Muse, sein Engel Leonore.

      Wenn er hätte wissen können, daß ihm heute bei Lichnowsky jene andere irdische Verkörperung seiner Muse entgegentreten würde, die noch tieferes Glück und tieferes Leid ihm bescheren und das Engelsbild Leonorens verdunkeln sollte, ja, daß ihm diese weibliche Schicksalsbotschaft in der Dreizahl der Grazien erschiene, um ihm eine folgenschwere Bedeutung zu künden – er hätte vielleicht erst recht gezaudert, in das Freitagskonzert zu gehen und wäre in seiner eigenwilligen, störrischen Laune daheimgeblieben. Denn er besaß ein stolzes Herz, das er der Göttin Kunst verschrieben, und fürchtete für seine mühsam behauptete Ruhe im Dienst dieser strengen Göttin. Ansonsten sagten ihm Frauen nicht viel, obzwar er viel umschwärmt war, und sich mehr zu sanften, leidenden Frauennaturen, wie die Fürstin Christiane Lichnowsky, hingezogen fühlte, die gewissermaßen eine mütterliche Herrschaft über ihn führten.

      Leise ging die Tür auf, ein schmaler blasser Jüngling glitt ins Zimmer, sein Schüler Ferdinand Ries.

      Unerwünschter Besuch!

      Der Meister wandte sein Gesicht weg und drückte sich ganz an den zerbrochenen Spiegel heran, eifrig bemüht, die große Halsbinde zu einem kunstvollen Knoten zu schlingen; er nahm keine Notiz von dem jungen Menschen, der sich gleich am Klavier zu schaffen machte und in Notenheften blätterte; der Meister tat, als ob er sein Eintreten gar nicht bemerkt hätte, eigentlich aber wollte er seine Gemütsbewegung verbergen; der Junge sollte nicht sehen, daß er Tränen vergossen hatte.

      Das Stundengeben war Frondienst für den Genius, in den Stunden der Muse war es ihm eine unerträgliche Qual; er hätte Ries längst zum Kuckuck geschickt, so lästig war er ihm, aber der Junge war ja der Sohn des alten Bonner Hausfreundes und Hofmusikers Franz Ries, der in den Tagen der Not, als die Mutter Beethoven starb und alle Habseligkeiten ins Leihhaus und auf den Trödelmarkt wanderten, die Familie wie ein sorgender Vater unterstützte, zumal der eigene Vater die Not noch vergrößerte und seinen Kummer in den Weinschenken ertränkte – – – oh, diese traurigen Bonner Tage, an die ihn nun auch der junge Ries gerade in der Stunde der Wehmut durch sein höchst ungelegenes Erscheinen erinnern mußte! Vater Ries hatte ihm den Sohn Franz zur weiteren Ausbildung geschickt; die Dankbarkeit für den alten Ries legte dem Meister eine Pflicht für den Sohn auf, die er heilig nahm, obzwar der Schüler die Launen und Eigenheiten des Meisters mit in Kauf nehmen mußte und keine ganz leichte Lehrzeit hatte.

      »Ich kann Ihnen heute keine Stunde geben«, brummte endlich der Meister, um sich die lästige Anwesenheit vom Halse zu schaffen.

      »Ich gehe schon«, sagte leise der Junge. Die Trauer der Stimme fiel dem Lehrer auf; er wandte sich um.

      »Nein, bleiben Sie!« befahl er in einem barschen Ton, dahinter sich die Weichheit des Gefühls verschanzte, und plötzlich wieder ganz verändert, voll Teilnahme, fast erschrocken: »Ja, um Himmelswillen, wie sehen Sie nur aus? Sind Sie übernächtig, sind Sie krank, weil Sie so blaß aussehen?«

      Der junge Mensch wurde plötzlich rot und sah scheu und verlegen zu Boden. »Nichts, nichts«, hauchte er und griff nach einer Stuhllehne, als wollte er sich vor Schwäche stützen.

      Der Meister schien zu erraten: »Haben Sie schon gefrühstückt?«

      »Nein«, kam die Antwort etwas zögernd.

      »Ja, warum sagen Sie denn das nicht gleich, Sie Unglücklicher,« fuhr ihn der Meister an, »hier ist Kaffee, Brot und Butter, greifen Sie zu und stärken Sie sich!« Und er schenkte dem Jungen gleich selbst die Tasse voll und bemerkte, daß sich Ries mit kaum beherrschtem Heißhunger über die Reste des Frühstücks herstürzte und rasch einige große Bissen hinunterschlang.

      Der Lehrer beobachtete ihn eine Weile, und als der Junge sich gestärkt hatte, sagte er mit tiefem Ernst: »Ferdinand, Sie verbergen mir etwas!«

      Nun ergoß sich eine neue Welle der Verlegenheit über das Gesicht des jungen Mannes, der zuerst beschämt schwieg.

      »Ferdinand!« begann der Meister wieder mit mahnender Stimme: »Verstecken Sie sich nicht vor mir! Seien Sie aufrichtig! Ich bin der Freund Ihres Vaters und vertrete jetzt seine Stelle bei Ihnen. Reden Sie also offen, ich habe ein Recht, Sie zu fragen, und Sie haben die Pflicht, klar und offen zu antworten, als ob Sie beichten würden: Wann haben Sie zum letzten Male gegessen?«

      Ries zögerte noch eine Weile und sagte dann mit niedergeschlagenen Augen: »Vorgestern.«

      Da schlug auch schon der Meister mit der Faust dröhnend auf den Tisch: »Nun da haben wir's ja! Geht es Ihnen schlecht?! Haben Sie kein Geld? Heraus mit der Sprache!«

      Nach einigem Hin und Her gestand der Junge, daß er von allen Mitteln entblößt sei und bereits seit einiger Zeit empfindlichen Mangel leide. Der Vater könne ihm nur wenig schicken, seit Monaten habe er nichts mehr von zu Hause erhalten, aber er wollte nicht mahnen, denn er wisse, daß es auch in Bonn nicht am besten stünde, seit der gute Fürst von den Franzosen verjagt und die Hofkapelle aufgelöst worden sei. Er habe dem Vater nicht zur Last fallen wollen, der durch den gewaltsamen Umsturz der Verhältnisse selbst in große Bedrängnis geraten sei und für eine große Familie zu sorgen habe; er habe den Vater darum in der Meinung gelassen, daß es ihm gut gehe und daß er durch Erteilung von Nebenunterricht genug für den eigenen Lebensunterhalt verdiene. Dem sei aber leider nicht so.

      Nun brach erst recht


Скачать книгу