Beethovens unsterbliche Geliebte. Joseph August Lux

Beethovens unsterbliche Geliebte - Joseph August Lux


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sich den einen oder anderen Notensatz in ein paar hieroglyphischen Zeichen. So spazierte oder rannte er arbeiten, nach alter Gewohnheit. Und stapfte dann wieder ungestüm drauflos, brummend, taktierend, singend, heulend. Zuweilen murmelte er ein paar abgerissene Sätze oder Worte, oder schrie sie wie im Streit mit einem unsichtbaren Gegner, oder lachte hell auf, daß es ganz schauerlich war. Und wenn er lachte, zog sich das Gesicht breit und grinsend in Falten, daß es anzusehen war wie eine Fratze. Dann hatte er etwas von einem mythischen Fabelwesen, von einem Naturgeist wie Pan, der hinter den Nymphen, luftigen Phantasiegebilden einhertollte. Oder etwas von einem Kaliban, der ein verwandtes Elementarwesen ist. Dann aber trat wieder jenes eigentümliche, wehmütige Lächeln wundersam verklärend über sein Antlitz, das sich himmlisch verschönte, als ob der Lichtgeist Ariel in die Erscheinung treten wollte. Kaliban und Ariel, er vereinigte beider Wesen in sich, und mochte sich so recht als der Magier Prospero fühlen, der über beide Genien herrschte, und nicht zufällig gehörte Shakespeares »Sturm« zu seinen Lieblingsdichtungen; der Meister mochte eine innere Verwandtschaft fühlen.

      »Wie sagte sie? Bleiben Sie sich treu und lassen Sie sich nicht von den andern – –« Er lächelte still und selig in sich hinein. »Theresa, du Holde, Himmlische!«

      Ihr mildes Bild umschwebte ihn; selbst Leonore war verblaßt; eine andere hatte den verlassenen Thron seines Herzens eingenommen, die größer, königlicher, engelhafter war als selbst die vergötterte Seelenfreundin der Jugend, und diese andere war Theresa.

      Jetzt konnte selbst der Ärger über den alten Lehrer Haydn keine rechte Macht mehr gewinnen, die schlimmen Schatten des Argwohns waren in Schranken gehalten.

      »Oh, ich lasse mich nicht beirren,« wiederholte er im Selbstgespräch nach Art der einsamen Naturen, »nie, nie, nie! – – – Aber das waren Worte, die dir die Himmlischen eingegeben haben, du gute Theresa! Haydn – er mochte wohl fühlen, daß alle andere Musik daneben zahm und geistlos erscheinen mußte; darum wollte er nicht, daß ich das Trio veröffentliche – – – Ich, sein Schüler – –« Er mußte bei diesem Gedanken hellauf lachen, daß es schallte. »So scheint es wohl in den Augen der Welt, und der kindische Alte ist wohl stolz darauf – – Nur weiß es die Welt nicht, daß er mir so wenig geben konnte wie Mozart; sind die Menschen blind oder taub, daß sie nicht merken, wie unähnlich beiden mein Werk ist?! Theresa, du fühlst es – dein Blick sagte es mir, deine Tränen sagten es, mehr als es deine Worte sagen konnten – – – Oh, ich spüre diesen Blick, der warm in meiner Seele ruht, unvergeßlich; ich spüre deine Tränen wie einen sanften Regen, der die Fruchtbarkeit des Herzens weckt, die Liebe; ich spüre deine Worte und bewahre sie tief da drinnen wie ein heiliges Vermächtnis, ein Unterpfand – – – Ach, ein Mensch, der wirklich versteht in der ganzen Menge, ist das nicht genug? Eine Seele, die ein Echo gibt, ist das nicht alles? Ist das nicht unendlich mehr als der Beifallslärm aller übrigen?! Fürwahr, die Musen haben den Tag und das Werk gesegnet durch diese eine – bin ich nicht glücklich? Aber war es wirklich nur diese eine?!«

      Das Gefühl wollte sich verwirren. Neben dem Idealbild Theresas tauchte der schwärmerische Zauberblick ihrer Schwester Josephine auf. Oh, die unergründliche blausamtene Nacht dieser wundersamen Augen, kindlich und zugleich verführerisch wie das Gesicht Mignons, das, dunkle Sehnsuchtsgewalten weckt und die Gedanken fortzieht, daß man ganz hilflos wird.

      Der Meister wehrte sich gegen die Sinnenmacht dieser Augen, die behexen und Leidenschaften wecken konnten, aber nicht die erlösende, erhebende, beseelende Kraft hatten, die von Theresa ausging und rein, wunschlos, glücklich machte.

      »Fort, fort, unbeherrschte, wilde Wünsche,« stieß der Meister hervor, »o Gott, wo gerate ich hin!« und er rannte querfeldein, als wollte er seinen eigenen Gedanken entfliehen. »Man könnte ganz unglücklich dabei werden,« dachte er, »und das soll nicht sein! Bleibe du mir, Theresa, himmlische Liebe, das macht mich fromm und gut! So will ich es, so muß es bleiben!«

      Er hielt inne und zog Heft und Bleistift hervor. Rasch zog er ein paar Notenlinien, ein grauses Gemengsel von Punkten und Strichen war im Nu hingeworfen, ein musikalischer Gedanke, der ihm durch den Sinn ging. Dazu summte er ein paar Verse seines Lieblingsdichters Matthisson, die ihm gerade einfielen und die er unter das Notengestrüpp setzte. »Einsam wandelt dein Freund – – –«

      Dann schrieb er seitlich das eine Wort »Adelaide« und entwickelte daraus den Sehnsuchtslaut der Melodie, lang hingezogen in allen Modulationen, bis sie dem inneren Klang, den er in der Seele spürte, entsprach.

      Aus den Worten, die er rasch hinwarf, rankte blühend der Gesang hervor: »Vieles ist auf Erden zu tun, tue es bald. – Zeige mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel die Palme steht! – Meinen erhabensten Gedanken leihe Hoheit, führe ihnen Wahrheiten zu, die es ewig bleiben – – –«

      Die Muse segnete ihn. Sie gab ihm den Namen »Adelaide« zum Phantasiegeschenk und nahm die sanft-ernsten Züge Theresas an. Ihr mochten die Schlußzeilen des Liedes gelten, an sie dachte er, sie schwebte ihm vor, als sich die Worte fanden und zu den Worten die Töne:

      »Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe

      Eine Blume der Asche meines Herzens;

      Deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen:

      Adelaide!«

      Was der Künstler empfand, strömte in Tönen aus; daß er gerade diese Verse wählte, daß sie ihm zwangsläufig in Sinn kamen wie ein Orakelspruch, das ist ein Geheimnis seiner Muse. Dabei ist alles folgerichtig, nichts ist zufällig. War es eine Schicksalsahnung, ein prophetisches Gefühl, das ihn diese Verse aus der Erinnerung finden ließ? War es ein Gelöbnis an Theresa, ein Seelenband, das sich schier von selbst geschlungen hatte und sanft hinleitete zu dem Erfühlen dessen, was möglich und zugleich heimlich oder unterbewußt empfunden war? Der Tondichter wußte es nicht und dachte auch darüber nicht nach. Aber insgeheim wußte es seine Seele, was ihm noch verborgen und höchstens unbestimmtes Sehnen blieb, und diese Seele wußte alles Kommende und Künftige; in ihr lag Schicksal und Bestimmung. Dieses Geheimnis lag in seiner Kunst und wirkte in dem Lied. Es war Leben geworden und hatte seinen eigenen Sinn. Darüber zu grübeln, war nicht Sache des Meisters.

      Eine neue Schöpfung war ihm geworden; der Sturm war beschworen, er fühlte, daß er ruhig wurde in der Brust. Sterne zogen am dunkel gewordenen Himmel auf; es war Nacht, als der Meister in seine arme turmhohe Behausung am Petersplatz heimkehrte.

      Arm, arm, arm war diese trostlose Wohnung.

      Welch ein Kontrast zur Palastherrlichkeit der Fürsten, die ihn verhätschelten und mit ihrer Freundschaft auszeichneten! Daß sie sich gar nicht um ihn kümmerten, wie er wohnte und lebte!

      Oh, er hätte es so haben können wie sie! Er dachte jetzt daran, als ihm selber der krasse Unterschied im äußeren Leben zum Bewußtsein kam. Er erinnerte sich der ersten Zeit in Wien, da er im Hause Lichnowsky wohnte, Diener und Reitpferd hatte und für alles gesorgt war. Und hatte sich doch nur gefühlt wie der Vogel im goldenen Käfig, wo er nur eines entbehrte zum vollen Glück, dieses eine, das freilich alles andere weitaus aufwog: die Freiheit! Unmöglich, die Mittagszeit, die im Hause Lichnowsky um ½4 Uhr festgesetzt ist, einzuhalten! Unmöglich, pünktlich zu Hause zu sein, sich umzukleiden, für den Bart zu sorgen! Das ergab immer Mißhelligkeiten; er pflegte einfach auszubleiben und im Gasthaus zu speisen, wenn es ihm paßte. Die Fürstin zwar vergab die Unart, aber auch sie versuchte ihn mit mütterlicher Liebe zu erziehen, und das ging so weit, daß sie schier eine Glasglocke über ihn machen ließ, damit kein Unwürdiger ihn berühre oder anhauche. Das war erst recht eine Unmöglichkeit für den Meister. Auch das Reitpferd war eine Unmöglichkeit. Anfangs hatte es ihm Spaß gemacht, es den Kavalieren gleichzutun. Aber bei der Arbeit vergaß er darauf und ward erst daran erinnert, als der Reitknecht die Futterrechnung brachte. Dann war es zu Ende mit der edlen Passion.

      Nein also, die Freiheit war nicht zu teuer erkauft. Wenn er daran dachte, dann war ihm seine ärmliche Behausung doppelt lieb und wert, wenn auch heute nicht einmal ein dienstbarer Geist seiner wartete und noch alles in der greulichen Verwüstung lag, wie er es am Morgen verlassen hatte. Diese Bettelarmut war aber zugleich Freiheit. Und Freiheit war zugleich Muse. Er konnte nicht


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