An den Ufern des Nebraska. Lennardt M. Arndt
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An den Ufern des Nebraska
Die Surehand-Story – Band I
Lennardt M. Arndt
Inhalt
Kapitel II – Eine Überraschung
Kapitel V – Mann-mit-sicherer-Hand
Kapitel VI – Auf Leben und Tod
Kapitel X – Eine neue Hoffnung
Kapitel XII – Das Ende einer Flucht
Dramatis personae
Karte des Wilden Westens (um 1855)
Kartenausschnitt des östlichen Nebraska-Territoriums (Orte der Haupthandlung)
Jefferson City, Missouri - 1911
Die vorliegende Erzählung behandelt eine Zeit, in der der Westen der Vereinigten Staaten noch als Wilder Westen bezeichnet wurde.
Ich habe diese Zeit hautnah erlebt. Und heute, im Winter meines Lebens, habe ich mich entschlossen, meine damaligen Erlebnisse für den interessierten Leser aufzuschreiben. Doch wo fange ich an? Nun, … zunächst denke ich, muss ich mich vorstellen.
Geboren bin ich 1841 in Boston, als Sohn eines Kaufmanns. Meine Mutter war eine Indianerin aus dem Süd-Westen. Ich habe einen jüngeren Bruder, doch Neid und Rachsucht zweier Verbrecher fügten es, dass ich früh meine Familie verlor und in der Obhut meines Ziehvaters aufwuchs. Mein Name ist Leo Bender. Bekannt wurde ich später unter dem Namen Old Surehand.
Jahrelang streifte ich durch den Westen der heutigen Vereinigten Staaten, um nach meinen Wurzeln und meiner Familie zu suchen. Dabei war ich von dem unbändigen Wunsch getrieben, die Verbrecher, die meinen Vater auf dem Gewissen hatten, zu finden und zu bestrafen.
Bei meinen Wanderungen traf ich auf Angehörige fast aller Indianer-Völker, die damals zwischen den großen Flüssen, Mississippi und Missouri, und dem Pazifik lebten. Ebenso begegnete ich Jägern, Fallenstellern, Abenteurern, weißen Siedlern und Vertretern der Obrigkeit der Vereinigten Staaten.
Bei all jenen durfte ich Menschen kennenlernen, die mir ans Herz wuchsen. Haltungen wie Kühnheit, Tapferkeit, Stolz, Freundschaft und Ehre wusste ich bei ihnen zu schätzen. Doch traf ich bei einigen, unabhängig von der Farbe der Haut, auch auf Dummheit, Falschheit, Verschlagenheit, Hass und Mordlust.
Bevor ich mich auf die Suche nach meiner Familie und die Jagd auf die Verbrecher machen konnte, musste ich erst lernen, allein in der amerikanischen Wildnis zu überleben. Die dazu notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten erwarb ich bei einem berühmten Prairiemann und einem Stamm der Pawnee.
Im Bürgerkrieg kämpfte ich auf der Seite der Nordstaaten. Meine Jahre als Jäger und Prairieläufer fügten es, dass ich für kurze Zeit bei der Armee als Scout tätig war. Auch hier traf ich auf Menschen, deren Wege die meinen später wieder kreuzen sollten.
Doch der Reihe nach …
Jefferson City, Missouri
Der Tag, der alles veränderte, war ein Tag im Sommer des Jahres 1856. Zusammen mit einigen Jungs trieb ich mich nach der Schule in der Nähe des damals noch jungen Städtchens am Ufer des Missouri herum.
Wie so oft vertrieben wir uns die Zeit damit, mit unseren Slingshots1 Ratten und andere kleine Nager zu jagen. Während die Anderen ein Kaninchen aufgestöbert hatten und nun fleißig und lautstark versuchten, es zu treffen, saß ich am Rande des Wassers, stocherte mit einem Stock im Schlamm und dachte über das nach, was wir an jenem Tag im Unterricht gehört hatten.
Die deutschstämmige Lehrerin Mrs. Smith, die eigentlich „Schmidt“ hieß, hatte ein neues Thema begonnen – Indianer! Die noch junge Geschichte der amerikanischen Nation sei unteilbar und in besonderer Art und Weise mit den Stämmen der Ureinwohner des Kontinents verbunden, sagte sie. Daher betrachte sie es als besonders wichtig, auch deren Schicksale näher zu beleuchten.
Also hatten wir über die Indianerstämme gesprochen, die früher auch hier, im Gebiet des Staates Missouri, gelebt hatten und nun noch weiter nach Westen ausgewichen waren. Mrs. Smith hatte viele interessante Dinge über die Indianer berichtet.
Wenn man es ehrlich betrachte, meinte sie, habe man die Ureinwohner nach und nach immer weiter nach Westen verdrängt. Wo sich der Indianer das nicht habe gefallen lassen, sei man rücksichtslos gegen ihn vorgegangen. Der Weiße Mann habe sich das Recht herausgenommen, überall im Indianerland seine Siedlungen zu errichten, Farmen anzulegen, nach Bodenschätzen zu schürfen und damit die Indianer immer wieder zu zwingen, auf ihre angestammten Rechte und Teile ihres Landes zu verzichten.
Auf dem Weg zum Fluss hatten wir über diese Ansichten unserer Lehrerin gesprochen. Die Anderen hielten es mit der Meinung Ihrer Eltern; es sei ja nun einmal so, dass Amerika genug Platz für alle biete. Wo Land nicht bestellt werde, Bodenschätze nicht gehoben oder Tiere nicht bejagt würden, sei es doch des Weißen gutes Recht, dieses zu tun. Wenn die Rothäute das nicht dulden wollten, müssten sie eben weichen.
Ich war mir da nicht so sicher. Wer gab uns denn das Recht, uns einfach zu nehmen, was der Indianer seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden sein Eigen nannte? Und auch wenn er dem Weißen Mann zunächst freundlich begegnete und ein friedliches Miteinander anstrebte, konnten wir doch daraus keine Ansprüche ableiten. Das war so ungefähr, was ich damals darüber dachte.
Ich hatte also, wie so oft, eine andere Meinung, als meine Kameraden. In der letzten Zeit war es häufig so gewesen, dass ich mich absonderte und über Dinge, die ich gehört oder gelesen hatte, nachdachte. Oft wurde ich damit aufgezogen, wieder einmal den Philosophen zu geben. Einer meiner Kameraden hatte mir schon den Spitznamen Diogenes verpasst,