Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien. Leo Deutsch

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dem übrigen Gelde lege.

       „Sagen Sie ihm. Sie hätten es beim Durchsuchen meiner Sachen gefunden.“

      „Nein, das geht nicht, es würde Skandal geben, weil ich nicht gleich ablieferte. Ich will lieber die Wahrheit sagen, dass Sie es mir erst jetzt übergeben haben.“

      So waren meine Luftschlösser in Nebel zerronnen. Das Geld wurde dann richtig in Verwahrung genommen, ohne dass man weitere Nachforschungen unternommen hätte.

      Meine Bücher wurden mir in einigen Tagen übergeben, und auch die Gefängnisbibliothek durfte ich benützen. Man kann sich denken, wie ich nach der langen Entsagung in der Feste mich in die Lektüre vertiefte. Auch Schreibzeug wurde mir bewilligt. In mancher Beziehung hatte ich es also besser in diesem Gefängnis als in der Peter-Pauls-Feste. Doch gab es auch manche Schattenseiten. Die kleinen Zellen mit den steinernen Fußböden wurden in der Sommerhitze zu wahren Backöfen; in der Zelle war es schwül zum Ersticken und staubig. Auch die Kost stand quantitativ und qualitativ der in der Feste nach. Am schlimmsten aber stand es mit den „Spaziergängen“; man stelle sich einen riesigen Kreis vor, der durch Zäune, die im Zentrum zusammenliefen, in eine Anzahl Sektoren geteilt ist; in diesen „Viehverschlägen“ ließ man uns herumlaufen; man sah dabei nur die Bretterzäune und ein winziges Stückchen Himmel. Allerdings durften wir alle Tage dreiviertel Stunden auf diese Weise Luft schöpfen, aber auf die Dauer wurde es recht fad, in dem „Verschlage“ sich zu „erholen“.

      Im Gegensatz zu der unheimlichen Stille in der Peter-Pauls-Feste ging es hier ungemein lebhaft zu. Von allen Seiten hörte man Geschrei und Lärm. Die Fenster des Korridors führten nach der Straße hinaus, und so drang das Geräusch des Straßenlebens oft in die Zelle; man hörte die Wagen vorüberrasseln und das Schreien der Straßenverkäufer, oder ein Leierkastenmann gab seine Melodie zum Besten. Zuweilen träumte man sich in die Freiheit zurück und fühlte umso schwerer die Last des Kerkerlebens.

      * * *

      Besuch des Ministers

       Besuch des Ministers

       Eines Tages ging es besonders lebhaft auf den Korridoren zu; es wurde geputzt, gereinigt, ausgebessert; man schien sehr hohen Besuch zu erwarten. In der Tat erfuhr ich alsbald, dass der Justizminister Nabokoff das Gefängnis visitieren würde. Bald darauf erschien er denn auch in meiner Zelle, von einer zahlreichen Suite begleitet. Als ihm mein Name genannt wurde, begrüßte er mich und sagte:

      „Ich habe Ihre Aussagen gelesen; – sie haben mir sehr gefallen, weil sie wahrhaftig zu sein scheinen. Ich würde wünschen, dass Sie vor Gericht auch so aussagen.“

      Ich antwortete ihm das gleiche, was ich bereits oben über meine Aussagen bemerkt habe, nämlich, dass es mir dabei nur auf die Feststellung der historischen Wahrheit ankomme.

      Er ging, kehrte jedoch noch einmal wieder und stellte ein paar gleichgültige Fragen, aber es sah aus, als wollte er eigentlich von ganz anderen Dingen reden. – Beim Sprechen beugte er sich etwas vor und hielt die Hand ans Ohr; sein ganzes Benehmen war schlicht und einfach.

      * * *

      Staatsgeheimnis

       Staatsgeheimnis

      In der Suite befand sich auch Kotljarewski; er blieb einen Augenblick zurück und sagte mir, dass er mit mir sprechen wolle, wenn der Minister fort sei; nach einiger Zeit wurde ich denn auch zu ihm in einen Raum geführt, der als Schulzimmer diente.

      „Ich habe kein Verhör mit Ihnen anzustellen, sondern ich möchte einfach mit Ihnen plaudern, alte Erinnerungen auffrischen“, sagte Kotljarewski. Wir setzten uns auf eine der Schulbänke und waren bald in eifriges Gespräch vertieft.

      An eine Bemerkung meinerseits anknüpfend, kam Kotljarewski auf die Frage zu sprechen, die ich bei unserer ersten Unterredung an ihn gerichtet hatte, warum man mich in die Peter-Pauls-Feste gesperrt hatte?

      „Ja, sehen Sie, da kamen höchst wichtige Staatsinteressen in Erwägung“, meinte er. „Die Sache ist die: werden Sie vor ein gewöhnliches Gericht gestellt und nur wegen des Attentats gegen Gorinowitsch angeklagt, so werden Sie zu acht bis zehn Jahren nach Sibirien verdonnert. Das aber war nicht genehm in höheren Kreisen.“

      Er betonte die letzten Worte scharf.

      „Aber man kann doch gar nicht anders handeln!“ rief ich verwundert; „Deutschland hat doch an meine Auslieferung bestimmte Bedingungen geknüpft.“

       „Na, das ließe sich schon machen! Wir sind jetzt mit Bismarck gut Freund; er würde uns schon den kleinen Gefallen erweisen. Man könnte ja zur Not die Sache so darstellen, dass Sie nach der Auslieferung ein Staatsverbrechen begangen haben. Da fällt mir übrigens ein: die Deutschen haben alle Notizen, die Sie sich im Freiburger Gefängnis gemacht haben, hergeschickt.“

      Ich war im höchsten Grade erstaunt. Es fiel mir ein, dass ich in der Tat aus Langeweile in Freiburg dies und jenes niedergeschrieben hatte, Notizen, Pläne usw., aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie diese Blätter in die Hände der russischen Regierung gelangt sein konnten, da ich alle Manuskripte bei der Abreise vernichtet hatte. Wahrscheinlich verhielt sich die Sache so: während man mich spazieren gehen ließ, durchstöberte man meine Papiere und entwendete einzelne Blätter, die dann nach Russland geschickt wurden. Immerhin schien es mir unmöglich, dass man auf Grund solcher Aufzeichnungen eine neue Anklage konstruieren und den Auslieferungsvertrag mit Deutschland abändern könnte. Als ich dieses sagte, erwiderte mir Kotljarewski:

       „Seien Sie unbesorgt, das bringt man schon fertig! Nichts wäre leichter, als eine Einwilligung Deutschlands zu erlangen, und dann würde man Sie nach Gebühr aburteilen. Leute, die weniger auf dem Kerbholz hatten als Sie, Malinka, Drebjasgin, Maidanski, sind längst hingerichtet. Und Sie? Aus dem Gefängnis sind Sie durchgebrannt, als man Sie wegen des Attentats gegen Gorinowitsch endlich erwischt hatte; dann haben Sie noch volle acht Jahre allerlei angestiftet, haben noch mit Stefanowitsch die Tschigiriner Verschwörung angezettelt usw. usw. Und diese vielen Geschichten sollen Ihnen jetzt nicht mehr als einige Jahre Zwangsarbeit einbringen? – das passte der Regierung nicht in den Kram! – Als man Sie also ausgeliefert hatte, wurde in den Höheren Kreisen eine besondere Beratung abgehalten. Ich war natürlich nicht dabei, ich zähle nicht zu den Auserwählten, aber man hat mir erzählt, was es dort gab. Anfangs waren alle einig, eine Änderung des Auslieferungsvertrages herbeizuführen, damit man Sie vor ein Ausnahmegericht stellen könne. Dann – Sie können es sich ungefähr denken – hätte man kurzen Prozess mit Ihnen gemacht! Aber einer von den Hauptpersonen kamen Bedenken, dieser Herr meinte: „Gut, Deutschland wird uns den Gefallen tun; ist das aber ein Vorteil für uns? Jetzt hat man den Deutsch abgefasst; morgen kann in irgendeinem anderen Lande ein noch viel besserer Fang gemacht werden. Dann dürfte es aber schwer werden, die Auslieferung des Betreffenden zu erlangen; die Presse wird Lärm schlagen, man wird behaupten, Russland respektiere die Verträge nicht, und wird sich auf das Beispiel mit Deutsch berufen? Diese Ansicht gewann die Majorität, und nur deshalb hat man beschlossen, die Anklage gegen Sie nur wegen des Attentats gegen Gorinowitsch zu erheben. Aus diesem Grunde nun hatte man Sie in der Peter-Pauls-Feste gelassen, bis der Beschluss feststand.“

      Es ist möglich, dass Kotljarewski mir dieses „Staatsgeheimnis“ verriet, um mir die Zunge zu lösen: vielleicht aber hat er in der Tat dabei keine Hintergedanken gehabt, sondern aus freien Stücken aus der Schule geschwatzt. Im weiteren Verlaufe des Gesprächs berührte er die verschiedensten Dinge. Als unter anderem die Rede von den politischen Verfolgungen in Russland war, wies ich darauf hin, dass so oft absolut harmlose Menschen zu grausamen Strafen verurteilt werden.

      „Was wollen Sie“, erwiderte er, „wo Bäume gefällt werden, gibt es Späne. Schon die alten Römer wussten: summa jus, summa injuria. Übrigens bin ich persönlich gegen die Todesstrafe. Ich sage mir: in einem großen Staate sind politische Verbrechen unvermeidlich; unter einer Bevölkerung von vielen Millionen muss es stets ein paar tausend Unzufriedene geben. Natürlich muss man gegen die Wühler vorgehen. Aber eine starke Regierung kann sie unschädlich


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