Franz Kafka: Gesammelte Werke. Franz Kafka

Franz Kafka: Gesammelte Werke - Franz Kafka


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und der Oberportier zu lebhaftem Gespräch –, umfaßte sie ihn mit der linken Hand, ging mit ihm und der willenlos folgenden Therese in die Tiefe des Zimmers und dort mit beiden einigemal auf und ab, wobei sie sagte: »Es ist möglich, Karl, und darauf scheinst du zu vertrauen, sonst würde ich dich überhaupt nicht verstehen, daß eine Untersuchung dir in einzelnen Kleinigkeiten recht geben wird. Warum denn nicht? Du hast vielleicht tatsächlich den Oberportier gegrüßt. Ich glaube es sogar bestimmt, ich weiß auch, was ich von dem Oberportier zu halten habe, du siehst, ich rede selbst jetzt noch offen zu dir. Aber solche kleine Rechtfertigungen helfen dir gar nichts. Der Oberkellner, dessen Menschenkenntnis ich im Laufe vieler Jahre zu schätzen gelernt habe, und welcher der verläßlichste Mensch ist, den ich überhaupt kenne, hat deine Schuld klar ausgesprochen, und die scheint mir allerdings unwiderleglich. Vielleicht hast du bloß unüberlegt gehandelt, vielleicht aber bist du nicht der, für den ich dich gehalten habe. Und doch«, damit unterbrach sie sich gewissermaßen selbst und sah flüchtig nach den beiden Herren zurück, »kann ich es mir noch nicht abgewöhnen, dich für einen im Grunde anständigen Jungen zu halten.«

      »Frau Oberköchin! Frau Oberköchin!« mahnte der Oberkellner, der ihren Blick aufgefangen hatte.

      »Wir sind gleich fertig«, sagte die Oberköchin und redete nun schneller auf Karl ein: »Höre, Karl, so wie ich die Sache übersehe, bin ich noch froh, daß der Oberkellner keine Untersuchung einleiten will; denn, wollte er sie einleiten, ich müßte es in deinem Interesse verhindern. Niemand soll erfahren, wie und womit du den Mann bewirtet hast, der übrigens nicht einer deiner früheren Kameraden gewesen sein kann, wie du vorgibst, denn mit denen hast du ja zum Abschied großen Streit gehabt, so daß du nicht jetzt einen von ihnen traktieren wirst. Es kann also nur ein Bekannter sein, mit dem du dich leichtsinnigerweise in der Nacht in irgendeiner städtischen Kneipe verbrüdert hast. Wie konntest du mir, Karl, alle diese Dinge verbergen? Wenn es dir im Schlafsaal vielleicht unerträglich war und du zuerst aus diesem unschuldigen Grunde mit deinem Nachtschwärmen angefangen hast, warum hast du denn kein Wort gesagt, du weißt, ich wollte dir ein eigenes Zimmer verschaffen und habe darauf geradezu erst über deine Bitten verzichtet. Es scheint jetzt, als hättest du den allgemeinen Schlafsaal vorgezogen, weil du dich dort ungebundener fühltest. Und dein Geld hattest du doch in meiner Kassa aufgehoben, und die Trinkgelder brachtest du mir jede Woche; woher, um Gottes willen, Junge, hast du das Geld für deine Vergnügungen genommen und woher wolltest du jetzt das Geld für deinen Freund holen? Das sind natürlich lauter Dinge, die ich wenigstens jetzt dem Oberkellner gar nicht andeuten darf, denn dann wäre vielleicht eine Untersuchung unausweichlich. Du mußt also unbedingt aus dem Hotel, und zwar so schnell als möglich. Geh direkt in die Pension Brenner – du warst doch schon mehrmals mit Therese dort –, sie werden dich auf diese Empfehlung hin umsonst aufnehmen –« und die Oberköchin schrieb mit einem goldenen Crayon, den sie aus der Bluse zog, einige Zeilen auf eine Visitenkarte, wobei sie aber die Rede nicht unterbrach – »deinen Koffer werde ich dir gleich nachschicken. Therese, lauf doch in die Garderobe der Liftjungen und pack seinen Koffer!« (Aber Therese rührte sich noch nicht, sondern wollte, wie sie alles Leid ausgehalten hatte, nun auch die Wendung zum Besseren, welche die Sache Karls dank der Güte der Oberköchin nahm, ganz miterleben.)

      Jemand öffnete, ohne sich zu zeigen, ein wenig die Tür und schloß sie gleich wieder. Es mußte offenbar Giacomo gegolten haben, denn dieser trat vor und sagte: »Roßmann, ich habe dir etwas auszurichten.«

      »Gleich«, sagte die Oberköchin und steckte Karl, der mit gesenktem Kopf ihr zugehört hatte, die Visitenkarte in die Tasche, »dein Geld behalte ich vorläufig, du weißt, du kannst es mir anvertrauen. Heute bleib zu Hause und überlege deine Angelegenheit, morgen – heute habe ich keine Zeit, auch habe ich mich schon viel zu lange hier aufgehalten – komme ich zu Brenner, und wir werden zusehen, was wir weiter für dich machen können. Verlassen werde ich dich nicht, das sollst du jedenfalls schon heute wissen. Über deine Zukunft mußt du dir keine Sorgen machen, eher über die letztvergangene Zeit.« Darauf klopfte sie ihm leicht auf die Schulter und ging zum Oberkellner hinüber. Karl hob den Kopf und sah der großen, stattlichen Frau nach, die sich in ruhigem Schritt und freier Haltung von ihm entfernte.

      »Bist du denn gar nicht froh«, sagte Therese, die bei ihm zurückgeblieben war »daß alles so gut ausgefallen ist?«

      »O ja«, sagte Karl und lächelte ihr zu, wußte aber nicht, warum er darüber froh sein sollte, daß man ihn als einen Dieb wegschickte. Aus Theresens Augen strahlte die reinste Freude, als sei es ihr ganz gleichgültig, ob Karl etwas verbrochen hatte oder nicht, ob er gerecht beurteilt worden war oder nicht, wenn man ihn nur gerade entwischen ließ, in Schande oder in Ehren. Und so verhielt sich gerade Therese, die doch in ihren eigenen Angelegenheiten so peinlich war und ein nicht ganz eindeutiges Wort der Oberköchin wochenlang in ihren Gedanken drehte und untersuchte. Mit Absicht fragte er: »Wirst du meinen Koffer gleich packen und wegschicken?« Er mußte gegen seinen Willen vor Staunen den Kopf schütteln, so schnell fand sich Therese in die Frage hinein, und die Überzeugung, daß in dem Koffer Dinge waren, die man vor allen Leuten geheimhalten mußte, ließ sie gar nicht nach Karl hinübersehen, gar nicht ihm die Hand reichen, sondern nur flüstern: »Natürlich, Karl, gleich, gleich werde ich den Koffer packen.« Und schon war sie davongelaufen.

      Nun ließ sich aber Giacomo nicht mehr halten, und aufgeregt durch das lange Warten rief er laut: »Roßmann, der Mann wälzt sich unten im Gang und will sich nicht wegschaffen lassen. Sie wollten ihn ins Krankenhaus bringen lassen, aber er wehrt sich und behauptet, du würdest niemals dulden, daß er ins Krankenhaus kommt. Man solle ein Automobil nehmen und ihn nach Hause schicken, du würdest das Automobil bezahlen. Willst du?«

      »Der Mann hat Vertrauen zu dir«, sagte der Oberkellner. Karl zuckte mit den Schultern und zählte Giacomo sein Geld in die Hand. »Mehr habe ich nicht«, sagte er dann.

      »Ich soll dich auch fragen, ob du mitfahren willst«, fragte noch Giacomo, mit dem Gelde klimpernd.

      »Er wird nicht mitfahren«, sagte die Oberköchin.

      »Also, Roßmann«, sagte der Oberkellner schnell und wartete gar nicht, bis Giacomo draußen war, »du bist auf der Stelle entlassen.«

      Der Oberportier nickte mehrere Male, als wären es seine eigenen Worte, die der Oberkellner nur nachspreche.

      »Die Gründe deiner Entlassung kann ich gar nicht laut aussprechen, denn sonst müßte ich dich einsperren lassen.«

      Der Oberportier sah auffallend streng zur Oberköchin hinüber, denn er hatte wohl erkannt, daß sie die Ursache dieser allzu milden Behandlung war.

      »Jetzt geh zu Beß, zieh dich um, übergib Beß deine Livree und verlasse sofort, aber sofort das Haus.«

      Die Oberköchin schloß die Augen, sie wollte damit Karl beruhigen. Während er sich zum Abschied verbeugte, sah er flüchtig, wie der Oberkellner die Hand der Oberköchin wie im geheimen umfaßte und mit ihr spielte. Der Oberportier begleitete Karl mit schweren Schritten bis zur Tür, die er ihn nicht schließen ließ, sondern selbst noch offen hielt, um Karl nachschreien zu können: »In einer Viertelminute will ich dich beim Haupttor an mir vorübergehen sehen! Merk dir das!«

      Karl beeilte sich, wie er nur konnte, um nur beim Haupttor eine Belästigung zu vermeiden, aber es ging alles viel langsamer, als er wollte. Zuerst war Beß nicht gleich zu finden und jetzt, in der Frühstückszeit, war alles voll Menschen, dann zeigte sich, daß ein Junge sich Karls alte Hosen ausgeborgt hatte, und Karl mußte die Kleiderständer bei fast allen Betten absuchen, ehe er diese Hosen fand, so daß wohl fünf Minuten vergangen waren, ehe Karl zum Haupttor kam. Gerade vor ihm ging eine Dame mitten zwischen vier Herren. Sie gingen alle auf ein großes Automobil zu, das sie erwartete und dessen Schlag bereits ein Lakai geöffnet hielt, während er den freien linken Arm seitwärts waagrecht und steif ausstreckte, was höchst feierlich aussah. Aber Karl hatte umsonst gehofft, hinter dieser vornehmen Gesellschaft unbemerkt hinauszukommen. Schon faßte ihn der Oberportier bei der Hand und zog ihn zwischen zwei Herren hindurch, die er um Verzeihung bat, zu sich hin.

      »Das soll eine Viertelminute gewesen sein«, sagte er und sah Karl von der Seite an, als beobachte er eine schlecht gehende Uhr. »Komm einmal her«, sagte er dann und führte ihn in die große Portierloge,


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