Zwischen Knast und Alltag. Anita B.

Zwischen Knast und Alltag - Anita B.


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essen Popcorn, trinken Apfelschorle und die beiden freuen sich über die gelungene Abwechslung. Genauso wie ich.

      Gedankenchaos

      Abends mache ich es mir vorm Fernseher gemütlich und danach versuche ich zu schlafen, was mir in dieser Nacht nicht wirklich gelingt. In Gedanken bin ich bei John. Ich wünschte, ich könnte sie abschalten. Aber so einfach ist das leider nicht. Gegen drei Uhr morgens schreit Nic. Fast schon ein wenig glücklich darüber, hole ich ihn zu mir ins Bett, er kuschelt sich an mich und irgendwann schlafen wir beide ein.

      Am nächsten Morgen bin ich wie gerädert. Drei Stunden Schlaf sind einfach zu wenig. Ich mache die Jungs fertig, bringe sie in die Kita und gehe danach zum Laufen. Als ich zurückkomme, hält die Postbotin vor unserem Haus und übergibt mir lächelnd einen Brief: »Es ist doch immer wieder schön, wenn man heutzutage noch Liebesbriefe bekommt, nicht wahr?« »Ja, das stimmt«, freue ich mich wie ein kleines Schulmädchen. Wieder suche ich mir die erstbeste Sitzgelegenheit und reiße aufgeregt den Umschlag auf.

       Hallo Lara,

       hier kommt also mein versprochener Brief an dich. Ich hoffe, ihr genießt das schöne Wetter.

      Naja, so schön ist es inzwischen leider nicht mehr, aber vor zwei Tagen, als John den Brief geschrieben hat, war es in der Tat sehr warm und sonnig. Diese Art von Zeitverschiebung ist für mich wirklich sehr gewöhnungsbedürftig.

       Nun habe ich genug Zeit, um dir ausführlicher zu schreiben und dir wie angekündigt zu erzählen, wie es zu alldem kam. Zunächst habe ich im Marketing eines Berliner Radiosenders gearbeitet. Dank eines Kunden ergab sich kurze Zeit später die Möglichkeit, mich mit einer Werbeagentur selbstständig zu machen. Durch diese Unterstützung lief die Agentur damals sofort sehr gut an. Dann kam mein Aufenthalt in Los Angeles, wobei ich erneut großes Glück hatte. Ich bekam die Chance, die Anzeigen für die Westküste des Kunden Macy‘s zu kreieren. Kennst du sicherlich, ist eine riesige Einkaufskette in den Staaten.

       Nach drei Jahren Amerika zog ich nach München und arbeitete freiberuflich für verschiedene Medien. Schließlich gründete ich meinen Verlag und gab die erste eigene Zeitschrift heraus. Sie hieß »SPORTNEUHEITEN«. Mit dem Relaunch zu »JFM - JUST FOR MEN« kam der große Durchbruch, die Verkaufszahlen sind nach oben geschossen und der Anzeigenumsatz stieg an. Das lief eine ganze Weile gut, bis ich Probleme mit meiner Druckerei bekam. Zwei Ausgaben konnten nicht erscheinen, da ich mich zu lange habe hinhalten lassen. Am Ende erfuhr ich, dass sie Konkurs waren und deshalb nicht drucken konnten. Dadurch war mir ein enormer wirtschaftlicher Schaden entstanden. Einen Teil davon konnte ich auffangen, aber um den Rest der Kosten tragen zu können, musste ich dringend die nächste Ausgabe auf den Markt bringen.

       Im Endeffekt lag darin mein großer Fehler, denn dadurch habe ich mich strafbar gemacht. Vom Gesetz her ist es so, dass, wenn ich eigentlich zahlungsunfähig bin, in dem Moment der Auftragserteilung (z.B. an einen Redakteur, Fotografen oder ein Model) ist dies Betrug. Da ich zuvor, als es so gut lief, zwangsläufig viele Neider gesammelt hatte, kam diesen Personen ein solcher Fehler von mir wie gerufen. Genau diese Leute sorgten dafür, dass gegen mich Anzeige erstattet wurde. Das Ende vom Lied war, mir wurde vorgeworfen, einige solcher Aufträge erteilt zu haben und somit wurde ich auch verurteilt. Nun sitze ich also hier und muss für diese Fehlentscheidung von mir die Strafe verbüßen. Jetzt weißt du, wie es zu alldem kam.

       Also gut, liebe Lara, dann komme ich für heute mal zum Ende. Grüße bitte Nic und Felix ganz lieb von mir. Ich freue mich schon heute riesig auf deinen nächsten Brief! Bis dahin wünsche ich euch eine schöne Zeit. Bis ganz bald. Liebe Grüße, John

      Puh erst einmal tief durchatmen. Das mit den »noch zwei Jahren« war also wirklich kein Versehen. Richtig nachvollziehen kann ich diese hohe Strafe zwar trotzdem nicht, aber das wird John mir sicher bald genauer erklären.

      Inzwischen habe ich bereits zwei Briefe von ihm vor mir liegen, doch ich habe keine Ahnung, was ich ihm antworten soll. Der Gedanke an die nächsten beiden Jahre in dieser Konstellation erschlägt mich noch immer. Gleichzeitig sind meine Gefühle für John wieder da und vielleicht sogar stärker als je zuvor.

      Ich schreibe John, dass ich bei »noch mindestens zwei Jahren« fast vom Stuhl gefallen bin und mich ernsthaft frage, ob ich mich an diesen Gedanken überhaupt gewöhnen kann. Aber dann erzähle ich ihm von den Jungs, der Kita, unserer WG, meiner Wohnungssuche, Alltagsproblemen, wie beispielsweise Nics häufiges nächtliches Aufwachen oder von den Auseinandersetzungen mit meinem Ex. Selbst die lieben Worte der Postbotin schreibe ich ihm.

      Auch frage ich John, ob wir mal telefonieren können. Ich kann es nämlich kaum erwarten, nach all den Jahren seine Stimme zu hören. In diesem Zusammenhang frage ich gleich noch einmal nach, wann ich ihn besuchen darf. Vierzehn Jahre sind eine lange Zeit, so vieles hat sich seither getan. Außerdem ist Ungeduld quasi mein zweiter Vorname. Erst wenn ich John gegenübersitze, bin ich wirklich in der Lage einzuschätzen, was ich für ihn empfinde und ob ich so eine Art von Beziehung zwei Jahre durchhalten könnte. Dann kann ich ihm ein paar meiner charmanten Witze aufs Auge drücken und mal schauen, ob er seinen Humor nicht verloren hat und auch in seiner jetzigen Situation darüber lachen kann.

      Nic ist happy, er darf den Brief für mich einwerfen. Der Briefkasten wird heute noch gelehrt, somit hat John meine Zeilen gleich morgen in den Händen. Trotzdem ist jetzt wieder Warten angesagt. »Oh, wie schön war doch die Zeit, als es noch E-Mails und Handys gab«, murmle ich sarkastisch vor mich hin. »Was hast du gesagt, Mami?«, fragt Nic. »Ach nichts, mein Schatz, alles gut. Lauft schon mal vor zum Auto!« Gedankenverloren trotte ich hinterher.

      Kann man sich eigentlich an dieses ständige Warten gewöhnen? Wie macht John das überhaupt? Ich habe ja wenigstens noch die Abwechslung mit den Kids. Aber was hat John außer seiner Arbeit? Sitzt der ansonsten immer nur in seiner Zelle? Was macht der arme Kerl da drinnen gegen seine sicherlich auch nicht abzuschaltenden Gedanken? Ich würde wahnsinnig werden und schier durchdrehen. Ich weiß gar nicht, wie da überhaupt jemand unbeschadet wieder rauskommt. Für mich ist diese Situation jetzt schon unerträglich, nach nur wenigen Wochen. Und ich bin draußen! Dennoch drehen sich meine Gedanken fast nur noch um John.

      Drei Tage später bekomme ich endlich wieder eine Nachricht.

       Hallo meine liebe Lara!

      Wow, meine liebe Lara, wie schön das klingt.

       Ich habe mich heute wieder riesig über deinen Brief gefreut. Natürlich ist mir klar, warum du die Anzeige geschaltet hast. Umso glücklicher bin ich, dass du mir überhaupt geantwortet hast, zumal wir beide genau dasselbe suchen und uns wünschen – Eine glückliche Familie!

      Schon richtig, nur wusste ich zum Zeitpunkt meines »Überhaupt-Antwortens« nicht, was sich hinter Johns Domizil verbirgt.

       Es freut mich wirklich sehr zu hören, dass du mich vermisst. Wenn ich ganz ehrlich bin, geht es mir mit dir nämlich ebenso. Ich wäre jetzt so gerne bei dir/euch. Danke übrigens für dein Foto, es hängt bei mir an meiner Pinnwand, direkt neben meinem Kopf am Bett. Du darfst mir gerne noch weitere Bilder schicken, ich habe dort noch genügend Platz. Das ist ja wirklich süß von deiner Postbotin, dass sie meine Briefe direkt als Liebesbriefe identifiziert hat. Aber recht hat sie, wann bekommt man heute noch »altmodische« Liebesbriefe. Ist doch etwas Schönes, oder?

      Ich würde liebend gern darauf verzichten und hätte überhaupt kein Problem damit, künftig ein wenig direkter, schneller, häufiger und billiger mit John zu kommunizieren.

       Das stimmt, sogenannte Wirtschaftskriminelle haben es echt schwer in Deutschland. Hat man jedoch einen Promi-Status, geht die Bevölkerung gleich ganz anders mit einem um. Aber ich kann es nicht ändern.. Letztlich bekam ich drei Jahre neun Monate. Die sieben Monate Untersuchungshaft in Stadelheim sind da allerdings nicht mit gerechnet. Hast du dich denn inzwischen schon von dem Schock der »zwei Jahre« erholt?

      Das werde ich nie, jeder einzelne Tag davon ist


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