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Ludwig Feuerbach
Das Wesen des Christentums
Das Wesen des Christentums
Ludwig Feuerbach
Impressum
Texte: © Copyright by Ludwig Feuerbach
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag: Das historische Buch, 2022
Mail: [email protected]
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Erster Teil: Das Wahre, d. i. anthropologische Wesen der Religion
Zweiter Teil: Das unwahre, d. i. theologische Wesen der Religion
Vorworte
Die in verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegentlichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers über Religion und Christentum, Theologie und spekulative Religionsphilosophie findet der geneigte und ungeneigte Leser in vorliegendem Werke konzentriert, aber jetzt ausgebildet, durchgeführt, begründet – konserviert und reformiert, beschränkt und erweitert, gemäßigt und geschärft, je nachdem es eben sachgemäß und folglich notwendig war, aber keineswegs wohlgemerkt! vollständig erschöpft, und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil der Verfasser, abgeneigt allen nebulosen Allgemeinheiten, wie bei allen seinen Schriften, so auch bei dieser nur ein ganz bestimmtes Thema verfolgte.
Vorliegendes Werk enthält die Elemente, wohlgemerkt! nur die und zwar kritischen Elemente zu einer Philosophie der positiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie sich im voraus erwarten läßt, einer Religionsphilosophie weder in dem kindisch phantastischen Sinne unserer christlichen Mythologie, die sich jedes Ammenmärchen der Historie als Tatsache aufbinden läßt, noch in dem pedantischen Sinne unserer spekulativen Religionsphilosophie, welche, wie weiland die Scholastik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logisch-metaphysische Wahrheit demonstriert.
Die spekulative Religionsphilosophie opfert die Religion der Philosophie, die christliche Mythologie die Philosophie der Religion auf; jene macht die Religion zu einem Spielball der spekulativen Willkür, diese die Vernunft zum Spielball eines phantastischen religiösen Materialismus; jene läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser sagt, diese läßt die Religion anstatt der Vernunft reden; jene, unfähig, aus sich herauszukommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eigenen Gedanken, diese, unfähig, zu sich zu kommen, die Bilder zu Sachen.
Es versteht sich allerdings von selbst, daß Philosophie oder Religion im allgemeinen, d.h. abgesehen von ihrer spezifischen Differenz, identisch sind, daß, weil es ein und dasselbe Wesen ist, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Religion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede bestimmte Religion, jede Glaubensweise auch zugleich eine Denkweise ist, indem es völlig unmöglich ist, daß irgendein Mensch etwas glaubt, was wirklich wenigstens seinem Denk- und Vorstellungsvermögen widerspricht. So ist das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Widersprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine sich von selbst ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleichfalls für ihn eine sehr natürliche Vorstellung ist. So ist dem Glauben die Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe so klar, so natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entstehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. Nur wann der Mensch nicht mehr in Harmonie mit seinem Glauben ist, fühlt und denkt, der Glaube also keine den Menschen mehr penetrierende Wahrheit ist, nur dann erst wird der Widerspruch des Glaubens, der Religion mit der Vernunft mit besonderm Nachdruck hervorgehoben. Allerdings erklärt auch der mit sich einige Glaube seine Gegenstände für unbegreiflich, für widersprechend der Vernunft, aber er unterscheidet zwischen christlicher und heidnischer, erleuchteter und natürlicher Vernunft. Ein Unterschied, der übrigens nur so viel sagt: Dem Unglauben nur sind die Glaubensgegenstände vernunftwidrig, aber wer sie einmal glaubt, der ist von ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten sie selbst für die höchste Vernunft. Aber auch inmitten dieser Harmonie zwischen dem christlichen oder religiösen Glauben und der christlichen oder religiösen Vernunft bleibt doch immer ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch der Glaube sich nicht der natürlichen Vernunft entäußern kann. Die natürliche Vernunft ist aber nichts andres als die Vernunft ϰατέξοχήν, die allgemei-ne Vernunft, die Vernunft mit allgemeinen Wahrheiten und Gesetzen; der christliche Glaube oder, was eins ist, die christliche Vernunft dagegen ist ein Inbegriff besonderer Wahrheiten, besonderer Privilegien und Exemtionen, also eine besondere Vernunft. Kürzer und schärfer: Die Vernunft ist die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbst in der besten Harmonie ist daher eine Kollision zwischen beiden unvermeidlich, denn die Spezialität des Glaubens und die Universalität der Vernunft decken sich, sättigen sich nicht vollkommen, sondern es bleibt ein Überschuß von freier Vernunft, welcher für sich selbst, im Widerspruch mit der an die Basis des Glaubens gebundenen Vernunft, wenigstens in besondern Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwischen Glauben und Vernunft selbst zu einer psychologischen Tatsache.
Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen Vernunft übereinstimmt, begründet das Wesen des Glaubens, sondern das, wodurch er sich von ihr unterscheidet. Die Besonderheit ist die Würze des Glaubens – daher sein Inhalt selbst äußerlich schon gebunden ist an eine besondere, historische Zeit, einen besonderen Ort, einen besonderen Namen. Den Glauben mit der Vernunft identifizieren, heißt den Glauben diluieren, seine Differenz auslöschen. Wenn ich z.B. den Glauben an die Erbsünde nichts weiter aussagen lasse als dies, daß der Mensch von Natur nicht so sei, wie er sein soll, so lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationalistische Wahrheit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Mensch weiß, selbst der rohe Naturmensch noch bestätigt, wenn er auch nur mit einem Felle seine Scham bedeckt, denn was sagt er durch diese Bedeckung anders aus, als daß das menschliche Individuum von Natur nicht so ist, wie es sein soll. Freilich liegt auch der Erbsünde dieser allgemeine Gedanke zugrunde, aber das, was sie zu einem Glaubensobjekt, zu einer religiösen Wahrheit macht, dies ist gerade das Besondere, das Differente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Übereinstimmende.
Allerdings ist immer und notwendig das Verhältnis des Denkens zu den Gegenständen der Religion, als ein sie be- und erleuchtendes, in den Augen der Religion oder wenigstens der Theologie ein sie diluierendes und destruierendes Verhältnis – so ist es auch die Aufgabe dieser Schrift, nachzuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zugrunde liegen –, aber es ist zugleich unerläßlich, die wesentliche Differenz der Philosophie und Religion stets festzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht sich selbst expektorieren will. Die wesentliche Differenz der Religion von der Philosophie begründet aber das Bild. Die Religion ist wesentlich dramatisch. Gott selbst ist ein dramatisches, d.h. persönliches Wesen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild ist als Bild Sache.
Hier in dieser Schrift nun werden die Bilder der Religion weder zu Gedanken – wenigstens nicht in dem Sinne der spekulativen Religionsphilosophie – noch zu Sachen gemacht, sondern als Bilder betrachtet – d.h. die Theologie wird weder als eine mystische Pragmatologie, wie von der christlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der spekulativen Religionsphilosophie, sondern als psychische Pathologie behandelt.
Die Methode, die aber der Verfasser hiebei befolgt, ist eine durchaus objektive – die Methode der analytischen Chemie. Daher werden überall, wo es nur nötig und möglich war, Dokumente teils gleich unter dem Text, teils in einem besondern Anhange angeführt, um die durch die Analyse gewonnenen Konklusionen