Das Wesen des Christentums. Feuerbach Ludwig

Das Wesen des Christentums - Feuerbach Ludwig


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      Daß der Verfasser diese seine Zeugnisse aus dem Archiv längst vergangner Jahrhunderte herholt, das hat seine guten Gründe. Auch das Christentum hat seine klassischen Zeiten gehabt – und nur das Wahre, das Große, das Klassische ist würdig, gedacht zu werden; das Unklassische gehört vor das Forum der Komik oder der Satire. Um daher das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, mußte der Verfasser von dem feigen, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahieren, sich zurückversetzen in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der Heidnischen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu versinken; wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe.

      Das moderne Christentum hat keine andern Zeugnisse mehr aufzuweisen als – Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat – das hat es nicht aus sich –, es lebt vom Almosen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Christentum ein der philosophischen Kritik würdiger Gegenstand, so hätte sich der Verfasser die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm seine Schrift gekostet, ersparen können. Was nämlich in dieser Schrift sozusagen a priori bewiesen wird, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist, das hat längst a posteriori die Geschichte der Theologie bewiesen und bestätigt. »Die Geschichte des Dogmas«, allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt, ist die »Kritik des Dogmas«, der Theologie überhaupt. Die Theologie ist längst zur Anthropologie geworden. So hat die Geschichte realisiert, zu einem Gegenstande des Bewußtseins gemacht, was an sich – hierin ist die Methode Hegels vollkommen richtig historisch begründet – das Wesen der Theologie war.

      Obgleich aber »die unendliche Freiheit und Persönlichkeit« der modernen Welt sich also der christlichen Religion und Theologie bemeistert hat, daß der Unterschied zwischen dem produzierenden heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem konsumierenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphosiert ist, so spukt doch immer noch unsrer Zeit und Theologie, infolge ihrer unentschiedenen Halbheit und Charakterlosigkeit, das übermenschliche und übernatürliche Wesen des alten Christentums wenigstens als ein Gespenst im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne alles philosophische Interesse gewesen, wenn der Verfasser den Beweis, daß dieses moderne Gespenst nur eine Illusion, eine Selbsttäuschung des Menschen ist, zum Ziele seiner Arbeit sich gesetzt hätte. Gespenster sind Schatten der Vergangenheit – notwendig führen sie uns auf die Frage zurück: was war einst das Gespenst, als es noch ein Wesen von Fleisch und Blut war?

      Der Verfasser muß jedoch den geneigten, insbesondere aber den ungeneigten Leser ersuchen, nicht außer acht zu lassen, daß er, wenn er aus der alten Zeit heraus schreibt, darum noch nicht in der alten, sondern in der neuen Zeit und für die neue Zeit schreibt, daß er also das moderne Gespenst nicht außer Augen läßt, während er sein ursprüngliches Wesen betrachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieser Schrift ein pathologischer oder physiologischer, aber doch ihr Zweck zugleich ein therapeutischer oder praktischer ist.

      Dieser Zweck ist – Beförderung der pneumatischen Wasserheilkunde – Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des kalten Wassers der natürlichen Vernunft – Wiederherstellung der alten einfachen ionischen Hydrologie auf dem Gebiete der spekulativen Philosophie, zunächst auf dem der spekulativen Religionsphilosophie. Die alte ionische, insbesondere Thalessche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer ursprünglichen Gestalt also: Das Wasser ist der Ursprung aller Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt der Dinge als ein besonderes Wesen assistiert, ist offenbar nur ein Zusatz des spätem heidnischen Theismus.

      Nicht widerspricht das sokratische Γνϖϑι σαϑτόν welches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem einfachen Naturelement der ionischen Weltweisheit, wenn es wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wofür es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium. Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist es, auch nur zu blicken in klares Wasser! wie seelerquickend, wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht uns das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbstbewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges – das Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhüllungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranaturalistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser der ionischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astrotheologie.

      Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers – hierin die Wohltätigkeit und Notwendigkeit der pneumatischen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich selbst betörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie großenteils das gegenwärtige ist.

      Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle, sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Αριστον ύδωρ, allerdings; aber auch αριστον μέτρον. Auch die Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begrenzte, in Maß und Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare Krankheiten. So ist vor allem inkurabel die Venerie, die Lustseuche der modernen Frömmler, Dichter und Schöngeistler, welche, den Wert der Dinge nur nach ihrem poetischen Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und wohltätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheitslos, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur so lange schön ist, solange sie für keine Illusion, sondern für Wahrheit gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Subjekte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler. Nur wer den schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als den gleisnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen. Vorrede zur zweiten Auflage

      Die albernen und perfiden Urteile, welche über diese Schrift seit ihrer Erscheinung in der ersten Auflage gefällt wurden, haben mich keinesweges befremdet, denn ich erwartete keine anderen und konnte auch rechtlicher- und vernünftigerweise keine anderen erwarten. Ich habe es durch diese Schrift mit Gott und Welt verdorben. Ich habe die »ruchlose Frechheit« gehabt, schon in dem Vorwort auszusprechen, daß »auch das Christentum seine klassischen Zeiten gehabt habe und nur das Wahre, das Große, das Klassische würdig sei, gedacht zu werden, das Unwahre, Kleine, Unklassische aber vor das Forum der Satire oder Komik gehöre, daß ich daher, um das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, von dem dissoluten, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahiert, mich zurückversetzt habe in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe«. Ich habe also die ruchlose Frechheit gehabt, das von den modernen Scheinchristen vertuschte und verleugnete wahre Christentum aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht wieder hervorzuziehen, aber nicht in der löblichen und vernünftigen Absicht, es als das Nonplusultra des menschlichen Geistes und Herzens hinzustellen, nein! in der entgegengesetzten, in der ebenso »törichten« als »teuflischen« Absicht, es auf ein höheres, allgemeineres Prinzip zu reduzieren – und bin infolge dieser ruchlosen Frechheit mit Fug und Recht der Fluch der modernen Christen, insbesondere der Theologen geworden. Ich habe die spekulative Philosophie an ihrer empfindlichsten Stelle, an ihrem eigentlichen Point d'honneur angegriffen, indem ich die scheinbare Eintracht, welche sie zwischen sich und der Religion gestiftet, unbarmherzig zerstörte – nachwies, daß sie, um die Religion mit sich in Einklang zu bringen,


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