Die Baumkinder aus der Mangrove. Marisa Dittmar

Die Baumkinder aus der Mangrove - Marisa Dittmar


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wollte.

      Isin ignorierte Rila und fuhr fort, während alle noch gespannter als normal zuhörten: „Genau, ich wurde in einen Blumentopf gepflanzt! Von einer Krabbenfischerfamilie, ist ja klar! Die sind eine der wenigen Gruppen, die die Schönheit der Mangrove kennen. Bei einem Spaziergang durch die Mangrove nahmen sie mal einen Rhizophora-Samen oder besser gesagt meinen Rhizophora-Samen zu sich nach Hause mit. Also bin ich in ihrem Wohnzimmer aufgewachsen. Zur Familie gehörte auch ein kleines Mädchen, Luana. Sie und ihren Nachbar, Thiago, kannte ich sehr gut. Sie kümmerten sich gut um mich und gossen mich jeden Tag. Als die Kinder schon etwas größer wurden und eingeschult wurden, hatten sie nicht mehr so viel Zeit zum Spielen. Doch sie vergaßen mich nie. Luana und Thiago lernten gemeinsam für die Schule in Luanas Zimmer, wo auch ich war. Dort machten sie immer ihre Hausaufgaben. Ich habe jede Menge Menschensachen gelernt. Anders als die anderen Bäume. Ich weiß auch nicht wie ich das geschafft habe, eigentlich ist es unmöglich. Langsam fing ich an ihre Laute wahrzunehmen. Und dann ganz langsam, Schritt für Schritt fing ich an ihre Sprache zu verstehen. Langsam war mir alles klar. Sie wussten es nicht, doch ich lernte alles mit, was sie lernten. Denn ich verstand jedes Wort.

      Natürlich wuchs ich weiter und bald war ich zu groß für ihr Haus. Sie mussten mich unter Tränen und Trauer in die Mangrove umpflanzen. Ich mochte sie gerne. Am Anfang kamen sie mich ab und zu in der Mangrove besuchen und ich war ihnen sehr dankbar dafür. Nach einer Zeit kamen sie nicht mehr und ich kannte noch niemanden hier. Die Mangrove war etwas Neues für mich und ich genoss es, hier zu sein. Im Gegensatz zu euch, die ihr schon immer hier wart, war die Mangrove etwas sehr Besonderes für mich. Ich sah sie, so wie sie gesehen werden soll, als Wunder der Natur!

      Ich langweilte mich zuerst, dann fing ich an die gelernten Geräusche der Menschen, also den Ton der Buchstaben nachzuahmen. Es war schwer, denn ich hatte keinen Mund so wie sie. Es war schwer einen Ton aus mir rauszukriegen. Ich hatte keine Ahnung, wie man es als Baum machen kann. Endlich hatte ich es raus. Ich schaffte es! Ich lernte alle Buchstaben, dann tat ich sie zu Worten zusammen und schließlich zu Sätzen. Die Bäume um mich herum nahmen die von mir erzeugten menschlichen Laute natürlich nicht wahr, allerdings fing ich an mich mit ihnen anzufreunden. Es war schön mal mit anderen Bäumen zu bomearieren. Damals lernte ich auch Nolia kennen. Ich erzählte den Bäumen, dass ich Menschensprache konnte und sie bewunderten mich. Freilich war Nolia der einzige Baum, der sich wirklich dafür interessierte und ich brachte es ihr bei. Es dauerte lange bis sie es gelernt hatte, doch, weil ich ein anderer Baum war, der es ihr beibrachte, war es nicht ganz so schwer wie bei mir. Das schwerste war es ihr beizubringen, wie man die menschlichen Laute wahrnimmt. Endlich hatte sie es verstanden.

      Ich und Nolia passten gut zusammen und wurden gute Freunde, darum beschlossen wir zusammen Kinder zu kriegen. Ich war ein bisschen älter und hatte schon vorher Kinder bekommen, aber noch nie ein Kind mit einem anderen Baum, Nolia hingegen schon. Es war jedoch etwas sehr Besonderes für uns beide. Alle unsere Kinder wurden weit weg gespült, bis auf Rila. Sie blieb bei uns.

      Euch Kindern war es nicht ganz so schwer Menschensprache beizubringen, denn ihr habt es seitdem ihr kleine Keimlinge wart, gelernt. Also wart ihr schon lange daran gewöhnt.“ Er hielt kurz inne, dann bomearierte er: „Ich bin immer noch der einzige Baum, der eine Menschensprache von sich allein gelernt hat und darum bin ich bei den Bäumen berühmt. Bisher wusste noch keiner wie ich Menschensprache gelernt habe, denn es ist und bleibt mein größtes Geheimnis, auch wenn ihr es jetzt wisst, denn ihr dürft es niemals weitererzählen.“

      Die Baumkinder staunten, aber nicht wie sonst. Diesmal war es anders! Diesmal hatte Isin ihnen das erzählt, was sie schon immer wissen wollten! Das, wonach sie schon so oft gefragt hatten! Das, was Isin ihnen nie erzählen wollte! Diesmal war es keine normale Erzählung! Jetzt wussten sie endlich, wie Isin all das gelernt hatte! Endlich! Und er hatte es ihnen erzählt, ohne dass sie gefragt hatten!

      3. Kapitel

Wir wollen laufen!

      A

      m nächsten Morgen war es Rila, die früh erwachte. Sie hatte eine Idee im Kopf, die zur Erfüllung ihres größten Wunsches führen sollte. Oft hatte sie schon an ihrem Plan geknobelt. Doch da ihr Plan für einen Baum ohne menschliche Hilfe unmöglich erschien, hatte sie ihren besten Freunden Soni und Niso noch nicht davon erzählt. Jetzt schien die Welt endlich reif zu sein, um ihren Plan zum Leben zu erwecken.

      Rila wartete ungeduldig bis Soni und Niso wach waren. Und sobald diese wach waren, rief sie sofort bomearierend: „Ich will die Welt kennenlernen und eine Idee habe ich auch schon!“

      „Wie bitte?“, fragte Niso verschlafen. Soni war schlagartig hellwach und schien sofort verstanden zu haben, denn er fragte aufgeregt: „Und was ist deine Idee, Rila?“

      „Ah, die ist ziemlich kompliziert. Wie soll ich das sagen? Es hat was mit dem …“

      Aber Niso unterbrach Rila aufgebracht: „Worüber denn, Rila? Ich habe dich nicht verstanden.“

      „Sie will die Welt kennenlernen“, bomearierte Nolia ruhig.

      Nun übernahm Rila wieder das Wort: „Um die Welt kennenzulernen müssen wir reisen. Wie man reisen kann, auch darüber habe ich schon lange nachgedacht und Gestern, als Niso den Blumentopf fand, hatte ich endlich einen Einfall! Wir müssen uns selbst einpflanzen und dann …“ Rila überkamen Zweifel an ihrer Idee.

      „Ach sag schon Rila, was dann?“, fragte Soni. Rila zögerte einen Moment, fuhr dann aber unsicher fort:

      „Ich bin mir nicht sicher, ob das funktionieren wird.“

      „Egal, erzähl einfach!“, bomearierte Soni ungeduldig.

      „Ja, ja, ich dachte nur … Wir gehen in den Blumentopf und dann kommt Erde rein. Danach stecken wir unten in die Löcher zwei gleichlange Stöcke, … als Beinersatz, meine ich. Und anschließend bewegen wir die Stöcke mit den Wurzeln und laufen, … und dann fallen wir um!“ Rila sah ihre Freunde missmutig an.

      Soni sah verwirrt aus, doch Niso strahlte vor Freude. „Das ist eine glänzende Idee, Rila!“, sagte er, woraufhin Rila und Soni noch verwirrter dreinschauten.

      „Verstehst du deine eigene Idee nicht mehr, Rila? Niso hat Recht! Obwohl er noch ganz verschlafen und müde ist, der Kleine“, sagte Nolia.

      Dann brach ein bomearisches Durcheinander aus, alle wollten ihre Meinung dazu sagen.

      Isin gab dem Durcheinander ein Ende: „Wir können nicht gleichzeitig bomearieren, so versteht sich keiner! Wir müssen eine Reihenfolge festlegen. Du bist zuerst dran, Niso! Was wolltest du Wichtiges sagen?“

      „Ach, nichts Wichtiges“, sagte Niso, der einfach nur meckern wollte, weil Nolia ihn als „klein“ bezeichnet hatte.

      „Was wolltest du denn Unwichtiges sagen?“, fragte Isin.

      „Ist egal!“, sagte Niso verlegen.

      „Ok, wenn du es uns nicht sagen willst ist jetzt Soni dran.“

      „Nichts Wichtiges!“

      „Und Rila?“, fragte Isin.

      „Vergessen!“

      „Also auch nicht wichtig! Und Nolia?“, fragte Isin weiter.

      „Ich habe nichts gesagt!“, lachte Nolia.

      „Also gut!“, sagte Isin.

      Die Baumkinder, Isin und Nolia diskutierten und überlegte noch eine Weile an ihrer Idee herum, bis sie die Idee bis ins kleinste Detail durchüberlegt hatten. Dann fingen sie an zu basteln. Nach einer ziemlich langen Zeit, die ihnen jedoch sehr kurz vorkam, waren sie schon fast fertig. Isin und Nolia halfen den jungen Bäumen in den Blumentopf. Nun machten sie erschöpft eine Pause. Sie waren froh, endlich in dem Blumentopf zu sein. Es fehlten nur noch die Stöcke.

      „Mmm, wie groß sollen die Stöcke ungefähr sein?“, fragte Nolia.

      „Am besten vielleicht so“, sagte Rila, wobei sie mit ihren Ästen eine Größe zeigte.

      „Dort hinten ist einer!“,


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