Elisa. Jaqueline Merlin
die ich schon wartete vor dem Einschlafen, wie auf unser Gute-Nacht-Gebet,
was ich jeden Abend mit meiner Mutter sprach: “Ich bin klein, mein Herz ist rein,
soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Manchmal war eine sirrende Mücke
eine willkommene Ausrede, noch einmal ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, die
bereits im Türschließen verschwand. “Mutti, in meinem Zimmer ist ein Brummer,
der mich pieken will. “Man konnte den Angriffen des Brummers auch trotzen mit
einem Sprung aus dem Bett und sich quer über die Fensterbank legen. Der Blick
fiel dann oft auf einen rötlichen Abendhimmel, in dem sich weite Berge näherten
und manchmal eine Eule seicht im Tiefflug über sommerlichen Heu-Puppen glitt.
Im August ging dann gigantisch der Erntemond auf, der sich über jene Felder hin
streckte, die von Strohgarben gekrönt waren und unter silbernen Licht erstrahlten.
Alte, knorrige Eichen warfen gespenstige Schatten, der bei Vollmond schauderte.
EIN VOGELPARADIES
An grünen Märzabenden schrien Drosseln von den Spitzen der Silberbirken, die
die Ränder des Rasens säumten. Mein Vater sprach mit ihnen manchmal zu laut.
Dann rief er ihnen zu: “Ja, ich höre euer freches Gekreische, mit dem ihr angebt.
Da lobe ich mir eine ganz alltägliche Amsel.“ Der halb verwilderte, große Garten
war voller Vögel, denen er das ganze Jahr über seine ungeteilte Aufmerksamkeit
widmete. Im Sommer lag er in einem Liegestuhl auf dem Rasen, und die Zeitung
auf seinen Knien war nur ein Vorwand, um desto besser beobachten wie lauschen
zu können. “Irgendwo da hinten im Gezweig steckt ein Weidenlaubsänger“, sagte
er und wies rüber, wenn ich kam, um ihn zum Tee zu bitten. “Sehen kann ich den
Burschen nicht, aber hören. “Dann lehrte er mich das Absacken des Liedes hören.
wie unterscheiden von ausklingendem Gesang der Amsel, was charakteristisch ist
für die Weidenlaubsänger. „Man muss in der Lage sein, Vögel in den Gebaren zu
erkennen, mein Junge.“ Nie benutzte er sein Fernglas, aber oft setzte er sich die
Brille auf, erhob sich und ging behutsam zu dem Kleiber oder Baumläufer in den
Kiefern hinter den Rhododendren. „Wenn der Schlingel im Gegenlicht sitzt, wird
es schwierig, ihn gut zu Gesicht zu bekommen, weißt du.“ Es regte ihn auf, wenn
diese Dompfaffen auf den Pflaumenbäumen, grüne Knospen anpickten. Nie nahm
er etwas in die Hand, sie zu verscheuchen. Er sah ihnen zu und schimpfte sie aus.
Meine drei Jahre ältere Schwester und ich hängten den Meisen Ringe auf und den
Staren und Bachstelzen streuten wir harte Brotkrumen und Speckschwarte-Stücke,
die über den Pfützen bedeckten Rasen rannten. Einmal flog ein junger Buntspecht
mit ganzer Wucht an die Fensterscheibe am Ende der Veranda und verstarb einige
Minuten später in der Hand meines Vaters. Seither habe ich keinen mehr gesehen.
MEINE INTERNATSZEIT
Während der fünf Jahre, in denen ich in Northampton zur Schule ging, bekam ich
gewöhnlich Ende März eine Postkarte von meinem Vater, auf der nichts stand als:
„Ich habe den Weidenlaubsänger gehört.“- Das heißt, wenn man in einem Internat
nicht herum gestoßen werden will, muss man sich durchsetzen. Ich kann für mich
nicht sagen, dass es zutraf. In meiner Schulzeit gab es zwei Rektoren, die Strenge
nicht besonders erstrebenswert hielten, was den Ton angab, bei Lehrern wie auch
Schülern. Ohnehin haben Jungen einen natürlichen Respekt und die Fähigkeit zur
Einordnung in einer Gruppe. Rektoren und Lehrer gehörten zu humanen Männern.
Sicher müssen sich aggressive und eingebildete Jungen den besonderen Respekt
verschaffen. Aber einer wie ich, der sich in vielem genügt, wird meistens in Frieden
gelassen, weil er bis auf die eigene Würde keine großen Ansprüche für sich erhebt.
Ich nahm die Menschen fast immer so, wie ich sie vorfand, und dabei beließ ich es.
Damit verbrachte ich dort fünf ruhige und ereignislose Schuljahre, obwohl ich zwei
bis drei Freundschaften schloss, spürte ich kein drängendes Verlangen, die gerne
nach meinem Weggang fortzuführen,- anderen empfanden das eindeutig genauso.
Heute weiß ich, dass mir die Wärme und Bestimmtheit fehlten, um Pfeile in andere
Herzen einnisten zu können, nie kam es mir in den Sinn, dies einmal zu versuchen.
Im Sommersemester gab es an der Public School zwei halbe Ferientage je Woche.
Kricket war kein Pflichtfach mehr nach Beendigung des zweiten Schuljahres. Somit
konnte man in der Umgebung nach Belieben mit oder ohne Fahrrad umherstreifen.
Es machte mir nichts aus, allein zu sein. Ich erhielt gar eine offizielle Anerkennung
für meine Eigenart. Als ich die Wildblumen und Vögel zu fotografieren begann, auf
ihren Nestern, erntete ich großes Lob verschiedener Lehrer und gewann den Preis
auf der jährlichen Wissenschaftsschau: Ein Reiher, der sich in dem Nest niederlässt.
Für Mannschaftsspiele hatte ich weder Fähigkeit noch Neigung. Fechten mochte ich
gern in der Riege. Der Säbel bedeutete mir wenig, aber in der delikaten und präzisen
Disziplin des Floretts und Degens fand ich Befriedigung sowie eine introvertierte Lust.
Der maskierte Opponent, mehr reziprok als gegnerisch, das Rechteck aufmerksamer
Kampfrichter, dieses metallische Blitzen auftreffender Klingen, der plötzliche „Stopp“-
Schrei, das detaillierte Resümee mit dem kontrollierten Beschluss der Schiedsrichter.
All dies würdig, formell, diszipliniert,- was für mich der Inbegriff des Fecht-Sports war.
Auch mein Schwimmen machte mir großen Spaß. Ich war kein Wettschwimmer, aber
eine Neigung für die Einsamkeit, den Rhythmus langer Strecken, einem Spaziergang
vergleichbar. An einem schönen Sommermorgen stand ich oft um 6 Uhr auf, um dann
vergnügt durch die Wiesen hinunter zu marschieren und eine halbe Meile in dem fast
leeren Bad zu schwimmen. Kein Geräusch drang zum Ohr vom planschend bewegten
Wasser, nichts störte das streckende Spiel von Gliedmaßen und Atem. Beim aus dem
Wasser Steigen bildete ich mir manchmal ein, ich hätte das Schwimmen erfunden, so
dass es allein in einem unantastbaren, persönlichen Pantheon stand wie ein Gemälde.
Schach lernte ich ebenfalls und verwandte einige Mühe darauf, wohingegen mich das
gesellige