Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski. Ricarda Huch

Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski - Ricarda Huch


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Zerstörte gleichwertig zu ersetzen, blieb das Innere seines edlen Schmuckes beraubt.

      Sehr stimmungsvoll, mit niedriger bemalter Balkendecke ist der Saalbau der Hospitalkirche an der Lübischen Straße. Zwei Ordenskirchen, die der Franziskaner und die der Dominikaner, sind am Anfang und am Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen. Von den Backsteingiebeln der gotischen Zeit, wie sie auf alten Stadtbildern Wismars sich einer an den andern reihen, sind nur wenige übriggeblieben, breiter, schmuckfroher als die fachlich-kühlen Lübecks. Ein Kleinod, wie es wenige Städte aufweisen können, ist die Alte Schule, ein freistehender Langbau mit Giebeln an den Schmalseiten, der im Zierat bunter glasierter Backsteine prangt.

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      Alte Schule

      Bewundernd sucht man sich vorzustellen, wie eine Stadt ausgesehen haben mag, in der alle Gebäude soviel anmutiger Pracht und solcher Monumentalität entsprachen.

      Die beiden Punkte, wo man Wismar am besten in sich aufnimmt, sind der Hafen und der Markt. Wenn der Schleier der Dämmerung darüber fällt und das Grün des Kupferdachs der reizenden Wasserkunst kaum noch durch die silberne Luft schimmert, wenn der feste, kantige Turm der Marienkirche zum flachen Schatten wird, empfindet man die Öde des Platzes mit Grauen und glaubt ein Traumgesicht zu sehen, das in die Nacht zerfließen wird.

      * * *

      Lübeck

       Lübeck

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      Im winzigen Städtchen Mölln gibt es ein kleines Museum voll allerlei Tandelkram, der dem beschaulichen Reisenden von einem alten treuherzigen Mann erklärt wird. Dieser uralte Löwe, sagte er, indem er ein Gießgefäß aus Messing in Form eines Löwen vorwies, wie sie früher in den Kirchen gebraucht wurden, trage nach der Überlieferung die Züge Heinrichs des Löwen, und er könne sich wohl vorstellen, setzte er hinzu, dass der mächtige Herzog so ausgesehen habe.

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      Es war ein grandiose s, etwas menschlich geratenes Löwengesicht. Ja, so sah er aus, es ist kein Zweifel, nicht so edelschön wie auf seinem Grabmal im Dom zu Braunschweig. Leidenschaftlich, herrschsüchtig, großmütig, wie ein Gewitter befruchtend und verderbend, so ist der Sachsenfürst über die niederdeutschen Lande hingezogen. Die tätigen und wohlwollenden Grafen von Schauenburg, von Herzog Lothar von Sachsen mit der Grafschaft Holstein belehnt, gründeten das alte und nach dessen Zerstörung das neue Lübeck in einer durch die umschließenden Flüsse Trave und Wakenitz gesicherten Lage.

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      Graf von Schauenburg

       Die durch Adolf II. von Schauenburg gerufenen Ansiedler aus Flandern, Holland, Westfalen, Friesland brachten die neue Gründung trotz der gefährlichen Nähe feindlicher Wenden bald zur Blüte; gerade das aber erregte die zornige Eifersucht des damaligen Herzogs von Sachsen, Heinrichs des Löwen. Er fand durch diese schauenburgische Stadt seine ältere Stadt Bardowik, damals ein bedeutender Handelsplatz, beeinträchtigt, und da Graf Adolf sich weigerte, ihm die Hälfte der aus Lübeck erzielten Einkünfte abzugeben, entzog er ihr das Marktrecht. Zu diesem Schlag kam im Jahr 1157 eine vernichtende Feuersbrunst, was die hilflosen Lübecker bewog, an Herzog Heinrich mit der Bitte heranzutreten, er möge ihnen eine Stätte anweisen, wo Marktverkehr stattfinden dürfe. Er fand dies Ersuchen berechtigt und gründete weiter oben für die Bürger eine neue Stadt, die er Löwenstadt nannte, die aber, weil nur durch kleine Schiffe erreichbar, nicht gedieh. Da gab als der Klügere, wenn auch nicht Größere, Graf Adolf von Schauenburg nach und trat dem gewalttätigen Herzog die Stätte des zerstörten Lübeck, Burg und Wohnplätze zwischen Trave und Wakenitz, ab. Eigentümer des Ortes geworden, betätigte Heinrich sich sofort als Förderer und Beschützer.

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      Er erneuerte sein Leben, indem er ihm das Marktrecht gab, erteilte eine Verfassung, legte Münze und Zoll an, versetzte den Bischofssitz von Oldenburg nach Lübeck und gründete in Gemeinschaft mit dem von ihm ernannten Bischof Heinrich, der vorher Abt des Aegidienklosters in des Herzogs Stadt Braunschweig gewesen war, den Lübecker Dom.

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      Ferner sorgte er dafür, dass Lübeck als Hafenstadt anerkannt wurde und in den bereits bestehenden Seeverkehr deutscher Kaufleute mit den nordischen Ländern eintrat, dessen Mittelpunkt damals die Stadt Wisby auf der Insel Gotland war. Den Goten von Wisby verlieh er das Recht der heimischen Kaufleute, verpflichtete sie aber zum Besuch seiner Stadt Lübeck.

       Die Stadt Lübeck, der es nicht bestimmt war, Löwenstadt zu heißen, trägt keinen Zug des Herzogs, den sie von nun an als ihren Herrn und Gründer verehrte. Sie hat in ihrem Charakter nichts von seiner chaotischen Unberechenbarkeit, seiner Unbezähmbarkeit; es ist, als ob sie, so oft durch Feuer und Not geprüft, sich zur Bewusstheit und besonnenen Mäßigung entwickelt hätte. Es ist nicht zu verwundern, wenn Handeltreibende klug und umsichtig sind und die Grundlage ihres Wohlstandes, eben den Handel, zum Maßstab ihres Verhaltens nehmen; aber sie können durch Leidenschaft und Leichtsinn abgelenkt werden, was den Lübeckern schwerlich begegnete. Andererseits waren sie nicht nur Rechner und der Vorteil nicht ihr einziger Gesichtspunkt, sondern sie hielten stolz auf Recht und Ehre, und eben diese zwiefache Richtung ist für sie charakteristisch. Sie liebten es, ohne Tadel dazustehen und neigten dabei in ihrer Bewusstheit fast zum Korrekten; aber ihre Zurückhaltung und Selbstbeherrschung entsprang auch angeborener vornehmer Gesinnung.

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      Siegel des Hinrich Castorp um 1474–80 Hinrich Castorp (* 1419 in Dortmund; † 14. April 1488 in Lübeck) war ein deutscher Kaufmann und Bürgermeister der Hansestadt Lübeck.

      Dem Bürgermeister Heinrich Kastorp, der im Jahre 1488 starb, wird der gelegentliche Ausspruch zugeschrieben: „Lasset uns tagen!

       Die Kriegsfahne ist leicht ausgesteckt, aber schwer wieder einzuziehen!“ Wenn sie aber den Krieg zu vermeiden suchten, und etwa auch zu diesem Zweck auf einen Vorteil verzichteten, sogar einen augenblicklichen Nachteil auf sich nahmen, so führten sie doch den Krieg, wenn sie ihn als notwendig erkannt hatten, entschlossen, kühn, großartig und siegreich. Als es sich um den Sundzoll handelte, den Dänemark verlangte und die Lübecker nicht anerkannten, erklärte der Bürgermeister Bruskow: „Leven Herren, vii hebben upsoken laten alle unse breve, vii konen kein bewiisz finden, dat wii tollfrii siin im Sunde, sunder alleine, dat wii den nii hebben gegeven.“

       Das Verhalten der Stadt gegen den durch Barbarossa geächteten Herzog Heinrich zeigt mehr als Korrektheit und auch mehr als Bewusstsein von Ehre und Pflicht aufrichtige Anhänglichkeit, daneben wohl auch den Wunsch, sich nach allen Seiten sicherzustellen. Sie verweigerte dem mächtigen Kaiser den Eintritt und bat, als er beharrte und drohte, um Erlaubnis, den Herzog, als ihren Herrn, der in Stade war, um seine Einwilligung fragen zu dürfen. Der Kaiser dachte groß genug, sie zu geben. Heinrich der Löwe, zur Strecke gebracht und sich verloren gebend, erkannte die Treue seiner Stadt an und gab sie frei, worauf Friedrich I. der nun königlichen Stadt das erste, hochgehaltene Privileg verlieh. Vergleicht man das Benehmen der Bewohner Lübecks mit dem derer von Bardowik, die den gefallenen Beschützer nicht nur nicht einließen, sondern verhöhnten, sieht man, wieviel Kultur, Geschmack, diplomatischer Verstand und Rechtssinn den Lübeckern eigen war. Charakteristisch ist es auch, dass sie die Gebietserweiterung, die das Privileg von 1188, ihre Grenze umschreibend, ihnen zugestand, nicht in Anspruch nahmen, vermutlich abwägend, ob gut nachbarliche Beziehungen oder Vermehrung des Besitzes größeren Vorteil gewähre. Noch verfolgte Lübeck eine schmiegsame, auf kühnes Handeln verzichtende Politik; zu wagen auf ungewissen Erfolg hin lag ihnen nicht. Sie ließen Heinrich den Löwen ein, der


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