Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski. Ricarda Huch

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und sie suchten sich planmäßig von der welfischen Herrschaft freizumachen, die, nachdem die Herzöge ihnen auch die Gerichtsbarkeit verpfändet hatten, nur noch dem Namen nach bestand. Die Steuern, die sie zahlten, waren freiwillige, daher Bede, also Bitte genannt. Urkundlich erwähnte Herzog Wilhelm im Jahr 1366 die „sunderlike vrundschop unde woldad“, die der Rat von Lüneburg ihm durch Geldhilfe getan hätte. Auch Kriegshilfe bei Fehden des Herzogs leisteten die Lüneburger nur freiwillig: „alle de hulpe de se us doen in desen stucken, de doen se us umme vrundschop unde nidt umme recht nogh dor woenheyd.“ Dies freundschaftliche Verhältnis wurde zerstört durch Herzog Magnus Torquatus, der mit Hilfe der Ritterschaft sich die Stadt zu unterwerfen trachtete. Klug benutzten die Lüneburger den Umstand, dass gerade damals Kaiser Karl IV. die Herzöge von Sachsen-Wittenberg, die Erbansprüche vorbrachten, mit der Herrschaft Lüneburg belehnte, indem sie sich diesen anschlossen und dadurch zugleich Magnus loswurden und sich eine Reihe von Privilegien vonseiten der neuen Landesherrschaft erwarben. In die Zeit der Kämpfe mit Magnus Torquatus fällt ein Ereignis, welches im Gedächtnis der Lüneburger als heroisch-tragischer Augenblick ihrer Geschichte lange fortlebte.

       Es war im Jahr 1371 ein Waffenstillstand geschlossen worden, der die Lüneburger dazu ermutigte, nach langer Zeit zum ersten Mal die Bewachung der Mauern einzustellen, um sich satt zu schlafen. Da, es war die Nacht des 21. Oktober, zog eine Schar von Rittern und Knappen im Dienst des Herzogs auf verschiedenen Wegen über die Heide vor Lüneburg, angeführt von dem edlen Herrn Heinrich von Homburg und dem Ritter Sievert von Saldern. Schweigsam, von dem leise durch das dürre Kraut pfeifenden Herbstwind begleitet, näherten sie sich den Mauern, von denen die dicken Türme in die Nacht starrten wie drohende Finger. Schwarz und totenstill lag die Stadt unter den eiligen Wolken; schliefen die Wächter? oder griffen sie vielleicht schon zum Schwert, wenn sie das dumpfe Trotten und Klirren der Mörderschritte hörten? Sie überstiegen, sieben- bis achthundert an Zahl, die Mauern und töteten, was ihnen erschreckt und verwirrt entgegentrat. Zwei Bürgermeister stellten sich sofort an die Spitze der aufgestörten, entsetzt herbeieilenden Bürger und fielen: Heinrich Viskule und Heinrich van der Molen; denn es war eine Zeit, wo die Häupter des Volkes noch ihre Person einsetzten und mit eigenem Blut zahlten. Die Stadt schien verloren, als, nach der Überlieferung, ein kluger Mann, Ulrich von Weißenburg, sie durch List und Opfer rettete. Er bat die Feinde vom Kampf abzustehen, bis er die Bürgerschaft zur Unterwerfung überredet haben würde, wodurch er Zeit zu gewinnen und die verscheuchten Lüneburger zu sammeln hoffte. Anstatt zur Unterwerfung überredete er sie zu kräftigem Widerstand und teilte zurückkehrend den Herzoglichen mit, dass die Bürgerschaft auf Fortführung des Kampfes bestehe. „Dann stirb zuerst!“ sollen ihm die Überlisteten zugerufen haben, indem sie ihn töteten. Mit solchem Ungestüm warfen sich nun die Bürger, von ihren Frauen unterstützt, auf die Ritter, dass sie die Flucht ergriffen; Sievert von Saldern und 54 Ritter und Knappen fielen, der Bannerherr von Homburg wurde mit vielen anderen gefangen. Von einem tapferen Bäcker wird erzählt, dass er 22 Feinde erschlagen habe, bis er selbst den Streichen der Gegner erlegen sei. An dem Giebel eines Hauses in der Großen Bäckerstraße befindet sich noch das angebliche Bild dieses Recken. Zum Gedächtnis des Bürgermeisters Heinrich Viskule wurde an der Straße Auf dem Meere, da, wo er gefallen war, ein Kruzifix errichtet, das man später in die Nikolaikirche versetzte. Lange noch wurde dieser teuer erkaufte Sieg am Jahrestag in allen Kirchen Lüneburgs gefeiert.

       Durch die furchtbare Schlacht bei Winsen an der Aller, wo die Stadt Braunschweig den Herzögen beistand, kam Lüneburg wieder an das braunschweigische Haus, ohne aber seine alten Freiheiten zu verlieren. Noch war der Stern der Städte im Steigen, die Zeit der Fürsten noch nicht reif; der Herzog musste im Jahre 1392 mit seinen Ständen ein Landfriedensbündnis eingehen, Satebrief genannt, welches den Ständen im Fall, dass der Herzog die Sate verletzte, das Recht bewaffneten Widerstandes zusicherte. Die Lüneburger erklärten, jeder Fürst sei seinen Untertanen soviel Treue schuldig wie sie ihm, und ihre Vorfahren hätten mit eigenem Gelde die Stadt erbaut, sie gehöre also ihnen, nicht ihm. Das Bewusstsein ihrer Tüchtigkeit, ihrer Arbeitskraft, ihres Zusammenhaltens und Gelingens erfüllte sie mit dem Glauben an ihr Recht und ihre Zukunft. Der Anschluss an den großen und mächtigen Bund der Hanse steigerte ihre Macht und ihr Ansehen. Innerhalb der Hanse gehörte Lüneburg zu den wendischen Städten und trat gewöhnlich mit Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock und Stralsund gemeinsam auf. Welche Stellung Lüneburg einnahm, kann man aus der Tatsache schließen, dass in einem Kampfe Lübeck 30, Hamburg 20 und Lüneburg 10 Mann stellte. Das Lüneburger Salz war den Seestädten unentbehrlich und dementsprechend wurde die Stadt geschätzt. Wer Lübeck durch das Holstentor betreten will, sieht noch jetzt an der Trave entlang die altersgrauen, massiven Gebäude, die als Niederlage der Lüneburger Salzsendungen dienten. Nicht selten fanden Versammlungen der Hanse in Lüneburg statt, so eine im Jahr 1412, auf welcher Abgeordnete des Königs von Dänemark, des deutschen Kaufmanns in Brügge und in Bergen und des friesischen Seeräuberhäuptlings Keno ten Broke erschienen.

      Je deutlicher sich das Bestreben der Fürsten kundgab, die selbständigen Einzelglieder des Reiches von einem Mittelpunkt, ihnen selbst und ihrer Residenz abhängig zu machen, desto energischer und planmäßiger setzten sich die städtischen Republiken zur Wehr. In der Mitte des 15. Jahrhunderts ging Lüneburg mit 35 Städten ein Bündnis auf 6 Jahre ein, das zuerst mit 40, dann mit 64, zuletzt mit 50 Städten erneuert wurde. Man nannte eine solche Verbindung eine Tohopesate, weil sie zuhauf geschlossen war. Sie sahen ausdrücklich den Angriff von Fürsten und Herren vor und verpflichteten die Teilnehmer zu gegenseitiger Unterstützung in solchen Fällen.

       Eine ernstliche Erschütterung der lüneburgischen Eintracht und Macht bewirkte der sogenannte Prälatenkrieg. Misserfolge in der äußeren Politik und Geldmangel sind es gewöhnlich, die den in einem Gemeinwesen Zurückgesetzten und Unzufriedenen den Mut geben, sich hervorzuwagen. Die Rolle, die Lüneburg namentlich in der Hanse spielte, vielleicht auch zunehmende Verschwendung der regierenden Kreise hatte eine solche Schuldenlast aufgehäuft, dass sie abzutragen geboten schien. Der Rat wendete sich in seiner Verlegenheit an die Sülzprälaten, die an einer guten wirtschaftlichen Lage der Stadt interessiert waren und auch früher schon geholfen hatten. Sie waren auch jetzt nicht abgeneigt, etwas Außergewöhnliches zu leisten, aber ihre Bereitwilligkeit wurde hintertrieben durch eine dem Rat übelgesinnte Person, Dietrich Schaper, den Propst des alten Klosters Lüne. Im raschen Ärger über den unvorhergesehenen Widerstand veranlasste der Rat die Absetzung des Propstes, der nun es seinerseits dahin brachte, dass der Papst, der wegen der geistlichen Aktienbesitzer in diesem Streit die höchste Instanz war, Lüneburg in den Bann tat. Der Rat erwiderte den Schlag dadurch, dass er das Sülzgut der Prälaten einzog, worauf nicht nur der Papst den Bann erneuerte, sondern der Kaiser noch die Acht dazuwarf. Die Mittel waren noch wirkungsvoll genug, um auf Handel und Wandel zu drücken und dadurch die Bürgerschaft kleinmütig zu machen; in die Enge getrieben, dankte der Rat ab, nachdem die Bürger versprochen hatten, Gut und Leben der bisherigen Regenten nicht anzutasten. Die Untersuchung des Finanzwesens hatte den Bruch des Versprechens im Gefolge; denn man war mit der Rechnungsablage, die gegen das Herkommen erzwungen wurde, nicht zufrieden und gründete darauf ein strenges Vorgehen. Mehrere Ratsmänner mussten Geld und Waffen abliefern, andere wurden in die für Gefangene niederen Standes bestimmten Türme geworfen. Bürgermeister Springintgut, der sich dem Verfahren widersetzte, kam in den Turm am Grahlwall, erkrankte dort und starb. Der Sturz des Bürgermeisters soll weniger durch die Handwerker als durch einen persönlichen Feind aus dem Patriziat, Johann van der Molen, herbeigeführt worden sein; aber in ihrem Verlauf stützte sich die Bewegung auf die durch die ganze verfahrene Angelegenheit gereizte und benachteiligte Bürgerschaft und nahm eine demokratische Färbung an. Da nun aber der neue Rat die verzweifelte Lage, in die er hineingeraten war, nicht bessern konnte, zuletzt sich sogar hilfesuchend an die welfischen Fürsten wendete, wurde man seiner überdrüssig und rief den alten Rat zurück. Ein kaiserlicher Spruch verhängte Geldbußen und Verbannungen über die Aufrührer und der Tod des Bürgermeisters Springintgut wurde durch Enthauptung zweier Führer der Umwälzung gerächt. Mehrere Jahre vergingen noch, bevor die Sülzprälaten, namentlich durch Lübecks Vermittlung, dazu vermocht wurden, dem Rat zur Schuldentilgung die Hälfte ihrer Salineneinkünfte auf 10 Jahre abzutreten, woraus eine dauernde Abgabe wurde; ein Entschluss, der, rechtzeitig gefasst, den ganzen Jammer verhütet hätte.

      Aus diesem Sturm ging das Patriziat gekräftigt hervor und schloss sich mehr als früher


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