Ricarda Huch: Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 1 - Band 181e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch

Ricarda Huch: Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 1 - Band 181e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski - Ricarda Huch


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Brand, das mit den Steinbildern der sieben Kurfürsten und des damals regierenden Kaisers Ludwig geziert war.

      Trotz der vielen absichtlichen und unabsichtlichen Zerstörungen macht Mainz im Schatten seines Doms mit seinen unregelmäßigen Straßen, kleinen geschlossenen Plätzen und altfränkischen Häusern den Eindruck einer historischen Stadt. Nicht gerade einer mittelalterlichen, denn wenn auch in den Seitengassen Reste gotischen Hausbaus zu finden sind, so haben doch im Allgemeinen auch die älteren Häuser durch Umbau das Gepräge des späteren 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts erhalten. Sehr anziehend wirken hie und da beschieferte Giebel und leicht vorspringende Stockwerke. Der alte Tiermarkt ist jetzt charakterisiert durch zwei stattliche Adelshöfe, den Osteinerhof und den Bassenheimerhof. Der erstere wurde vom Kurfürsten von Ostein gegründet auf einem Areal, wo früher die beiden Herbergen Zum Stiefel und Zum Wilderich und die Häuser Zum Adolph, Zum Ader, Zur grünen Schmied, Zum Wartenberg, Zum Eckstein, Zum kleinen Abt und Zum Siebeneck standen. Der schönste von den freiadeligen Höfen ist der Dalberger Hof in der Klarenstraße, früher Zum Säukopf genannt. Vier Brüder Dalberg bauten ihn im Anfang des 18. Jahrhunderts. Er wurde im Jahr 1809 von der Stadt angekauft und als Justizpalast benutzt; jetzt soll er zu Schulzwecken eingerichtet werden. Die ältere Linie der Dalberg erlosch bereits im 14. Jahrhundert; aber der letzte derselben übertrug Besitz und Namen seinem Vetter Johann Kämmerer von Worms, aus einer Familie, die durch ihren angeblichen römischen Stammvater mit Jesus Christus verwandt sein wollte.

Grafik 163

      Kaiser Maximilian I.

      Kaiser Maximilian I. anerkannte das Recht dieser Dalberg, bei Gelegenheit jeder Kaiserkrönung, zuerst auf der Tiberbrücke von Rom, hernach im Frankfurter Dom vor allen andern Edelleuten durch den Heroldsruf: „Ist kein Dalberg da?“ zum Ritterschlag aufgefordert zu werden. Es hat sich gefügt, dass ein Dalberg, Koadjutor des letzten Kurfürsten von Mainz, als Werkzeug Napoleons zur Auflösung des alten Reichs und des Erzbistums beigetragen hat.

      Im Mittelalter hatten alle Häuser in Mainz Namen, die uns oft wunderlich klingen, weil wir ihren Ursprung nicht mehr verstehen. Es gab: Zum Hilferich, Zum Goderuf, Zum Herrgöttche, Zum Boderam, Zum Ungefugen, Zum Geiselmohr. Manche von den alten Namen haben sich erhalten. Als das älteste Haus gilt jetzt das Haus Zum Stein an der Augustiner Straße, das zur Zeit seiner Erbauung das höchste war. Es gehörte dem Rittergeschlecht Jud vom Stein. Von der alten Befestigung sind nur noch zwei Türme am Rhein erhalten, der Holzturm und der Fischturm, aus dem 13. und 15. Jahrhundert stammend. In jenem lagen im Jahr 1813 einige Lützower gefangen, die auf Napoleons Befehl wie gemeine Straßenräuber gerichtet werden sollten, aber gerettet wurden.

      Nicht mehr steht das Stammhaus des größten Sohnes der Stadt Mainz, der Hof Zum Gensfleisch, an dessen Stelle im Jahr 1702 der Wamboldhof errichtet wurde. Der Hof zum Gutenberg, der der Mutter des Erfinders gehörte, in dem er vielleicht geboren wurde und der in der Nähe der sehr alten Christophskirche stand, wurde im Dreißigjährigen Krieg durch die Schweden zerstört, aber später wieder aufgebaut. Er wurde von der Mainzer Kasinogesellschaft „Hof zum Gutenberg“ erworben und brannte im Jahr 1894 ab. Dasjenige Haus, in welchem Gutenberg mit seinem Gehilfen das erste Buch druckte, der Hof zum Humbrecht, verbrannte schon bei der Eroberung von Mainz durch den Erzbischof Adolf im Jahr 1462. Er wurde später neuaufgebaut und mit dem angrenzenden Hof Zum Korb zum sogenannten Dreikönigshof verbunden, wo jetzt eine große Brauerei ist.

      In Mainz selbst, das nach dem Untergang der städtischen Freiheit allmählich ganz teils unter klerikalen, teils unter französischen Einfluss geriet, wurde der Erfinder der ars sancta et divina, den die gebildete Welt pries und feierte, vergessen; aber grade die Franzosen waren es, die sein Andenken in seiner abgestumpften Vaterstadt neubelebten. Sie, die den Erfinder jener Kunst, durch die der menschliche Gedanke bis in die fernsten Länder und bis in die niedrigste Hütte verbreitet wird, ebenso verehrten, wie sie die Kirche verabscheuten, trafen, sowie sie Mainz als ihnen gehörig betrachteten, Anstalten, um sein Gedächtnis dauernd zum Ausdruck zu bringen. Napoleon ließ einen Platz inmitten der Stadt anlegen, der Gutenberg gewidmet sein sollte, und der, wenn er so groß, wie er geplant war, ausgeführt worden wäre, zugleich ein Bild der Revolution dargestellt hätte, die mit großen scharfen Linien das krause Mittelalter durchschnitt und zur Seite warf. Dort steht jetzt das Standbild, das Thorwaldsen schuf und, um dem Erfinder, der die Welt bereicherte, seine Ehrfurcht zu beweisen, der Stadt schenkte. Wunderbar ist es, dass die Kraft des erlöschenden Geschlechts, auf dem die Blüte des goldenen Mainz zum großen Teil beruhte und mit dem sie schwand, sich in einem letzten Sprössling sammelte, um grade die Kunst hervorzubringen, die den Charakter des Lebens so wesentlich, segensreich und zerstörend, veränderte. Sie schob sich zwischen Mensch und Mensch, begünstigte die Entwicklung des modernen wissenschaftlichen Menschen, machte aus dem Sänger und Dichter den Schriftsteller, lähmte die Phantasie und die mündliche Überlieferung, die, indem sie Sage, Legende und Mythos schafft, bedeutungslose Tatsachen zu ewiger Wahrheit erhebt. Sie war ein Geschenk scheidender Jugend an die gereifte Menschheit, vereinigend, erhaltend, erhellend.

      Bei dem großen Gutenbergfest, das die Stadt Mainz im Jahr 1900 veranstaltete, indem sie das Geburtsjahr Gutenbergs auf 1500 festsetzte, waren zwei alte Herren von Molsberg anwesend und wurden als letzte Glieder eines alten Mainzer Geschlechts ausgezeichnet. Der Molsbergerhof lag an der Korbgasse, und das schöne Haus Zum Krummen Ring, in dem noch ein Rittersaal erhalten ist, gehörte dazu. Da der erste Molsberg um 1277 genannt wird, hat sich die Familie über 700 Jahre erhalten, und die beiden Letzten mögen den losgerissenen und zerstreuten Menschen von heute erschienen sein wie ein Band, das sie mit den Vätern verknüpfte.

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