Dombey und Sohn. Charles Dickens

Dombey und Sohn - Charles Dickens


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Stimme, die übrigens gleich dem Türklopfer für den gegenwärtigen Anlaß gedämpft war, »daß Eure teure Gemahlin durch Euren Besuch aufgeregt wurde?«

      »Stimuliert, sozusagen?« fügte der Hausarzt leise bei und verbeugte sich sodann gegen den Doktor, als wollte er sagen: »Entschuldigt, daß ich ein Wörtchen einflocht, aber es handelt sich hier um eine wertvolle Kundschaft.«

      Mr. Dombey war sehr betroffen ob dieser Frage, denn er hatte so wenig an die Patientin gedacht, daß er nichts darauf zu antworten wußte. Seine Erwiderung lautete dahin, daß es ihm zur Beruhigung gereichen werde, wenn Doktor Peps noch einmal oben einen Besuch machen wolle.

      »Gut. Wir dürfen es Euch nicht verbergen, Sir«, sagte Doktor Peps, »daß der Mangel an Kräften bei Ihren Gnaden, der Frau Herzogin – bitt' um Verzeihung, ich verwechsle die Namen: wollte sagen, bei Eurer liebenswürdigen Gemahlin sehr groß ist. Wir haben es mit einem gewissen Grad von languor zu tun, mit einer allgemeinen Abwesenheit von Elastizität, die wir lieber – nicht –«

      »Sehen möchten«, setzte der Hausarzt mit einer abermaligen Kopfverbeugung hinzu.

      »Ganz richtig«, entgegnete Doktor Parker Peps: »die wir lieber nicht sehen möchten. Es kommt mir vor, als ob dieses System der Lady Cankaby – entschuldigt, ich meinte, der Mrs. Dombey: ich verwechsle die Namen der Fälle –«

      »Sie kommen so gar häufig vor«, murmelte der Hausarzt, »daß sich in der Tat nichts anderes erwarten läßt. Wäre es ein Wunder, wenn's nicht so sei, bei der großen Praxis, die Doktor Parker Peps im Westend hat –«

      »Danke, vollkommen richtig bemerkt«, versetzte der Doktor. »Es kommt mir vor, als habe das System unserer Patientin einen Stoß erlitten, von dem sie nur durch eine große, kräftige und –«

      »Nachdrückliche«, murmelte der Hausarzt.

      »Ganz recht«, pflichtete der Doktor bei – »durch eine nachdrückliche Kraftanstrengung sich wird erholen können. Mr. Pilkins hier, der vermöge seiner Stellung als Hausarzt dieser Familie – ich muß sagen, ich kenne niemand, der eines solchen Vertrauens würdiger wäre –«

      »O!« murmelte der Hausarzt. »Lob von Sir Hubert Stanley!«

      »Ihr seid allzu gütig«, erwiderte Doktor Parker Peps. »Mr. Pilkins, der kann sein Fach am besten ausfüllen, der mit der Konstitution der Patientin im normalen Zustand bekannt ist – und ein solches Wissen ist für uns bei der Bildung unserer Ansichten über solche Fälle von hoher Wichtigkeit – teilt mein Dafürhalten, daß die Natur zu einer vollen Widerstandsfähigkeit veranlaßt werden muß, und wenn unsere interessante Freundin, die Gräfin von Dombey – ich bitte wieder um Verzeihung – Mrs. Dombey – nicht imstande –«

      »Sein sollte«, ergänzte der Hausarzt.

      »Diese erfolgreich zu überstehen«, fuhr Doktor Parker Peps fort, »so dürfte es wohl zu einer Krisis kommen, die wir beide aufrichtig beklagen würden.«

      Hierauf blieben sie einige Minuten stehen und sahen zu Boden; dann aber gingen sie auf einen stummen Wink des Doktor Parker in das obere Gemach. Der Hausarzt öffnete seinem beruflich höher stehenden Kollegen die Tür und folgte ihm voll der unterwürfigsten Höflichkeit.

      Wenn wir sagen wollten, Dombey sei durch die Worte der Arzte nicht nach seiner Art ergriffen worden, so würden wir ihm Unrecht tun. Er war allerdings nicht der Mann, der einer Erschütterung im eigentlichen Sinne zugänglich war, trug aber doch ein gewisses Bewußtsein in sich, daß es ihm sehr leid tun würde, wenn seine Gattin ernstlich erkrankte und stürbe, da ihm dann für sein Silberzeug, seine Möbel und die Hausgerätschaften etwas fehlte, was wohl zu ihnen gehörte. Aber ohne Zweifel hätte seine Trauer einen gewissen ruhigen, gentlemanischen, geschäftsmäßigen und gefaßten Charakter behauptet.

      Seine Betrachtungen über diesen Gegenstand wurden aber bald durch das Rauschen von Kleidern auf der Treppe und dann durch das plötzliche Hereinstürzen einer Dame unterbrochen, die, obwohl sie in den mittleren Jahren stand, sich aber, was die Enge des Korsetts betraf, sehr jugendlich trug. Sie eilte mit einem gewissen verschraubten Wesen in Gesicht und Haltung auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und rief mit erstickter Stimme:

      »Mein teurer Paul, er ist ganz ein Dombey!«

      »O, schon gut!« entgegnete ihr Bruder – denn dies war Mr. Dombey – »ich denke selbst auch, daß er den Familienzug trägt. Aber sei nicht so ungestüm, Louisa.« »Es ist sehr töricht von mir«, sagte Louisa, indem sie Platz nahm und ihr Taschentuch herauszog, »aber er – er ist ein so vollkommener Dombey! In meinem Leben habe ich nie etwas Ähnlicheres gesehen!«

      »Aber wie steht es mit Fanny selbst?« fragte Mr. Dombey. »Was hältst du von ihrem Zustand?«

      »Mein lieber Paul, es ist durchaus nichts«, antwortete Louisa – »mein Wort dafür, durchaus nichts. Allerdings ist sie erschöpft, aber lang nicht in dem Grade, wie bei mir, als ich mit George oder Frederik Wöchnerin war. Man muß ihr wieder zu Kräften verhelfen, das ist alles. Wenn die liebe Fanny eine Dombey wäre! Trotzdem, ich stehe dafür, sie wird sich machen: ich zweifle nicht daran, daß sie sich noch machen wird. Mein lieber Paul, ich weiß, es ist sehr schwach und töricht von mir, daß ich vom Kopf bis zu den Füßen so zittere: aber es ist mir so seltsam, daß ich dich um ein Glas Wein und um einen Bissen von diesem Kuchen bitten muß. Ich meinte, ich müsse zum Treppenfenster hinausstürzen, als ich von meinem Besuch bei Fanny und bei dem kleinen Schnäbelchen herunterkam.«

      Die letzten Worte hatten ihren Ursprung in einer plötzlichen lebhaften Erinnerung an den Neugeborenen. Sie hatte aber kaum ausgesprochen, als sich an der Tür ein leises Pochen vernehmen ließ.

      »Mrs. Chick«, sagte draußen eine sehr sanfte weibliche Stimme, »wie geht es Euch jetzt, meine liebe Freundin?«

      »Mein teurer Paul«, nahm Louisa leise das Wort, indem sie sich zugleich von ihrem Sitze erhob, »es ist Miß Tox – das wohlwollendste Geschöpf. Ohne sie hätte ich nicht herauskommen können. Miß Tox, mein Bruder Mr. Dombey. Lieber Paul, meine ganz besondere Freundin, Miß Tox.«

      Die so speziell vorgestellte Dame war ein langes mageres Frauenzimmer von so verblichener Außenseite, daß es den Anschein hatte, als sei sie, wie es die Modewarenhändler nennen, von Haus aus nicht »echtfarbig« gewesen, und deshalb in der Wäsche allmählich ganz und gar verschossen. Außerdem aber hätte man sie als die wahre Blume von Sanftmut und Höflichkeit bezeichnen können. Infolge ihrer langen Gewohnheit, allem, was in ihrer Gegenwart gesprochen wurde, ein bewunderndes Ohr zu schenken, wobei sie die Redenden anzusehen pflegte, als sei sie innerlich beschäftigt, die Bilder derselben in ihre Seele aufzunehmen und sich nur mit dem Leben von ihnen zu trennen, hatte sich ihr Kopf völlig nach der einen Seite verschoben. An ihren Händen bemerkte man stets ein krampfhaftes Zucken, sich wie in unwillkürlicher Bewunderung aus eignem Antrieb zu erheben, und ihre Augen waren einer ähnlichen Manier unterworfen. Sie hatte die weichste Stimme, die man nur hören kann, und ihre erstaunlich sperberartige Nase war in der Mitte oder am Schlußsteine des Rückens mit einem kleinen Knauf versehen, der gegen ihr Gesicht abwärts lief, wie in unüberwindlicher Entschlossenheit, nie ein Aufwerfen des gedachten Gesichtsvorsprungs zu gestatten.

      Obschon ihr Kleid vollkommen nett und gut war, drückte sich doch eine gewisse Eckigkeit und Knappheit darin aus. In ihren Hüten und Hauben pflegte sie wunderliche, unkrautartige Blümchen zu tragen, und in ihrem Haar bemerkte man bisweilen seltsame Gräser: auch konnte jeder, der sich dafür interessierte, an ihren Kragen, Rüschen, Manschetten und sonstigem Spitzenzeug – kurz an allem, was an ihrem Kleid die Bestimmung hatte, sich zu vereinigen, die Wahrnehmung machen, daß die beiden Enden nie auf freundschaftlichem Fuß miteinander standen, sondern stets eine große Neigung verrieten, die Verbindung nicht ohne Kampf vollziehen zu lassen. Für ihren Winterputz hatte sie Pelzkragen, Boas und Muffe, die stets in herausfordernder Weise auf der einen Seite standen und wild ihre Haare sträubten; auch besaß sie die Liebhaberei, stets kleine Beutel mit Federschlössern bei sich zu führen, die, wenn sie geöffnet werden sollten, wie kleine Pistolen losgingen, und sooft sie sich in vollem Putz zeigte, prunkte an ihrem Hals das geschmackloseste aller Schlösser mit einem alten, glotzenden Auge, in dem


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