Fantastische Fragmente. Claudi Feldhaus

Fantastische Fragmente - Claudi Feldhaus


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Tür zum Speisesaal stoppt sie. Fährt sich mit der Hand durch das lockige Haar, glättet, was sich glätten lässt. Sie zupft ihren Rock zurecht, nimmt Haltung ein und drückt die Tür auf. König Halamor steht mit dem Rücken zu ihr mitten im Raum. Die sorgfältig zurechtgelegten Vorstellungen von der Würde der künftigen Königin fallen von ihr ab. In kindlicher Vorfreude stürmt sie auf ihren Vater zu, der sich mit finsterer Miene zu ihr umdreht. Mit ausgestrecktem Arm hält er sie davon ab, ihn zu umarmen. Mirianda stoppt ihren Lauf. Um Atem ringend deutet sie einen Knicks an.

      »Du bist spät!«, knurrt er, »Du weißt, wie ich es hasse, zu warten!«

      Sie lächelt. Nein, ihr Halamor hat keine Mühe, seinem Gesicht einen Anschein von Groll zu geben. Mirianda verstört es nicht. Sie ist mit diesem Anblick aufgewachsen. Sie liebt diesen grimmigen alten Mann, der nur in ihren Augen ein alter Mann ist. Für sie ist er ihr Vater. Für alle anderen ist er der große Zauberer, der König von Wardistan. Ein Herrscher, der sein Land mit eiserner Faust und unbeugsamen Willen regiert. So munkeln es die Dienerinnen in den Fluren des Schlosses, nicht ahnend, dass die Königstochter sie belauscht.

      Halamor setzt sich an die Tafel und sieht seine Tochter an.

      »Guten Morgen Vater!« Sie spielt das Spiel der Erwachsenen, welches sie schon so oft übte. »Habt Ihr gut geruht?« Sie lächelt ihn an und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn.

      Ein Hauch unterdrückter Freude erhellt sein Gesicht. »Mirianda!« Mit einem kraftvollen Ruck zieht Halamor sie auf seinen Schoß.

      »Aber Vater!« Sie stemmt sich mit beiden Händen gegen seine Brust. »Ich bin kein Kind mehr! Ich bin jetzt eine Frau!« Kichernd schlingt sie ihre Arme um seinen Hals.

      »Herzlichen Glückwunsch zum Siebzehnten«, flüstert er in ihr Ohr. Gibt ihr einen Kuss auf das Haar und reicht ihr einen mit Smaragden verzierten Armreif. »Ein würdiger Schmuck für eine Königstochter!«

      Miriandas Finger streichen über die leuchtend grünen Steine und das kühle Silber. Sie umarmt Halamor erneut.

      »Danke Vater«, sagt sie, steht auf und tritt vor das überlebensgroße Gemälde einer zartgliedrigen, kraftvollen und eindrucksvollen Frau mit symmetrischen Gesichtszügen. Das Bild, so vertraut wie die Möbelstücke im Saal. Allen Tand und Prunk würde sie eintauschen für das Abbild ihrer Mutter. Seit jeher hält sie Zwiesprache mit ihr. Diese gütigen Augen voll dunkler Sehnsucht. Oder ist es ihre eigene Sehnsucht, die sie darin erkennt? Mit jedem Jahr ähnelt sie diesem Bildnis mehr. Mirianda streicht zart mit den Fingerkuppen über das schmale Gesicht. In ihrer kindlichen Fantasie stellte sie sich vor, die Mutter würde nach Zimt und Koriander riechen, mit einem Hauch von Orange. »Ach wenn Sorana nur einmal mit mir sprechen könnte, mich umarmen, mir mit ihren schlanken Händen übers Haar streichen. Allen Schmuck aus deinen Schatzkammern würde ich geben für ein Wort von ihr, für eine Berührung.« Mirianda presst einen Kuss auf zwei ihrer Finger und drückt diese auf die vom Farbauftrag raue Wange der Mutter. »Alles was ich von ihr habe, ist dieses Bild. Warum redest du nicht mit mir über sie Vater?«

      Halamor schweigt. Seine ohnehin dunklen Augen färben sich schwarz. »Sorana ist tot!«, antwortet er mit belegter Stimme. »Sie starb bei deiner Geburt. Dies wird für immer der Tag sein, an dem mir das Schönste genommen und das Beste geschenkt wurde.« Mit finsterer Miene starrt er das Gemälde an. »Es ist schlimm genug für mich, dass du ihr Jahr für Jahr ähnlicher wirst.«

      Mirianda dreht sich zu Halamor um, sieht ihm in die Augen, seinen Blick mit dem ihren haltend. »Ich weiß Vater!« Ihre Stimme kippt ins Mädchenhafte. »Aber du weißt, wie weich ihre Haut war. Wie sie roch. Wie kennst den Klang ihrer Worte. Ich weiß nicht einmal, wie ihr euch kennengelernt habt?«, drängt es aus ihr heraus.

      »Nicht!« Halamors Stimme duldet keinen Widerspruch. Abrupt dreht er sich zum Tisch. Mit einem Kopfnicken bedeutet er dem Pagen, dass er die Speisen auftragen möge.

      Mirianda wischt sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht und setzt sich ebenfalls an den Tisch. Des Vaters Kühle verfliegt so schnell, wie sie gekommen war. Sanft legt er seine Hand auf die ihre. »Lass uns essen. Mit vollem Magen streitet es sich besser.«

      Statt des üblichen Haferbreis stellt der Page Reis mit Mandelmilch und Zimt, Kirschen und Weißbrot auf den Tisch. Dazu Aalpastete und übel riechenden Käse, den der König an Festtagen bevorzugt. Neben der Pfannkuchen-Torte mit Spinat fehlt auch Miriandas Lieblingsgericht nicht, junge Bohnen in Milch gekocht. Statt eines Bechers Wasser steht ein nach Holunder und Geranie duftender Wein auf dem Tisch. Tochter und Vater sprechen ein Tischgebet. Sie lächeln einander zu und widmen sich schweigend den herrlichen Speisen.

      Alles ist verzehrt, der Tisch ist abgeräumt. Mirianda schiebt ihren Stuhl zurück.

      »Warte!«, bittet Halamor und sieht sie nachdenklich an. Er räuspert sich. »Ich habe dir einen Gast eingeladen.«

      Miriandas Augen weiten sich vor Überraschung. Ihre Augenbraue zittert leicht.

      »Es ist die Heilerin, die deiner Mutter bei deiner Geburt zur Seite stand.«

      Mirianda springt mit einem spitzen Schrei von ihrem Stuhl auf. »Vater!« Auffordernd zieht sie ihn hoch, fällt ihm um den Hals. Von ihrem Ungestüm überfordert, erstarrt er in ihrer Umarmung.

      »Wo?«, fragt sie, »Wo ist sie?«

      Mit dem Kopf nickt er Richtung Garten. Mirianda reißt sich los von ihm. Rennt zur Tür. Stoppt, dreht sich noch einmal zu ihm um. »Danke, Vater. Danke!«

      Halamor steht wie angewurzelt. Die Arme erhoben, wie in der Umarmung erstarrt. Jegliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. All seine Kraft und Würde scheint von ihm abgefallen. Mit hängenden Schultern dreht er sich schwerfällig um und lässt sich auf seinen Stuhl fallen. Mit der Hand winkt er dem Pagen. »Mehr Wein!«, befiehlt er. »Mehr Wein!«

       Soranas Vermächtnis

      Mirianda eilt die Stufen in den Garten hinab. Beachtet weder die Rosen und wilden Orchideen noch den Sommerflieder. Ihr Blick fixiert die schwarz gekleidete Frau, die mit geschlossenen Augen vor dem herb nach Rosmarin und Salbei duftenden Kräuterbeet steht. Schwer atmend, mit vom Laufen geröteten Wangen, stoppt sie vor der Alten. »Willkommen!«, grüßt sie atemlos.

      Die Heilerin öffnet die Augen. Mustert Mirianda mit durchdringendem Blick. Eine Energie silbrig, kalt und gleißend, bohrt sich in sie hinein. Tastet ihren Körper Faser für Faser ab. Verbindet sich mit der tief in Miriandas Seele schlummernden Kraft. Die feinen Härchen auf ihrer Haut stellen sich auf wie kleine Fühler. Wie aus weiter Ferne hört sie eine Melodie, fremd und doch vertraut. Ein längst in ihr wohnendes Wissen regt sich wie ein schlafendes Tier, kurz vor dem Erwachen. Ein tiefes Grollen steigt aus Miriandas Körper empor, löst sich auf in einem heftigen Rülpser. Beschämt senkt sie den Blick. Die Magie des Augenblicks verpufft. Die Betagte lacht leise. Mirianda stimmt befreit in das Lachen ein. »Herzlich Willkommen!«, wiederholt Mirianda ihre Begrüßung und reicht der Alten die Hand.

      »Sei gegrüßt, Tochter der Sorana! Ich bin die Heilerin Saragunde, die Letzte vom Geschlecht der Merowinger, Vertraute deiner Mutter und Überbringerin ihrer Botschaft.« Mit diesen Worten deutet sie eine Verbeugung an, öffnet für einen Moment ihren Umhang. Ihr vom Leben gezeichnetes Gesicht leuchtet heller als tausend Kerzen und ihre gestrenge Miene wird weich. Erstaunt folgt Miriandas Blick dem ausgestreckten Arm der Heilerin, der gen Himmel weist. Ein kleines Loch in der Wolkendecke reißt auf. Ein Stück belebendes Blau wird sichtbar. Eine Farbe von einer Klarheit, wie sie das in der ewigen Dämmerung aufgewachsene Mädchen nie zuvor sah. Die Wolken ziehen schnell darüber, verschließen, was sich für einen kostbaren Augenblick zeigte. Mirianda steht da, mit geöffnetem Mund und starrt zum Himmel hinauf. Ein leises Krächzen lenkt ihre Aufmerksamkeit wieder zurück. Eine Krähe hockt auf der Schulter Saragundes, putzt mit spitzem Schnabel ihr glänzendes Gefieder.

      Die Heilerin schließt ihren Umhang. »Gesegnet seiest du Mirianda, für jetzt und auf immer!« Mit diesen Worten fließt ein schimmerndes Nebellicht aus ihrem Mund, legt sich wie ein zartes Band um die Frauen.

      Mirianda


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