Mit Urlaubssouvenir nach Walding. Karen Sommer
„Ich fotografiere selbst auch gerne. Dürfte ich in diesem Licht ein Foto von Ihnen machen? Sie wirken gerade so entspannt und glücklich.“
„Ja, warum nicht.“
Er zückte eine Spiegelreflexkamera, die auf Tina ziemlich professionell wirkte. „Aha, ein Fotograf. Beruf?“
„Eher Berufung.“
„Finde ich mein Bild dann irgendwo im Internet wieder.“
Der Fotograf lachte. „Nein, die sind für meinen Eigenbedarf. Und was machen Engel so am Nachmittag?“
„Engel spazieren durch Mailand und genießen die spärliche Auszeit.“
„Dürfen Fotografen sie dann begleiten?“
„Wenn Fotografen gerne durch Städte spazieren und bei jedem interessanten Mauerwerk stehen bleiben, dann ja.“
Tina schulterte lachend ihren Rucksack und die beiden ließen sich durch das Getümmel treiben.
Die Stunden verflogen im Nu, die Gespräche drehten sich um Stilepochen und geschichtliche Vorfälle und sie beschlossen den Nachmittag in einer kleinen Pizzeria.
„Das war ein wirklich angenehmer Nachmittag, mein Engel.“ Tina hatte ihren Namen noch immer nicht genannt. Sie wusste auch nicht, wie ihr Fotograf hieß. Namen hatten an diesem Tag keine Bedeutung. „Ja, das finde ich auch.“
„Was machen Engel morgen so?“
„Ich habe noch nichts geplant.“
„Ich habe mir ein Mietauto reserviert, um die Umgebung zu erkunden. Möchtest du mich begleiten?“ Irgendwann waren sie beim Du gelandet.
„Äh, wenn es dich nicht stört, dann nehme ich das Angebot gerne an. Aber ich möchte dich nicht belasten und um deinen wohlverdienten Urlaub bringen.“ Es störte Tina nicht, alleine Urlaub zu machen. Aber sie genoss die Nähe des Fremden, der ihr so vertraut erschien. Als ob sie sich schon ewig kannten.
„Ich denke, dass es mit dir erst richtig Urlaub wird. Also abgemacht. Wir treffen uns nach dem Frühstück. Ich besorge das Auto und wir treffen uns in der Nähe des Hauptbahnhofs.“
Sie blickten sich tief in die Augen. Ihr Fotograf beugte sich leicht nach vor und Tina kam ihm für einen Kuss entgegen. Ihre Lippen berührten sich sanft. Er streichelte leicht über ihre Wangen. „Gute Nacht, mein Engel.“
Sie trennten sich und Tina ging leichten Schrittes zu ihrem Hotel zurück. Sie spürte noch immer den Abdruck seiner Hand auf ihrer Haut. Er war anders, als alle Frösche, die sie vorher geküsst hatte.
2
Der Ausflug
Tina stand viel zu früh am Bahnhof und wartete auf ihren Fotografen. Ihre langen Haare hatte sie an diesem Tag zu einem lockeren Zopf geflochten. Sie trug Jeans-Shorts, ein T-Shirt mit einem fröhlichen Aufdruck und bequeme Schuhe. Vielleicht wollten sie ja einen kurzen Spaziergang machen. Darunter trug sie vorsorglich einen Bikini. Man weiß ja nie. Niemand würde hier die stellvertretende Abteilungsleiterin wiedererkennen.
Sie freute sich auf den gemeinsamen Ausflug und war regelrecht aufgeregt. Tina hatte keinerlei Erwartungen an den Tag, war aber überzeugt, dass es ein besonderer Tag werden würde. Der vorangegangene Nachmittag hatte ihr viel Freude bereitet. Die Unterhaltung hatte sich so bunt gestaltet. Sie hatten viele gemeinsame Interessen und Gemeinsamkeiten entdeckt. Ihr Fotograf – sie nannte ihn schon „ihren“ Fotografen – wusste viel über Architektur und Kunst und ergänzte ihr Wissen oftmals.
Ein Leihauto bog auf den Kurzparkplatz vor dem Hauptbahnhof. Der dunkelhaarige Fremde beugte sich über die Mittelkonsole und drückte die Tür auf.
„Guten Morgen, mein Engel. Ich habe für heute schönes Wetter bestellt. Also, auf in die Natur.“
Tina stieg lachend ins Auto. Es war so leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Und er brachte sie ständig zum Lachen. Das war ihr bisher mit ihren Männerbekanntschaften kaum passiert.
Er hatte eine Tour durch die kleinen Dörfer der Umgebung zusammengestellt. Sie spazierten durch einen Obstgarten und entlang eines kleinen Flusses. Ihr Begleiter schoss Fotos von Blüten, Früchten, Insekten, Lichteinfällen und was ihm sonst noch vor die Linse kam. Vorzugsweise Tina. Im Auto fanden sie eine Decke und sie setzten sich an das Ufer, versteckt durch eine kleine Baumgruppe. Sie lachten, aßen einige Kleinigkeiten und unterhielten sich.
Tina lag entspannt auf der Decke und ihr Chauffeur lief mit der Kamera herum, um Fotos vom Wasser, von den Bäumen, der Umgebung und von ihr zu schießen.
Er spritzte Tina nass und ließ sich schwer neben sie fallen.
„Na, mein Engel, hast du mich vermisst?“
„Definitiv. Ich wollte doch schon so lange nass gespritzt werden.“
Er beugte sich vorsichtig über Tina und küsste sie zärtlich. Der erste zaghafte Kuss entfesselte den Wunsch nach mehr.
„Hallo, mein Engel, ich heiße Jo.“
„Tina.“ Sie sah ihn verwundert an und er erkannte ihre unausgesprochene Frage.
„Ich habe nicht vor, nach diesem Kuss zu stoppen und ich denke, du solltest zumindest meinen Namen kennen.“
Tina schmunzelte, fasste ihn am Nacken und zog ihn leicht zu sich heran. Die Küsse entfachten beider Feuer und ihre Haut kribbelte.
„Ich habe kein Kondom dabei.“
„Ich nehme die Pille. Und ich denke, dass ich keinerlei Krankheiten habe, da meine letzte Beziehung schon sehr lange her ist und ich regelmäßig Blut spende.“
„Ich bin auch gesund. Ich … werde in meinem Beruf immer wieder getestet.“
Ihre Lippen fanden wie von selbst zueinander. Seine Hände strichen sanft über ihren Körper. Tina konnte nachher nicht sagen, wann und wie sie ihre Kleidung verloren hatte, aber es dauerte nicht lange und der Fotograf bescherte ihr einen unvergesslichen Höhepunkt. Sie liebten sich langsam und mit Bedacht. Er erkundete jeden Winkel ihres Körpers und verwöhnte Tina mit seinen Händen und seinem Mund. Sie fühlte sich so geborgen und geliebt.
Glücklich lagen die beiden auf der Decke.
Als die Sonne sich schön langsam dem Horizont näherte, fuhren sie schweigend zurück nach Mailand. Bei einem Supermarkt druckte ihr Fotograf ihr ein Foto von ihr am Flussufer aus. Sie wirkte so glücklich und verträumt auf dem Bild.
„Ich muss morgen retour nach München. Wollen wir … möchtest du …?
„Engel, du bist das Beste, was ich je erlebt habe. Ich habe mit dir die schönsten Stunden meines Lebens verbracht. Ich bin an meinen Ort irgendwie gebunden. Möchtest du mich einmal besuchen?“
„Ich habe eine Arbeitsstelle in München. Ich habe mich dort hochgearbeitet. Wirklich hart gekämpft dafür. Ich weiß, das klingt jetzt abgedroschen. Aber die Zeit mit dir war wirklich etwas Besonderes.“
Über den beiden hing eine bleierne Stille. Am Hauptbahnhof küssten sie sich wehmütig. Auf einen Kassenbon kritzelte Tina ihre Telefonnummer und stieg aus. Als sie nur mehr die Rücklichter sehen konnte, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Hätte sie doch wenigstens nach seinem Namen und seiner Adresse gefragt? Sie hätte ihn besuchen können, wenn sie auf Urlaub bei ihrer Oma gewesen wäre.
3
Erwachen in München
Beim Öffnen der gläsernen Eingangstür zur Firma wusste Tina, dass irgendetwas anders war. Mitarbeiter liefen hektisch hin und her. Die Empfangssekretärin war nicht auf ihrem Platz.
Tina nahm aus Prinzip