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nicht mehr beschneiden lassen wollte. Sie wuchs unmäßig wild und hoch, nach allen Seiten, in Himmel und Licht hinein. Aber da man sie so in den Himmel hinein wachsen ließ, hatte sie keine Kraft mehr, unten im Dunkeln, an der Erde Zweige zu treiben, sie wurde über dem Boden dünn und schütter. Und die Enten kamen gewatschelt und wanderten eine nach der andern durch die Heckenlöcher in den Garten. Sie fraßen wohl auch die Schnecken und das Gewürm, aber mit ihren breiten Schwimmfüßen stellten sie sich dabei auf die Erdbeerpflanzen, und da hielten sie glucksend und schwankend ihr Palaver. Manchmal schoß etwas Weibliches aus dem Haus und scheuchte sie, aber sie kamen immer gleich wieder.

      Viele Jahre hindurch versuchte es die Frau mit dem Garten immer aufs neue. Aber dann gab sie es auf. Man hat eine glückliche Hand oder man hat keine. Frau Hete hatte keine. Und kein Mensch kümmerte sich nun mehr um diese Wildnis. Grade noch, daß im Herbst abgenommen wurde, was an Birnen und Äpfeln gewachsen war.

      Nun wuchs alles, wie es wollte. Die Büsche wurden immer höher und dichter, die Hecke sperrte die Welt von dieser grün triefenden Wildnis ab, und Gras und Moos krochen über den Weg. Die Obstbäume streuten ihren Blütenblätterschnee über die Beete, in denen Vogelmiere, Pede und Nesseln wuchsen, und die Vögel, denen früher die kahle Ordnung des Gartens keinen Schutz gegen umherstreunende Hofkatzen gewährt hatte, kehrten zurück in die wogende Blätterfülle. In der Dornhecke hatten sie ihre Nester und alle Starkästen waren besetzt.

      Und die Bienen hatten hier ihr Reich. Sie habe ich bisher vergessen. Ungefähr in der Mitte des Gartens, rechts vom Hauptweg, steht das Bienenhaus, aus Lehmfachwerk erbaut, mit Rohr gedeckt, gut mannshoch. Nach Sonnenaufgang hin ist es offen. Hier stehen in drei Reihen übereinander die gelben, aus gedrehten Strohseilen gefertigten Bienenkörbe. Man sieht sie sonst kaum mehr, sie sind als unwirtschaftlich abgeschafft, denn um die Honigernte zu bekommen, muß man das ganze Volk töten. Doch hier stehen noch die Strohkörbe. Den Gäntschows bedeutet es nichts, daß ihnen die Bienen nichts einbringen. Sie töten kein Volk. Jedem lassen sie über Winter die ganze Honigernte. Und so schwärmen die starken fröhlichen Völker durch den Garten aus und ein, nach den Lindenbäumen, nach den Bohnenfeldern, nach allem, was blüht.

      Steht der Sommermittag über dem Garten, scheint das Summen und Brausen anzuschwellen zu einem tönenden Schwingen der Himmelskuppel selbst. Der Wind schmiegt sich ein in die Blätter. All das Grün zittert im Licht. Auf der Erde ist Gold über Gold verschüttet. Die kleinen Vögel schlagen einmal mit den Flügeln und sitzen wieder still. Und der kleine nutzlose Garten schaukelt wie eine goldgrüne Schaukel summend im Lichte. O selig! – Man hat eine glückliche Hand oder man hat keine. Schon Hedwigs Vater, der olle Kaptein Düllmann, hatte keine. Die Leute nannten ihn den alten Mann, der immer ut de Tüt kommt. Jemand, der aus der Tüte kommt, kann nicht wissen, was unterdes außerhalb seiner Tüte geschehen ist. Kapitän Düllmann wußte das auch nie. Jedem kann die Frau früh sterben, manchem Kaptein ist schon ein Dampfer abgesackt, aber bei Kaptein Düllmann wurde das alles erst dadurch recht schlimm, daß er stets aus der Tüte kam, wenn was geschah, ganz fassungslos aus der Tüte kam.

      Man erzählte von ihm, daß es damals, als seine Maria Kathrein vor Pillau im dicken Nebel mit einem Schlepper zusammenstieß und sank, daß er damals, als alles Hals über Kopf in die Boote ging, denn die Maria Kathrein sackte in einem gräsigen Tempo weg, daß er also damals in höchster Leibesnot den Schiffsjungen, der grade ins Boot springen wollte, festgehalten und ihm ernst, aber mit Tränen in den Augen, den Auftrag gegeben habe, doch seine lütten leewen Kaktusse noch en beten zu begießen, weil daß sie vorige Woche schon kein Wasser gekriegt hätten.

      Sicher ist diese Geschichte – der Schiffsjunge soll dabei auch noch um ein Haar versoffen sein – erstunken und erlogen, denn wäre sie wahr gewesen, so hätte ihm das Seeamt sicher nicht sein Kapitänspatent gelassen. Aber sie paßte wunderschön auf Kapitän Düllmann, wie ein Dutzend Geschichten mehr noch, die von ihm im Schwange waren. Johannes Gäntschow erinnerte sich sein ganzes Leben lang sehr gut an diesen Großvater, der so viel Spannung in die langweiligen täglichen Mahlzeiten brachte. Da saß der dicke blonde Mann mit seinem blaßblonden Schnurrbart, der wie ausgelaugt aussah, mit seinen blaßblauen Augen, die ganz ausdruckslos guckten, und aß fleißig seine Bohnensuppe oder was es eben gab. Aber mitten im Essen – Johannes spannte schon – seufzte er plötzlich aus tiefster Brust kummervoll auf, der Löffel blieb auf halbem Wege zum Munde halten. Bewegungslos saß er da, und nun konnte man ihn ansprechen, so viel man wollte, Grotvadding tat keinen Mucks. Dann, nach einer langen Weile, nach drei Minuten, nach fünf Minuten, nach sieben Minuten, in denen er stocksteif vor sich hin gesehen hatte, seufzte er wieder tief auf, sah um sich wie ein Schläfer, der erwacht, entdeckte den Löffel in seiner Hand. Er seufzte noch einmal und fing wieder mit Essen an. Und immer fand sich einer, trotzdem das eigentlich streng verboten war, der den Kapitän Düllmann fragte: Großvater Hanning, was war denn?

       Dann seufzte der alte Mann noch einmal und sagte immer noch ganz benommen: Da is eben eine schwarze Wolke über meine Seele gegangen, mein liebes Kind.

      Derart war Kapitän Düllmann und derart wohnte er vier oder fünf Jahre auf dem Gäntschow'schen Hofe. Als nämlich die Maria Kathrein abgesackt war, gab Kapitän Düllmann die Seefahrerei auf. Er besaß ein hübsches kleines Häuschen an der Dampferlände in Dreege – aber warum sollte der alte verwitwete Mann in das leere Häuschen ziehen (das so gut zu vermieten war!), wo er drei verheiratete Töchter hatte!

      Großvadding hatte nun die Wahl, und daß er die Wahl hatte zwischen allen dreien, das machte neben dem Häuschen die feste, altersbraune Seemannskiste mit Eisenbändern und einem großmächtigen Schloß, wie es heutzutage gar keins mehr gibt. Über den Inhalt dieser Seemannskiste gingen die tollsten Gerüchte, goldene Münzen in Säcken, Brillanten und Edelgestein in Beutelchen, goldene Ringe und Bänder, ja ganze Barren – das war das mindeste, das von dieser Kiste, die nie einer offen gesehen hatte, gefabelt wurde. Und nicht nur von den Kindern, die dem ollen Kapitän Düllmann nachsagten, er habe Störtebekers alten Schatz gefunden und alle Matrosen nach und nach erschlagen, die ihm beim Ausbuddeln geholfen. (Daher die schwarze Wolke.)

      Nun war Malte Gäntschow ein sehr nüchterner Mann, und er glaubte weder an den Klaus Störtebeker, noch an Barren und Edelgestein. Aber er stellte eine kleine Rechnung auf, was sein Schwiegervater wohl in den dreißig Jahren, die er als Steuermann und Kapitän gefahren war, verdient und zurückgelegt haben konnte. Und da Kapitän Düllmann vieles nachzusagen war, aber keine Unmäßigkeit, keine Verschwendungssucht, keine Weibergeschichten – so kam Malte Gäntschow bei dieser Rechnung auf einen hübschen Batzen. Da aber der Schwiegersohn weiter wußte, daß Kapitän Düllmann ein Feind aller neumodischen Einrichtungen war, ob sie nun Sparkassen, Pfandbriefe oder sonstwie hießen, – wo sollte da also das viele schöne Geld sein als in der Kiste?

      Und indes die drei Töchter noch eifrig debattierten, welche von ihnen Vadding zu sich nehmen sollte, und die Schwiegersöhne sich im Preise ihrer guten Hauskost und warmen, sonnigen Stuben überboten, spannte Malte Gäntschow einfach seinen Fuchs vor die Kutschkalesche, und als Kapitän Düllmann halbwegs zwischen Dreege und Kirchdorf aus der Tüte kam, da saß er neben seinem Schwiegersohn Gäntschow auf dem Wagenstuhl, die Schienbeine rieben sich an den Eisenbändern der Schiffskiste, und hintenauf waren all die schönen Mettwürste, Buttertöpfe, Schwartenmägen und Rollschinken geladen, die die liebenden Kinder Vadding zum Beweise ihrer guten Kost verehrt hatten.

      So war Kapitän Düllmann auf den Gäntschow'schen Hof gekommen, und da er von sich aus so leicht nichts an einem einmal bestehenden Zustande änderte, so blieb er auch erst einmal da.

      Es begab sich aber nun im vierten Jahre seines Aufenthaltes auf dem Warderhofe, daß Kapitän Düllmann eine Lungenentzündung bekam. Wo er sie aufgesammelt hatte, der abgehärtete, durchgepustete alte Seebär, das wußte keiner, er auch nicht. Boshafte behaupteten, grade als Düllmann vor einem Gewitterguß ins Haus habe treten wollen, sei eine schwarze Wolke über seine Seele gezogen, und so sei er da stehen geblieben, die Klinke schon in der Hand, im schönsten Pladdern, unter der Traufe des Dachs und unter der Traufe des Gewitters, zehn Minuten, fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten, zweiundzwanzig Minuten. Da war die Wolke vorbei, und Kapitän Düllmann drückte auf die Klinke und ging ins Haus, klatschnaß und zitternd vom Kopf bis zu den Zehen.

      Natürlich


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