The sound of your soul. Isabella Kniest
jetzt … ?
Er hatte bemerkt, wie wenig ich Komplimenten etwas abgewinnen konnte?
Was hatte mich verraten? Mein Mienenspiel, meine Körpersprache, meine Äußerungen?
Üblicherweise gelang Menschen es nicht, mich zu durchschauen oder einzuschätzen – günstigstenfalls mich zu verletzen.
Ich atmete tief durch und lehnte mich zurück. »Nun gut. Ich akzeptiere.«
Vorerst.
»Na endlich!« Ein niedliches Kichern durchdrang die mit Gesang und gelegentlichen Gesprächen durchsetzte, stickige Luft. »Ich fürchtete bereits, Sie würden nie mehr nachgeben.«
Echt jetzt?
Ich fasste nach meinem Kakao. »Flirten Sie andauernd in dieser Heftigkeit?«
»Flirten?« Der Mann schien äußerst erschrocken, den weit aufgerissenen Augen nach zu urteilen. »Das war kein Flirtversuch.«
»Für mich sehr wohl.« Ich nippte an der Tasse. »Das war sogar ein ziemlich billiger und alter Anmachspruch.«
Der nicht eben zu deiner eleganten, verhaltenen, gentlemanmäßigen Ausstrahlung passt.
»Bitte verzeihen Sie.« Er besah mich flehentlich. »Solcherweise wollte ich nicht anmuten.« Nach einer kurzen Weile, in welcher seine Verzweiflung sekündlich größere Ausmaße angenommen hatte, fügte er hinzu: »Habe ich mir dadurch alles verdorben?«
Sollte ich noch überrascht sein?
Zuallererst strandete ich in diesem Lokal, dann setzte sich ein atemberaubend schöner Jüngling zu mir … und nun hatte dieser ernste Sorgen, er könnte mich mit seinem – im Grunde genommen, sehr vornehmen – Geplapper verjagen?
War ich im falschen Film gelandet?
Ich blickte auf meinen Kakao.
Oder hatte man mir etwas in mein Diabetes auslösendes Heißgetränk geschüttet?
Ich wandte mich wieder meinem Tischnachbarn zu.
War ihm all dies ernst, oder gehörte dieses Pseudo-Rosamunde-Pilcher-Männertraumverschnitt-Verhalten ebenfalls zu seiner Anmachnummer?
Fakt war: Ein attraktiver Mann wie er brauchte sich grundsätzlich keine Gedanken zu machen, wie er auf das weibliche Geschlecht wirkte – ausgenommen, er kämpfte gegen dieselben Vorurteile wie ich. Dann konnte ich es teilweise nachvollziehen. Nichtsdestoweniger mutete mir sein Verhalten eine Idee zu gespielt und verkrampft an … als müsste er sich dazu zwingen, mit mir zu sprechen. Andersrum präsentierte er echte Selbstsicherheit. Salopp gesprochen erweckte er den Anschein, mit gezogener Handbremse zu fahren.
Gedanklich schlug ich mir an die Stirn.
Weshalb deduzierte, wertete und interpretierte ich wie wild durch die Gegend?
Weil ich insgeheim und trotz gegenteiliger Faktizitäten hoffte, noch die Liebe meines Lebens zu finden? Weil die Sehnsucht nach einem Partner stetig größere Ausmaße annahm? Weil ich verzweifelt, frustriert und desillusioniert tagtäglich für ein Wunder betete?
Himmel, Arsch und Zwirn!
Ich war nicht dumm – ich war der größte Idiot der Menschheitsgeschichte!
Wahre Liebe existierte nicht. Verständnisvolle, selbstlose Männer existierten nicht.
Und dieses Prachtexemplar hier vor mir?
Sicherlich war ihm nichts von seinem Gerede ernst. Er wollte eine flotte Nummer schieben – nicht mehr, nicht weniger.
Ich zuckte die Achseln. »Nein, keine Sorge.«
Atmete er erleichtert aus? Angesichts der lauten Musik konnte ich das nicht mit Sicherheit feststellen.
»Das beruhigt mich. Schließlich will ich mich mit Ihnen noch etwas länger unterhalten … falls es für Sie in Ordnung geht.«
Mit einer solchen Antwort hatte ich noch weniger gerechnet.
»Ja, sicher«, gab ich kühl zurück.
Das musste seine typische Masche sein. Anders konnte ich mir seine Aussagen beim besten Willen nicht erklären. Vor allem in meinem Fall nicht! Männer flirteten nicht mit mir. Männer sprachen mich nicht an. Und derart respektvoll war ohnehin noch niemand mit mir umgegangen.
Eine Kellnerin mit platinblondem Bobhaarschnitt trat zu uns und nahm die Bestellung des Mannes auf: ein stilles Mineralwasser ohne Zitrone, ohne Eiswürfel. Ehe sie wieder davoneilte, warf sie ihm ein seltsames Grinsen zu.
War sie eine seiner Liebschaften?
»Erzählen Sie mir etwas über sich«, meinte Mr. Mysteriös. »Ich bin neugierig.«
Weshalb sollte ich einem mir wildfremden Mann irgendetwas über mich erzählen?
»Erzählen lieber Sie mir, warum Sie jeden Tag hier zugegen sind. Ist Ihnen zu Hause solcherweise langweilig?«
Er legte den Kopf etwas schief. »Nein, ich arbeite hier.«
Oh!
Das erklärte einiges.
»Darum Ihr elegantes Outfit. Sind Sie Kellner?«
»Gefällt es Ihnen?«, kam es samt frechem Unterton schlagfertig zurück.
»Sollte es?«, entgegnete ich in einem ähnlichen Tonfall.
Hatte sein Kichern sich bis vorhin noch ziemlich verdeckt angehört, klang es nun befreit und offen. Zu diesem Kichern gesellte sich ein unschuldig-kindlicher Dackelblick, dem es ohne Weiteres möglich gewesen wäre, sämtliche Permafrostböden des Planeten in sekundenschnelle aufzutauen. »Es würde mich sehr freuen.«
Noch so eine vornehme, süße Anspielung …
Im Prinzip wollte ich mich nicht auf ihn einlassen. Ich wollte mich nicht ein zweites Mal veräppeln und ausnehmen lassen – aber wie dieser Mann sich mir gegenüber verhielt, würde es mir ziemlich schwerfallen, weiterhin hart zu bleiben. Erst recht bei einem solchen niedlichen Gesichtsausdruck und meinem nagenden, beißenden, brennenden Wunsch, endlich in meinem Leben geliebt zu werden.
Er intensivierte sein herzallerliebstes Mienenspiel. »Das ist mein Ernst.«
Hatte er etwa Gefallen an mir gefunden? An mir, dem flachen Männerschreck?
Was denkst du da?!
Männer, vorzugsweise attraktive, hatten sich niemals um mich geschert. Weshalb sollte dieser Umstand plötzlich eine Änderung erfahren haben?
Ich nippte an meinem Kakao.
Na, egal.
Ob er Interesse hegte oder nicht, war irrelevant. Und da es ihm ohnehin bloß um einen One-Night-Stand gehen konnte, brauchte ich mir nichts einzubilden oder mich tötenden Hoffnungen hinzugeben, weshalb ich das Gespräch am liebsten abbrechen und gehen wollte. Ich interessierte mich nicht für eine Bettgeschichte, selbst bei einem schönen Äußeren wie dem seinen nicht. Seine niedliche Bemühung, es mir recht machen zu wollen sowie seine galante Art weckten dennoch eine leichte Neugier in mir, und in weiterer Folge das Bedürfnis, mich intensiver mit ihm zu unterhalten.
Eine Unterhaltung würde mich ja nichts kosten. Des Weiteren war ich aus exakt diesem Grund hierher gekommen: Ich wollte mich amüsieren, neue Leute kennenlernen, ein wenig dem eintönigen Alltag entfliehen.
Nun hatte ich die Gelegenheit.
Nach einem weiteren Schluck des süßen Kakaos – und am Rande bemerkend, dass die talentierte Sängerin eine Pause eingelegt hatte – antwortete ich ihm.
»Ja, er sieht toll aus. Der Anzug steht Ihnen.«
Das Lächeln, welches sich bislang ausschließlich auf seine Lippen beschränkt hatte, begann sich in seinem gesamten Gesicht auszubreiten. Auf eine Weise erinnerte der Mann mich an mein einstiges Selbst – als ich meinen Glauben an die Gesellschaft noch nicht verloren hatte. Eine naive, unbeschwerte,