Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich

Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser - Gerstäcker Friedrich


Скачать книгу
zu gehen und nachzusehen, wie die Sachen ständen, ehe er sich einem Fremden entdeckte. Dieser wollte allerdings etwas Näheres über ihn hören, wo er die ganze Zeit gesteckt und wie es ihm gegangen sei. Bill ließ sich aber auf nichts Derartiges ein, gab ausweichende Antworten, griff sein Bündel wieder auf, schüttelte ihm die Hand und eilte dann mit raschen Schritten die wohlbekannten Straßen entlang, dem eigenen Hause zu.

      Eigenen Hause? – Wieder gab es ihm jenen Stich durch's Herz, und er wusste eigentlich selber kaum, weshalb er den Kopf beim Gehen niederbog und das Gesicht mit seinem Strohhut beschattete, dass ihn keiner seiner früheren Bekannten weiter anredete.

      So erreichte er endlich den wohlbekannten Platz unten am Hafen, ein kleines, freundliches Häuschen mit der riesigen Firma, die noch immer seinen und seines Bruders Namen bildete. Nur einen Blick warf er aber in den unteren Raum, in dem fünf oder sechs matrosenartige Burschen gar emsig an Segeltuch nähten und ein fremder Mann ihnen dabei Anweisung gab, und stieg gleich die wenigen Stufen hinan, die zur Haustür und der inneren Wohnung führten, ergriff den Klopfer und – behielt ihn unschlüssig in der Hand. Nach dem, was ihm der Bekannte vorhin gesagt, wagte er wahrhaftig nicht einmal, seine eigenen Räume zu betreten, und beschloss, lieber erst einmal unten hinein in die Segelkammer oder Werkstätte zu gehen und zu –, d. h. wenn er keinen Bekannten darin sah.

      Rasch stieg er wieder die kurze Stiege hinunter und fand sich, nach einem flüchtigen, forschenden Blick in den Raum, glücklicherweise lauter Fremden gegenüber.

      „Guten Morgen mitsammen“, sagte er, als er hineintrat und sein Bündel dabei in der Hand, seinen Hut auf dem Kopf behielt – „könnt' ich nicht einmal mit Jack Drygarn sprechen?“

      „Guten Morgen“, sagte der ältere Mann, der hier die Oberaufsicht zu führen schien, „Jack Drygarn sucht Ihr? Ja, der ist nicht mehr in Pembroke.“

      „Nicht mehr in Pembroke?“ rief Bill erstaunt, „aber wo ist er denn, und wem gehört denn hier das Geschäft?“

      „Das Geschäft gehört mir,“ sagte der Fremde, „und Jack Drygarn ist, so viel wir von ihm haben erfahren können, vor etwas über drei Jahren nach Amerika gegangen.“

      „Nach Amerika!“ rief Bill erstaunt. – „Hm, das ist doch wunderbar! Und was ist aus Bill geworden?“

      „Ja, das ist eine unglückliche Geschichte,“ meinte der Eigentümer der Werkstätte, mit den Achseln zuckend – „Bill ging hinüber nach Irland, wo Jack hatte Geld einkassieren sollen, um diesen zu suchen, und fiel nachts, als das Schiff an Waterford beilegen wollte, über Bord.“

      „Über Bord?“

      „Ja. Ein Passagier, der in Waterford an Land gesetzt wurde, brachte die Nachricht mit dorthin. Ihr seid wohl ein früherer Schiffskamerad von den beiden?“

      „Beinah' so 'was“, sagte Bill, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, – „und Bill's Frau?“ setzte er dann hinzu, denn was nun kommen musste, wusste er, wie er fürchtete, schon mehr als zu gut.

      „Nun, Bill's Frau“, sagte der Mann, indem er sich auf das Fensterbrett setzte und sein rechtes Bein über das linke schlug, „wartete ihr gehöriges Trauerjahr ab, und wie das vorbei war, heiratete sie wieder einen gewissen Henry Burton, und ihr Mann sitzt vor Euch.“

      „Das ist nicht möglich“, rief Bill erschreckt, „Polly hat also wirklich –“

      „Nicht möglich?“ sagte spöttisch der Mann, „aber, mit Eurer Erlaubnis, doch wahr.“

      „Mit meiner Erlaubnis?“

      „Ja, wenn Ihr nichts dagegen habt“, lachte der Segelmacher.

      „Hm! – sonderbar“, brummte Bill vor sich hin, indem er sich hinter den Ohren kratzte.

      „Heh?“ sagte da Polly's zweiter Mann, dem bei dem wunderlichen Betragen des Fremden ein eigener Gedanke aufstieg, indem er den Seemann lächelnd anschaute. „Ihr seid wohl gar ein alter Anbeter von Polly und habt gedacht, sie solle auf Euch warten, bis Ihr zurückkämet und um sie anhieltet?“

      Bill sah den Mann überrascht an. Der Gedanke hatte aber doch so viel Komisches, dass er trotz seiner eben nicht heitern Stimmung darüber lachen musste.

      „Beinahe könntet Ihr recht haben“, erwiderte er dann, „und doch nicht so ganz. – Lebt die Schwiegermutter noch?“

      „Meine Schwiegermutter? – Ja – gewiss. Kennt Ihr die auch?“

      „Ich denke – wenn's Euch recht ist, werd' ich einmal hinaufgehen und ihr einen guten Tag sagen.“

      „Wird sich ungemein freuen, denk' ich“, erwiderte der Mann ganz ernsthaft. „Geht nur voran, ich komme gleich nach, habe hier unten nur noch eine Kleinigkeit zu tun.“

      Bill ging, ohne weiter etwas zu erwidern, hinaus und die Treppe hinauf, und achtete nicht darauf, dass die Gesellen hinter ihm mitsammen lachten. Er ließ diesmal auch den Klopfer herzhaft auffallen, und als ihm ein Mädchen geöffnet und ihn, auf seine Frage nach der alten Dame, hinaufgewiesen hatte, stieg er langsam die Treppe hinan. Jetzt aber kam es ihm wirklich so vor, als ob er unter jedem Fuß eine zolldicke Bleisohle habe, so schwer wurden ihm die Füße, und auf der letzten Stufe musste er stehen bleiben und frisch Atem schöpfen. Endlich klopfte er an.

      Die alte Dame, die schon auf der Treppe jemand Fremdes gehört, öffnete die Stubentür, sah ihn an, stieß einen Schrei aus – und schlug sie ihm wieder vor der Nase zu. Dass sie ihn erkannt hatte, war außer allem Zweifel. Bill wusste jetzt auch wirklich nicht, ob er da stehen bleiben und warten solle, bis sie wiederkäme, oder ruhig und unbekümmert eintreten. Darüber wurde er aber nicht lange in Zweifel gelassen, denn kaum zwei Minuten später ging die Tür wieder auf und Polly, seine eigene, allerdings höchst ungerecht verlassene Frau, stand auf der Schwelle und winkte ihm, einzutreten. Sie sah totenbleich aus – jedenfalls vor Schreck – und streckte ihm zitternd die Hand entgegen. Hinter ihr stand die doppelte Schwiegermutter und schaute ihn durch die Brille an.

      „Aber, Jack“, sagte sie, „wo habt Ihr die Zeit über gesteckt, seit das Unglück passiert?“

      „Das Unglück?“ sagte Bill ganz verstört und achtete gar nicht auf den Namen Jack. Er hielt seine Frau wieder an der Hand, und wagte nicht einmal, ihr um den Hals zu fallen.

      „Ach, Jack! ach, Jack!“ jammerte die alte Dame, „was habt Ihr damals durch Euer Fortgehen für Jammer und Elend angerichtet – und der arme, arme Bill – das gute, ehrliche Herz –“

      „Bill?“ rief dieser aber erstaunt, ja erschreckt aus, – „nun bei Gott, ich bin doch nicht Jack, und wenn Jack wirklich nach Amerika –“

      „Ihr seid nicht Jack?“ rief Mrs. Bellhope, „und wer denn sonst?“

      „Kennt denn Polly nicht einmal ihren eigenen Mann mehr?“ sagte der arme Teufel traurig, – „und sind doch erst kaum drei Jahre darüber hingegangen.“

      „Bill?“ rief Polly erschreckt und riss ihre Hand aus der des Gatten, – „Ihr seid doch nicht Bill – der ist ja über Bord gestürzt und ertrunken.“

      „Ist ihm nicht eingefallen“, sagte Bill kopfschüttelnd, – „in die Luke ist er gestolpert und hat sich den Schädel geborsten, das war alles, und jetzt – wie er zurückkommt –“

      „Na, nun wird's aber Tag!“ schrie da plötzlich Mrs. Bellhope und stemmte die Arme in die Seite. „Erst geht der liederliche Strick mit dem Gelde durch und nach Amerika, und nun, da er das vertan und verjubelt hat und sein armer Bruder darüber verunglückt ist, kommt er mit einem Schnupftuch voll alten Gelumpes wieder an und will sich für den andern ausgeben.“

      „Aber, Schwiegermutter –“

      „Der Teufel ist seine Schwiegermutter!“ rief die alte Dame in vollem Zorn aus, und Polly rang indes die Hände, setzte sich auf einen Stuhl und barg das Gesicht in die Schürze.

      „Hallo, was ist nun los?“ sagte da plötzlich die tiefe, aber vollkommen ruhige Stimme


Скачать книгу