Seal Team 9. Sarah Glicker
einen der Gäste an, der wenige Meter von mir entfernt sitzt.
Nachdenklich sieht er mich an. Ein wenig macht er den Anschein auf mich, als würde er mich fragen wollen, welche Laus mir über die Leber gelaufen ist. Doch genauso schnell schaut er wieder zur Seite.
Kurz blickt er mich noch an, doch dann dreht er sich wieder in die andere Richtung.
Ist auch besser so, denke ich zähneknirschend.
Gerade trauen sich nur die Männer in meine Nähe, die mich kennen und mich einschätzen können. Sie können mir die Stirn bieten und haben kein Problem damit, sich auch mal mit mir zu prügeln, damit ich meine angestaute Energie loswerde. Und wenn man es genau nimmt, dann habe ich genau dazu Lust.
Ich habe Lust, mich mit dem nächstbesten zu prügeln. Und dabei geht es nicht einmal unbedingt nur um das Gewinnen. Nein, es wäre mir sogar recht, wenn ich verliere. Vielleicht würde mein Gegner mich bewusstlos schlagen und so dafür sorgen, dass ich mich wenigstens für einen kurzen Moment nicht mehr mit diesem Mist beschäftigen muss.
Seit zwei Stunden sitze ich schon in der Bar und habe nicht nur die Flasche Tequila leer gemacht, sondern auch mehrere Flaschen Bier in mich geschüttet. Doch nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen merke ich, dass es nichts bringt. Auf jeden Fall nicht in dem Ausmaß, wie ich es gerne hätte. Diese Erinnerungen lassen sich nicht fortwischen, egal wie sehr ich es versuche.
Da ich nicht mehr in der Lage bin, alleine nach Hause zu fahren, habe ich vorhin den einzigen Mann angerufen, der mir nicht ständig auf die Nerven geht. Klar, er wird sich auch den einen oder anderen Kommentar nicht verkneifen können, aber das ist mir egal.
Ryan hat mir einmal klar zu verstehen gegeben, dass ich mich jederzeit auf ihn verlassen kann. Doch er wird mir auch nicht jeden Tag damit auf die Nerven gehen.
Und darüber bin ich froh.
Sollte ich es mir irgendwann doch noch einmal anders überlegen, wovon ich nicht ausgehe, weiß ich, wo ich ihn finden kann.
„Ich hoffe, es hat sich wenigstens gelohnt“, stellt er fest, als ich aus der Bar getorkelt komme.
Ryan hat sich an seinen Wagen gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ich erkenne das hinterhältige Grinsen auf seinen Lippen. Sein wachsamer Blick nimmt alles an mir in sich auf, sodass ihm nichts entgeht. Doch das ist unserer Ausbildung verschuldet. Sollten wir etwas übersehen, bezahlen wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit unserem Leben.
Wäre ich noch etwas nüchterner, würde ich darauf eingehen. Doch ich bin mir sicher, dass er das nicht machen würde, wenn ich noch etwas nüchterner wäre.
Aus diesem Grund verkneife ich mir jeden Kommentar, um es nicht noch weiterzutreiben.
„Bring mich einfach nur nach Hause“, weise ich ihn an und lasse mich auf den Beifahrersitz sinken, nachdem ich an ihm vorbeigegangen bin.
An seinem Blick erkenne ich, dass er noch etwas von sich geben will. Doch er macht es nicht. Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Stattdessen startet er schweigend den Wagen und bringt die ersten Meter hinter sich.
„Weißt du schon, wann du wieder zum Dienst kommen wirst?“, fragt er mich schließlich.
„Sehe ich aus, als würde ich wieder arbeiten wollen?“
„Ich könnte verstehen, wenn du es nicht tun wollen würdest. Doch wir beide wissen genau, dass das nicht der Fall ist. Du liebst deinen Job viel zu sehr, als dass du dich wirklich willst. Aber vielleicht würde es dir helfen, wenn du wenigstens mal wieder zum Training kommen würdest. Du weißt schon, um nicht aus der Übung zu kommen und um den Kopf frei zu bekommen.“
Auch wenn ich betrunken bin merke ich, dass er seine Worte ernst meint. Und ich muss wenigstens vor mir selber zugeben, dass ich es auch gerne würde. Doch ich kann es einfach noch nicht. Und ich weiß auch nicht, wann ich wieder dazu in der Lage sein werde.
Oder ob ich das überhaupt sein werde.
Als Antwort gebe ich nur ein schlecht gelauntes Brummen von mir. Sein leises Lachen zeigt mir, dass er mich verstanden hat und er sich auch ein klein wenig darüber lustig macht. Doch ich gehe nicht näher darauf ein. Stattdessen schließe ich lieber meine Augen, bis er vor meinem Haus stehen bleibt.
„Ich wusste ja gar nicht, dass du neue Nachbarn bekommst“, stellt er schließlich fest.
Langsam öffne ich meine Augen und betrachte den LKW, der in der Einfahrt des Nachbarhauses steht. Die Ladefläche ist geöffnet und ein paar Kartons stehen daneben verteilt.
„Na super“, grummle ich nur, schnalle mich ab und steige aus.
In der Sekunde, in der ich die Tür hinter mir schließe, sehe ich, dass eine junge Frau aus dem Haus kommt. Sie ist vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als ich. Ihre blonden Haare sind s lang, dass sie beinahe ihren Hintern berühren. Ihre Figur sportlich und passt perfekt in die engen Klamotten, die sie trägt und wirklich nichts der Fantasie überlassen. Jede einzelne Rundung kann ich erkennen.
Unter anderen Umständen würde ich versuchen, sie ins Bett zu bekommen, das ist mir sehr wohl bewusst. Und genau bewusst bin ich mir darüber, dass sie mir nicht entkommen könnte. Doch nun bin ich eher genervt von ihr, als sie mich freundlich anlächelt.
Ehe ich in meinem Haus verschwinden kann, kommt sie bereits auf mich zu.
„Hi, ich bin Kendra, die neue Nachbarin“, stellt sie sich mir vor und streckt mir ihre Hand entgegen.
Allerdings beachte ich sie überhaupt nicht, sondern gehe schweigend an ihr vorbei.
„Sie scheinen einen schlechten Tag zu haben.“
Kaum hat sie mit ihrer unsicheren Stimme die Worte ausgesprochen, drehe ich mich in ihre Richtung und gehe wieder zurück. Dabei sehe ich sie bedrohlich an. Doch aus irgendeinem Grund scheint es sie nicht zu interessieren.
Jede andere Frau würde jetzt wahrscheinlich einen Schritt nach hinten machen. Schließlich kennt sie mich nicht und hat keine Ahnung, ob ich wirklich eine Gefahr für sie darstelle, oder nicht. Doch Kendra betrachtet mich nur mit einem herausfordernden Blick, als ich mich ihr langsam nähere.
„Du kannst dir nicht einmal vorstellen, was für einen“, fahre ich sie an, bevor ich endgültig im Inneren meines Hauses verschwinde.
2
Kendra
Verblüfft sehe ich ihm nach.
Was war das?, frage ich mich, während ich in Gedanken noch einmal unsere kurze Unterhaltung durchgehe.
Doch ich finde, dass unsere Unterhaltung eindeutig zu kurz war, um wirklich einen Grund für seinen Ausraste zu haben. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man sie wirklich als Unterhaltung bezeichnen könnte. Dafür war sie eindeutig zu kurz.
Als die Tür mit einem lauten Krachen hinter ihm ins Schloss fällt, zucke ich kurz zusammen, habe mich aber schnell wieder im Griff.
„Mach dir nichts draus. Er macht gerade eine harte Zeit durch“, erklärt eine weitere männliche Stimme, die sich hinter mir befindet. „Eigentlich ist er sehr umgänglich.“
Langsam drehe ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kommt und betrachte den Mann. Er ist mindestens genauso groß und breit gebaut wie mein neuer Nachbar. Auf mich machen sie den Eindruck, als würden sie viel Zeit beim Sport verbringen.
Für einen kurzen Moment schießt mir die Frage durch den Kopf, was die beiden beruflich machen, denn irgendwie kommt es mir so vor, als wäre ihre körperliche Fitness wichtig dafür. Doch bevor ich mich näher damit beschäftigen kann, schiebe ich diesen Gedanken wieder zur Seite. Es kann mir egal sein und es ist mir auch egal.
„Dann bin ich ja froh, dass es anscheinend nichts mit mir zu tun hat.“
Ich lasse den Sarkasmus in meiner Stimme mitschwingen. Auf diese Weise