Kullmann stolpert über eine Leiche. Elke Schwab
Minute früher eingetroffen, hätte sich Trixi diese unerwünschten Telefonate sparen können.
Nun erst konnte Tixi abschalten. Sie zündete die Kerzen ihres Adventskranzes an, ließ leise Weihnachtsmusik laufen und streckte sich auf dem Sofa aus.
Die Stille, die in dem leeren Haus herrschte, seit Käthe fort war, empfand sie mit einem Mal als ungewohnt. Um ihre Einsamkeit besser ertragen zu können, flüchtete sie in die Erinnerungen der letzten Wochen.
Plötzlich hörte sie ein scharrendes Geräusch. Ihr blieb das Herz stehen. War jemand im Haus? Eine Weile lauschte sie, hörte aber nichts mehr. Vielleicht hatte sie sich auch nur getäuscht. Sie wollte sich gerade wieder entspannen, als es von oben krachte. Nun war sie sich ganz sicher, dass ein Einbrecher im Haus war.
Ihr Handy lag direkt neben ihr. Sofort griff sie danach und rief bei der Polizei an. Polizeihauptmeister Hollmann hob ab. Als sie seine Stimme hörte, war sie erleichtert.
»Bitte kommen Sie schnell, es ist jemand im Haus!«
»Wir sind in wenigen Minuten da.«
Es dauerte wirklich nicht lange, da hielt ein Polizeiauto vor der hölzernen Brücke. Zwei Polizeibeamte stiegen aus und kamen auf das Haus zu.
Hollmann war nicht dabei.
›So ein Mist‹, dachte Trixi. ›Wich er ihr aus? Warum kam er nicht selbst?‹
Enttäuscht führte sie die beiden Beamten die Treppe hinauf in den ersten Stock.
Prüfend gingen sie durch jedes Zimmer.
Einer der Beamten blieb stehen und grinste. Trixi folgte seinem Blick. Sie traute ihren Augen nicht. Vor ihnen stand die Schaufensterpuppe ihrer Mutter – in veränderter Form. Auf die Vorderseite des Holzkopfes war ein Gesicht aufgemalt worden, ein Frauengesicht mit knallrotem Kussmund, langen Wimpern über großen Augen mit Schlafzimmerblick. Auf den Brüsten, die nur aus zwei Rundungen bestanden, waren Brustwarzen aufgemalt und zwischen den Beinen ein schwarzes Gekräusel, was wohl die Schamhaare darstellen sollte.
»Die Puppe ist angemalt worden. Es war also wirklich jemand hier.«
»Oh ja! Und zwar einer von der ganz heimtückischen Sorte«, erkannte einer der Polizeibeamten schmunzelnd. »Wir werden eine Fahndung nach einem Erotikkünstler herausgeben.«
Während er seine Kamera hervorzog und Fotos von der bemalten Puppe schoss, bemühte er sich ernst zu bleiben. Doch als der andere laut loslachte, konnte er sich nicht mehr beherrschen.
»Wir haben es hier mit einem gefährlichen Gegner zu tun.«
»Oh ja! Die Kunstmafia. Sie zwingt Puppen ihre Reize zu zeigen.«
Immer neue Scherze fielen den beiden ein.
»Heißt das, dass Sie nichts tun werden?« Trixis Stimme klang verzweifelt.
»Natürlich nehmen wir Ihre Anzeige auf. Ich habe die Fotos nicht für mein Sammelalbum gemacht, sondern für die Beweisaufnahme.«
Dann verabschiedeten sie sich, nicht ohne ihr seltsame Blicke zuzuwerfen.
Das hatte sie nun davon. Sie wurde ausgelacht.
Je länger sie über alles nachdachte, umso mehr begann Trixi, an sich selbst zu zweifeln. Was geschah mit ihr? In der Zeit, als Käthe bei ihr gewohnt hatte, war nichts passiert, nicht das leiseste Geräusch, nicht die geringste Andeutung, dass dieser Kerl ein makabres Spiel mit ihr trieb. Er beobachtete jeden ihrer Schritte, ein Gedanke, der sie frösteln ließ. Nur so erfuhr er, wann sie allein war und wann er zuschlagen konnte. Damit gelang es ihm, sie wie eine Idiotin dastehen zu lassen. Nun hatten die Polizisten der Polizeidienststelle Saarbrücken-Land auch noch einen Grund, sie auszulachen. Der Plan ihres Verfolgers war genial – sein Erfolg eindeutig.
Entmutigt betrat sie ihr Schlafzimmer. Sie eilte zum Fenster, um den Rollladen herunterzulassen. Im gleichen Augenblick leuchtete ein kleines Licht auf, als zünde sich dort jemand eine Zigarette an. Durch das kurze Aufleuchten sah sie die Silhouette eines Menschen, der am Berghang saß – auf der Höhe des Schlafzimmerfensters. Sie konnte kein Gesicht erkennen, nur, dass die Gestalt sich nicht bewegte.
Mit einem Ruck ließ sie den Fensterschutz herunter und rannte hinaus in den Flur. Dort griff sie nach ihrer Daunenjacke und verließ im Laufschritt das Haus. Zu ihrem großen Glück fiel ihr wieder der nette, alte Herr ein, der ihr seine Hilfe angeboten hatte. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Sie brauchte seine Hilfe.
Sie wollte über den Parkplatz mit den verrosteten Autos laufen, aber der Boden war spiegelglatt. Ein gebrochenes Bein käme in ihrer Situation äußerst ungelegen. Also verlangsamte sie ihr Tempo. Laut krachte es zwischen den Autos. Trixis Herz schlug ihr bis zum Hals. Verfolgte er sie? War er sogar auf gleicher Höhe mit ihr? Dann hatte sie keine Chance mehr. Er würde sie mit Leichtigkeit einholen. Ihre Angst trieb sie vorwärts.
Plötzlich war da ein schleifendes Geräusch. Dann folgte ein Kichern, das ihr die Haare zu Berge stehen ließ.
»Du bist so dumm wie das Kätzchen, das sterben musste« hörte sie ein Flüstern. »Für euch niedere Kreaturen gibt es den Friedhof der Kuscheltiere. Der ist hier!«
Trixi legte einen Zahn zu. Trotzdem verfolgte sie das Flüstern auf Schritt und Tritt.
»Aber bevor du dort landest, hätte ich gern meinen Spaß mit dir. Nur leider wird es dir keinen Spaß machen.«
Endlich hatte sie die Brücke überquert, bog in den Grumbachtalweg ein und rannte weiter bis zur Kaiserstraße. Das Haus des alten Mannes lag gleich auf der linken Seite, wie er es ihr beschrieben hatte. Es war hell erleuchtet.
Ein Krankenwagen stand davor. Erschrocken wich Trixi zurück. Sie kam wohl im falschen Augenblick. Von ihrem Versteck aus versuchte sie zu erkennen, wer abgeholt wurde. Es würde ihr von Herzen leidtun, wenn ihr väterlicher Freund Weihnachten im Krankenhaus erleben müsste. Aber nein. Eine junge Frau wurde ins Haus hineingetragen. Was ging dort vor, fragte sich Trixi. Hatte das Ehepaar Kinder aus früheren Ehen?
Sie sollte es wohl nie erfahren, weil sie ihr Vorhaben nicht mehr in die Tat umsetzte. Der nette Herr hatte andere Sorgen, als sich mit einer hysterischen Friseuse die Feiertage zu verderben, die Dinge hört und sieht, die sonst niemand wahrnimmt. Die Kälte kroch ihr durch die Kleider. Was blieb ihr anderes übrig, als wieder nach Hause zu gehen.
Sie schaute sich ängstlich um, als sie auf die alte Brücke zulief. Eine Weile verharrte sie in einer dunklen Ecke und versuchte, etwas zu erkennen. Die Schneereste auf dem Boden ermöglichten ihr eine gute Sicht. Nach einiger Wartezeit war sie sich sicher, dass ihr niemand auflauerte. So schnell sie konnte, eilte sie am Autofriedhof vorbei.
Obwohl sie die Haustür fest hinter sich verschloss, fühlte sie sich nicht sicher. Die Worte, die er ihr zugerufen hatte, klangen noch in ihren Ohren. Was hatte er damit gemeint: »Nur leider bist du zu blind, um es zu sehen!« Von Angst getrieben eilte sie durch jedes Zimmer ihres Hauses. Sie fand nichts, was seine Worte bestätigte. Sie wollte schon aufgeben, als ihr der Computer einfiel. Natürlich. Wies der Polizist nicht darauf hin, dass sich Stalker gerne solcher Hilfsmittel wie beleidigender E-Mails bedienten? Sie startete den Computer und prüfte den Posteingang. Aber da war nichts. Hatte sie sich alles nur eingebildet? War sie dabei verrückt zu werden?
Entmutigt ließ sie sich aufs Sofa sinken und hing ihren Gedanken nach. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie geglaubt, die Ruhe, die dann einkehren würde, täte ihr gut. Aber so war es nicht.
Sie fühlte sich einsam und ihrem aufdringlichen Verehrer schutzlos ausgeliefert, der nur ein Ziel hatte, ihr das Leben zur Hölle zu machen.
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