Jenseits der Tür. Bernhard Höfellner

Jenseits der Tür - Bernhard Höfellner


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bemerkt. Er musste über die Gabe verfügen, sich völlig lautlos an Menschen heranpirschen zu können. Was für ein ausgezeichneter Jäger er doch geworden wäre.

      "Wie geht es Ihnen heute?", fragte er ohne seinen Blick von der sich uns bietenden Aussicht abzuwenden. Ebenfalls wie üblich hatte er Brotkrumen in einer Papiertüte für die Vögel dabei. Seine Linke griff automatisch hinein und verstreute mit jedem Wurf eine kleine Menge Krümel auf dem kiesigen Weg. Vögel aller Art versammelten sich augenblicklich um uns und ein wildes Durcheinander an Geräuschen umgab uns. Nach einer kurzen Weile, wir hatten uns während der Fütterung leise verhalten, waren die Brotreste aufgebraucht und die letzten Vögel pickten nach vereinzelten Krumen trockenen Brotes, sagte mein Gast:

      "Sie sind jeden Tag hier!"

      Eine Feststellung.

      "Sie wissen es doch. Sie sind es doch auch!"

      "Ja, das stimmt."

      Wir schwiegen wieder. Dann:

      "Aber wissen Sie, ich hab keine Wahl."

      "Ach?"

      "Ich bin an diesen Ort gebunden, aber warum kommen Sie Tag für Tag hierher?"

      "Wissen Sie, ich habe da eine Theorie."

      "Ach? Wollen Sie diese mit mir teilen?"

      Ich betrachtete meinen Freund, denn als solchen sah ich ihn nach unseren vielen Gesprächen, die wir an diesem Ort, auf dieser Bank geführt hatten, und antwortete:

      "Sie sind das Objekt meiner Theorie!"

      "Ich?"

      Er lachte und er griff in seinen Mantel, um eine Pfeife herauszuholen. Er drückte den Tabak fest, entzündete ihn mit einem Streichholz und zog genüsslich daran. Weißer Rauch drang aus seiner Nase und seinem Mund. Da er schwieg, redete ich weiter:

      "Ich habe mir über Sie eine Theorie zurecht gebastelt und hoffe, Sie können diese bestätigen oder widerlegen."

      "Ich werde es versuchen!", schmunzelte er und zog wieder an seiner Pfeife.

      "Also? Ich höre?"

      "Sie sagen, Sie seien an diesen Ort gebunden. Warum?"

      "Wir alle müssen doch zu einem Ort gehören."

      "Aber ein Friedhof?"

      "Auch nicht schlechter als andere Orte."

      "Aber auch nicht besser!"

      "Das sagen ausgerechnet Sie? Welche Orte meiden Sie, dass Sie so oft zu mir auf den Friedhof kommen?"

      Ich dachte kurz nach. War es so? Mied ich andere Orte und fand mir keinen Besseren als einen Friedhof? Ein kühler Wind strich durch die langen Reihen der Gräber und mich fröstelte.

      "Ich kann heute nicht lange bleiben.", sagte mein Freund.

      "Ach?"

      "Hab noch was zu erledigen."

      Er stand auf, sah mich kurz an und meinte:

      "Sie sollten auch gehen. Kommen Sie nicht mehr hierher. Es ist kein guter Ort zum Verweilen!"

      "Kein guter Ort? Es ist friedlich hier. Ich mag die Aussicht. Ich werde noch ein wenig hier sitzen."

      "Aber die Sonne geht unter."

      "Denken Sie, ich habe Angst im Dunkeln?"

      "Haben wir das nicht alle? Angst im Dunkeln?"

      "Sie sprechen da nicht für mich."

      "Dann hören Sie auf meinen Rat: Meiden Sie den Friedhof. Gehen Sie. Am besten sofort und um Gotteswillen, niemals sollten Sie nachts hier sein."

      "Sie sind ein abergläubischer Mensch?"

      "Ich bin ein vorsichtiger Mensch."

      Er erhob sich, sah mich an, sagte:

      "Nun, ich hoffe wir sehen uns morgen wieder?"

      "Davon gehe ich aus. Übrigens?"

      "Ja?"

      "Wie heißen Sie?"

      "Meinen Namen wollen Sie wissen?"

      "Wir kennen uns nun schon eine Weile und ich halte meine Frage nicht für vermessen. Nun?"

      "Seamus. Seamus O"Dara."

      "Seamus also. Und?"

      "Was denn noch?"

      "Wollen Sie denn gar nicht wissen, wie ich heiße?"

      "Frank. Frank Dooley! Guten Abend."

      Damit verließ er mich und ich betrachtete noch eine Weile die Sonne, wie sie hinter dem Horizont verschwand. Woher kannte Seamus meinen Namen? Ich hatte ihm sicher bei einer früheren Begegnung meine Visitenkarte gegeben.

      Wolken zogen auf und aus dem feuchten Boden kroch ein klammer Nebel. Die Vögel waren verstummt und wichen nun den Tieren der Nacht.

      Ich musste eingenickt sein, denn als ich wieder zu Sinnen kam, war es stockfinster. Aus der Hecke hinter mir hörte ich einen Kauz rufen. Der Nebel stand jetzt dichter und der Mond konnte kaum durch die Wolken dringen. Das wenige Licht ließ die Grabsteine lange Schatten werfen.

      Ich erhob mich, sah mich um. Ärger wallte in mir auf. Wollte ich doch bei Tageslicht meiner Theorie nachgehen. Mir war kalt und es war dunkel und während ich so fröstelnd dastand und meine Hände durch heftiges Aneinanderreiben zu wärmen versuchte, hatte ich einen Einfall. Ich ging zu einem der Gräber, sah mich kurz um und griff nach der kleinen Laterne mit der flackernden Kerze, die jemand für seinen verstorbenen Liebsten zurückgelassen hatte. Es war nicht viel Licht, aber für meine Zwecke war es mehr als ausreichend. Ich wollte gerade losgehen und meinen Plan umsetzen, als ich ein lautes Knacken hörte. Es kam von hinter mir, aus dem älteren Teil des Friedhofs. Sofort fuhr ich herum und blickte ängstlich in die Dunkelheit. Wie sehr doch der Mut, den wir bei Tageslicht haben, in der Dunkelheit archaischen Ängsten weicht!

      Das spärliche Licht der Kerze drang nur wenige Schritte weit in die Dunkelheit vor. Da! Wieder ein Knacken. Diesmal aber rechts von mir. Wieder fuhr ich herum und machte einen Schritt zurück. Dann lauschte ich, wagte kaum, zu atmen. Nach wenigen Herzschlägen entließ ich die Luft meinen Lungen und schalt mich einen Toren. Ich lächelte. Hatte mich der alte Seamus mit seiner Angst vor Friedhöfen angesteckt? Sicher nicht. Wahrscheinlich trieb ein Dachs sein Unwesen auf diesem Friedhof.

      Ich besann mich auf meinen Plan und wollte diesen mit System umsetzen. Zunächst wollte ich, beginnend mit den Gräbern in der Nähe des Tores, alle Reihen abgehen. Der Name, den ich suchte, war mir nun bekannt. Seamus O"Dara! Ich war mir sicher, dass es sich bei ihm nur um ein Gespenst handeln konnte. Er erschien jeden Tag zur gleichen Zeit, sprach ein paar Worte um dann wieder zu verschwinden. Niemals sah ich ihn den Friedhof betreten oder diesen verlassen und niemals hatte ich gesehen, dass er etwas anderes als seine Pfeife zu sich genommen hätte. Und heute bestätigte er meine Theorie, als er sagte, er sei an diesen Ort gebunden. Mich selbst für meinen Scharfsinn beglückwünschend, war ich am Tor angelangt. Es war leider verschlossen, so dass ich, um den Friedhof später verlassen zu können, vermutlich über die Mauer klettern oder durch die Hecke im älteren Teil schlüpfen musste.

      Vor mir erstreckten sich zahllose Gräber. Einige davon schön bepflanzt, andere wiederum waren verwahrlost. Nicht so schlimm, wie diejenigen oben, aber offensichtlich kümmerte sich hier jemand nur halbherzig um seine Verstorbenen.

      Ich strich durch die Reihen und ließ den kleinen Lichtkegel der Laterne über die eingravierten Namen gleiten. Soweit ich auch schaute, es gab keinen Seamus O"Dara. Nach ungefähr eineinhalb Stunden hatte ich den gesamten jüngeren Teil des Friedhofs abgesucht. Es blieb nur noch der alte Teil mit seinen Grüften.

      Ich drehte mich um und besah das Feld mit seinen Mausoleen, verfallenen Gräbern und verwachsenen Bäumen. Ein wildes Durcheinander bot sich meinem Blick und das kleine Licht, dass ich bei mir hatte, machte es nur noch schlimmer. Worauf sein Schein auch fiel, es verwandelte sich kraft meiner Vorstellung in bewegte Bilder,


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