Vampyr. David Goliath

Vampyr - David Goliath


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sie diese rhythmisch bewegte. Gideon war verblüfft, wie routiniert sie Dinge tat, die er noch nie gesehen hatte.

      Nachdem sie sich aufgebäumt hatte, ihre nasse Hand aus dem Schritt holte und von Gideons Oberschenkelarterie abließ, starrte sie ihm befriedigt in die Augen. Ihre Zunge holte sich das Blut, das noch an ihren Lippen klebte. Dann hüpfte sie hinter den Schreibtisch und fischte aus einer Schublade eines der flachen Gewinde heraus. Geschwind schmierte sie die Salbe auf die Bisslöcher. Sofort koagulierte das Blut und dichtete die Wunden ab.

      Berauscht blieb Gideon sitzen. Adelheid bekleidete sich wieder, als wären ihre Neigungen das Natürlichste in einer prüden Gesellschaft.

      »Wollen wir los?«, neckte sie kindlich. »Ich will wieder hier sein, wenn Peter zurückkommt.« Sie sammelte seine Sachen auf und warf sie ihm zu.

      »Wo ist er denn?« Gideon war noch nicht ganz bei sich. Er ordnete seine Sachen abwesend.

      Adelheid lächelte unschuldig. »Fragst du mich das als Kommissar?«

      Unschlüssig zog er sich an. »Schon gut.«

      Voss klingelte den Arzt aus den Laken. Mit hellem Nachthemd öffnete dieser die Tür zu seiner Praxis, nachdem im Stockwerk darüber eine Lampe entzündet wurde und er die Treppen nach unten gepoltert war. Doktor Karczan machte ein verärgertes Geräusch, im Anschluss an das Knarren der Haustür. Sein struwweliger Haarkranz konnte die Platte nicht verbergen. Da er von kleinem Wuchs war, schaute er mit schmalen Augen hoch zum Kommissar.

      »Ja?«

      »Doktor Karzan, wir müssen die Tote von letzter Nacht identifizieren«, zeigte er hinter sich, wo sich Adelheid in einen dicken Mantel kuschelte.

      »Kar-cz-an«, revidierte der Arzt säuerlich, die Mitte des Namens betonend. »Hat das nicht Zeit bis zum Morgen?«

      Voss beugte sich zu ihm. »Die junge Dame ist extra angereist, um den Tod ihrer Schwester zu bestätigen, damit ihr kalter Leib nicht gottlos in einem alten Lagerhaus verwesen muss und ordentlich bestattet werden kann.«

      Adelheid bekreuzigte sich fix. Die traurige Miene hatte sie bereits aufgesetzt. Alles für die verschlafenen Augen des Arztes.

      Karczan brummte, während er das Fräulein studierte. »Wird Sie für die Bestattung und das Grab aufkommen?«

      »Im Feuer soll der Toten vergeben werden«, vermittelte Voss. Adelheid nickte, bevor sie eilig ihren Blick wieder senkte.

      »Und die Asche? Ein Urnengrab?«

      Voss imitierte den Wind mit Hand.

      Karczan verstand die Andeutung. Dann rügte er den Kommissar mit erhobenem Finger. »Dafür sind Sie mir was schuldig!« Er stampfte zurück ins Haus. »Mitten in der Nacht!«, schimpfte er mit wedelnder Gestik.

      Wenige Sekunden später schloss er die Haustür mit einem Ruck. Er hatte sich eine warme Jacke übergeworfen, festes Schuhwerk angezogen und ein Monokel zwischen ein Auge geklemmt. »Folgen sie mir!«

      Die drei betraten einen engen Keller, Karczan voraus mit einer Lampe. Adelheid musste sich angesichts des süßlich-faulen Gestanks die Nase zuhalten. Auch Voss verzog das Gesicht – einerseits wegen dem Geruch, andererseits wegen der dezenten Schmerzen beim Humpeln mit dem gebissenen Bein. Die gelagerten Eisblöcke in der Ecke des Kellers senkten die ohnehin niedrigen Temperaturen der Außenwelt weiter herunter. Ein Bodenablauf ließ das geschmolzene Wasser verschwinden. Die Gäste begannen zu zittern. Atem gefror.

      Zwei der drei Seziertische waren belegt. Nackte Leichen lagen darauf. Die halb verbrannte Frau war Magda Trumna. Nebenan siechte ein an den Gliedmaßen verstümmelter Mann vor sich hin. Die blasse, fleckige Haut löste sich schon an einigen Stellen auf. Ein undefinierbarer Sud aus Flüssigkeiten sammelte sich zwischen Leichnam und Tisch. Adelheid musste würgen. Die freie Hand drückte sich zur Faust geballt gegen ihre Lippen, mit der anderen kniff sie ihre Nasenflügel zusammen. Als sie Magda anschaute, wendete sie sich ab und übergab sich. Keiner hätte darin ein Schauspiel erkannt.

      Die Verbrannte war aufgeschnitten. Der gesamte, geschwärzte Brustkorb klaffte auseinander; die Lunge war freigelegt; das Herz fehlte. Ihr Unterkiefer war nach unten geklappt und offenbarte den Rachenraum. Der so drapierte Kopf entsprang einem Gruselkabinett mit dem verkohlten Schopf, den leeren Augenhöhlen, der ledrig verhärteten, schwarzen Haut und dem weit aufgerissenen Mund, dem die Zunge herausgeschnitten wurde.

      Die Männer warteten geduldig, bis sich die Frau erleichtert hatte. Karczan holte Fundstücke aus einem benachbarten Schrank.

      »Das wurde bei der Frau gefunden.«

      Voss nahm die Dinge entgegen: etwas Geld, Zigaretten. Er schaute zu Adelheid, deren Übelkeit echt wirkte. Sie blickte zum Geld und anschließend zu ihm, um zu verdeutlichen, dass ihre Geschichte stimmte.

      »Wieso ist das Geld nicht verbrannt?«, wollte Voss vom Doktor wissen, ohne seine reizende Begleitung aus den Augen zu verlieren. Er knitterte die Papierscheine.

      »Ich habe es im Schuh der Toten gefunden«, begründete Karczan.

      Voss deutete zum Seziertisch. »Ist sie das?«

      Adelheid näherte sich widerstrebend. Bis zuletzt hielt sie den Kopf abgewendet. Erst als sie direkt neben Magda stand, drehte sie ihn. Gemächlich. Beginnend bei den Füßen. Ihre Augen fuhren langsam die Beine entlang. An der Innenseite des Oberschenkels hielt sie inne. Zwei markante Einstichstellen prangten dort. Adelheid spürte den stechenden Blick des Kommissars hinter ihr, denn auch er sah die anprangernden Bisswunden. Schnell überflog sie den geschundenen Oberkörper und das fratzenhafte Gesicht, um sich zügig von der Leiche zu entfernen.

      »Ja, das ist sie«, bestätigte sie, zur Treppe eilend, wo sie sich an der gemauerten Wand abstützen musste. Anschließend besann sie sich auf ihre Rolle. Sie schluchzte und wischte sich die imaginären Krokodilstränen von den Wangen.

      »Magda Trumna«, beantwortete Voss den Monokelblick des Arztes. »Damit Sie einen Namen haben und ruhig schlafen können.«

      »Wenn kein Irrer bei Vollmond an meine Tür klopft, kann ich ruhig schlafen. Keine Sorge, Herr Kommissar.« Er schickte die bibbernde Adelheid hinauf. »Gehen Sie nach oben, mein Kind. Hier unten holen Sie sich noch den Tod.«

      Wie die vermeintliche Schwester die Treppen nach oben stiefelte, fixierte Voss den gähnenden Arzt. »Noch eine Frage, Herr Doktor«, begann er kryptisch, »War sie wirklich Nichtraucherin? Immerhin hatte sie Zigaretten bei sich.«

      Karczan sah irritiert auf.

      »Ich meine«, Voss nickte zum offenen Brustkorb, »Kann man das medizinisch nachweisen?«

      Karczan änderte nichts an seinem verwunderten Ausdruck.

      Voss wanderte mit den Pupillen unsicher hin und her. Er benahm sich gerade auffällig. Das merkte er selbst. »Nur eine Wette auf dem Revier«, winkte er mit einem falschen Lächeln ab.

      Trotz der Uhrzeit ließ sich Karczan nicht lumpen. Fachgebiet und Steckenpferd führte er gern vor. Er entfaltete die angeritzten Lungenflügel und leuchtete mit der Lampe auf das Innenleben, was Voss dazu brachte, unwohl aufzustoßen.

      »Die Pathologie ist keine genaue Wissenschaft. Wir stützen unsere Thesen auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen.« Karczan präsentierte die Luftwege, einschließlich des Rachens. »Sie war zumindest jahrelang Nichtraucherin, denn es sind kaum Teerablagerungen vorhanden. Das was Sie hier sehen«, kratzte er mit den Fingernagel an der Innenwand des Lungenflügels herum, »könnte auch passiv aufgenommen worden sein.«

      Das schabende Geräusch und die Tatsache, dass der Arzt mit dem Finger in der Toten herumdokterte, zwangen Voss wegzuschauen. Übelkeit stieg auf.

      Karczan nickte zu den Zigaretten, die Voss noch in Händen hielt und gerade zusammenpresste. »Womöglich war sie erst kürzlich dem Nikotin verfallen.«

      »Sie haben geschrieben, sie sei verblutet.«

      »Das wäre naheliegend. Es gab keine Stauchungen im Wirbelbereich und keine Hämatome an den typischen


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