Der Mann im Mond. Вильгельм Гауф
Kirche; ça ça! Holla Antonio – wie schäumt das Purpurblut deiner Wunde! rase, tobe durch die Lüfte, du kannst doch nicht herein zu meiner Freistatt!« –
Der Sturm legte sich, ferner und ferner rollte der Wind und säuselnd zog die Nachtluft durch die Kirche; der Mond schien freundlich durch die hellen Scheiben, und mit des Sturmes Toben schien auch der Sturm in Emils Brust gewichen zu sein; »Seht ihr«, sprach er wehmütig und zeigte an die vom Mond beschienenen Fenster hinauf, »seht ihr, wie er so ernst und zürnend auf mich herabsieht! Kannst du denn nicht vergeben, Antonio?«
Leiser wurde immer seine Klage, bis er weinend am Altare niedersank. Jetzt stand der alte Diener, dem während der schrecklichen Szene die Tränen in den grauen Wimpern gehangen, von seinem Sitze auf und unterstützte seinen Herrn; er wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirne und die Tränen aus dem gebrochenen Auge und flößte ihm aus einer kristallenen Phiole mildernde Tropfen ein.
Der Ohnmächtige richtete sich wieder auf, hüllte sich tiefer in seinen Mantel und schritt durch die Kirche.
Der alte Diener aber trat zu dem Küster; »Ich danke, Alterle«, sagte er, »du hast jetzt gesehen, daß wir nichts Unrechtes in deinem Gotteshaus gemacht haben; dafür halte aber reinen Mund; und wenn du niemand ein Sterbenswörtchen hören läßt von dem was du hier gesehen und gehört hast, so kommen wir vielleicht morgen und manche Nacht wieder, und du sollst pflichtgemäß deinen Harten haben.«
»Das kann sich unsereiner schon gefallen lassen«, antwortete der Küster im Weitergehen, »soviel merke ich, daß Euer Herr entweder nicht richtig unter dem Hute ist, oder daß er mit dem Gottseibeiuns hier Versteckens spielt. Nun hier, denke ich, soll er ihn nicht holen; kommt nur morgen nacht wieder. Was das Stillschweigen betrifft, so seid außer Sorgen, von mir erfährt es kein Mensch, vor allem meine Ursel nicht, denn ich denke, was sie nicht weiß, macht ihr nicht heiß.«
Der alte Diener lobte den Entschluß des Küsters und nahm am Portal mit einem Händedruck von ihm Abschied. »Ist doch schade um ein so junges schönes Blut«, brummte dieser vor sich hin, indem er seinem Häuschen zuschritt; »so jung und hat schon Affären mit Herrn Urian. Nun, er soll ihn immer noch ein Halbjährchen reiten; um die harten Taler kann man zur Not so guten Wein kaufen, als die Freilinger Maurermeister hatten, um den Kalk zu meinem Münster festzumachen.«
Das Souper
Es schlug ein Uhr, als der Fremde und sein Diener von dem Münster zurück über den Marktplatz gingen. An den Fenstern des erleuchteten Museums drängten sich Gestalten an Gestalten geschäftig hin und her, verworrenes Gemurmel vieler Stimmen tönte herab auf den stillen Platz, hie und da zeigten laute Ausbrüche der Fröhlichkeit mit Trompeten vermischt, daß eine Gesundheit oder ein Toast ausgebracht worden sei.
»Robert!« begann der Graf, »ich will noch einmal hinaufgehen; die süßen Töne der Flöten, die klagenden Klänge der Hörner haben etwas Beruhigendes für mich und mitten im Gewühl der fröhlichen Menge vergesse ich vielleicht auf Augenblicke, daß ich unter den Glücklichen der einzige Unglückliche bin.«
Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er möchte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hören, schweigend warf er in der Haustüre den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschüttelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen, traurigen Zeit nicht bemerkt, daß sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es mußte etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal da hinauf zog, denn, wenn er sich sonst auch in das fröhlichste Gewühl gestürzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stündchen wieder zurückgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen müssen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst erschöpft von Kummer und Unglück dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. »Gott gebe, daß es zu seinem Heil ist«, schloß der treue Diener seine Betrachtungen, und wischte sich die Augen.
Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hörner und ließen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche, mittendurch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel, denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschließen. Löffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstoßenden tönte aus dem Speisesaal; ein schwermütiges Lächeln zog über Emils blasses Gesicht, denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner fröhlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde geküßt hatte und mit fröhlichem Jubel in das allgemeine Millionen-Hallo und Welt-Hurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen saßen die fröhlichen Gäste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Geflügel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiß! man konnte nichts Schöneres sehen, als die Präzision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen, die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnürchen, die schweren Zwölfpfünder der Torten und Kuchen, das kleinere Geschütz der französischen Bonbons und Gelees wurde mit Blitzesschnelle aufgefahren, in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristallüsters bestrahlt standen die Guß-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeübt, und den besten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer in acht Tagen so weit bringen zu wollen, daß er einen bis an den Rand gefüllten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt die Treppe herauf springen könne, ohne einen Tropfen zu verschütten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins, die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art völlige Übungen und Manövres. Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, ließ eine Tafel zu dreißig bis vierzig Couverts decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen möglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Präsidenten, Justizräte, Kollegiendirektoren, Regierungsräte und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel und mahnte sie, bald diesem ein Stück Braten, jener diese Sauciere zu servieren, bald einem Dritten und Vierten einzuschenken und dem Fünften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab, aber probatum est – wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiß sein, zu siegen. Wie jener große Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach, »Heute ist der Tag von Friedland«, oder »Sehet die Sonne von Austerlitz«, so bedurfte es von seinem Mund auch nur einige ermahnende tröstliche Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affären, und er konnte darauf rechnen, daß keiner der zwanzig Kellergeister über den andern stolperte, oder ihm die Aalpastete anstieß, oder daß sie mit Sauce und Salat einander rannten, purzelten und auf dem Boden die ganze Bescherung servierten.
Mit dieser Präzision war also auch heute die Tafel serviert worden; der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten als da sind Laubenheimer, Nierensteiner, Markebrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorte von Bordeaux, Roussillon wurden weggenommen und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen gelöst und das schwärzliche Rot des Burgunders den Liliensamt der jungfräulichen Wangen und die Nasen der Herren gerötet, so war es jetzt, als die Pfropfe flogen und die Damen nicht wußten, wohin sie ihre Köpfe wenden sollten, um den schrecklichen Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche bis an den Rand mit milchweißem Gischt gefüllt, kredenzt wurden, wie auf einem Bazar im asiatischen Rußland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und näseln, plärren und jodeln, brummen und rasaunen; so schwirrte in betäubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den höchsten Fisteltönen bis herab zum tiefsten, dreimalgestrichenen C der menschlichen Brust das Gespräch um die Tafel.
Das Urteil der Welt
Aber der größte Teil der Konversation wenigstens am untern Ende des Tisches galt Präsidents Ida. Dort gingen die zahnlosen Mäulchen der Tanten und Mütter wie oberschlächtige Mühlen, und die Posaunen-Seraphs-Gesichter der Töchter nickten ihren Konsens aus den kleinen Kalmuckenäugelein. Wie hatte doch das Mädchen vor Gott gesündigt und gefrevelt dadurch, daß es